| # taz.de -- Elbfischer über Stinte und die Elbe: „Es kann nicht so weitergeh… | |
| > Lothar Buckow wurde in einem Leuchtturm geboren und ist einer der letzten | |
| > Elbfischer. Ein Gespräch über das Sterben der Stinte und die | |
| > Elbvertiefung. | |
| Bild: Will den Kindern keine kaputte Welt hinterlassen: Elbfischer Lothar Buckow | |
| taz: Herr Buckow, als Fischer braucht man viel Geduld, oder? | |
| Lothar Buckow: Ja. Meine Frau hat mal zu mir gesagt, ich sei ein | |
| hoffnungsloser Romantiker. Allein auf der Elbe sein ist etwas ganz | |
| Besonderes. Bei der Reusenfischerei habe ich täglich vier Stunden Zeit, mir | |
| über Probleme Gedanken zu machen. Und ich sehe dann die Problematik von | |
| meinem Gegner oder meiner Partnerin und schaue mir das von verschiedenen | |
| Aspekten an. | |
| Wer ist denn Ihr Gegner? | |
| Im Moment bin ich ganz stark involviert gegen die Elbvertiefung. Ich habe | |
| hier in der Stube schon Politiker gehabt. Wenn man wie ich immer auf der | |
| Elbe ist, sieht man die Probleme der Elbvertiefung. | |
| Welche Probleme genau? | |
| Der Schlick, der aus der Elbe herausgebaggert wird, müsste an Land gebracht | |
| werden. Wenn der aus dem System erst mal raus ist, ist irgendwann Schluss | |
| mit dieser Unterhaltungsbaggerei. Das Bundesverkehrsministerium hat vor ein | |
| paar Tagen gesagt, dass sie überlegen, ob die Fähre in Wischhafen einen | |
| neuen Anleger bekommt, weil die Bagger nicht mehr in der Lage sind, das | |
| Fahrwasser für die Fähren frei zu halten. So viel Schlick ist da | |
| aufgekommen! | |
| Wurde das Problem unterschätzt? | |
| Man hatte 17 Jahre Zeit, um sich Gedanken zu machen, wo man den Schlick | |
| hinbringt. Wir haben hier die Ausgleichsfläche Hahnöfersand. Da ist die | |
| ganze Insel abgebaggert worden, als Ausgleich für die Airbus-Expansion im | |
| Mühlenberger Loch. Diese Bucht war mal die Kinderstube von Fischen, die ist | |
| zerstört worden. Und die Ausgleichsfläche ist jetzt schon zu einem Drittel | |
| mit Weiden zugewachsen und völlig verschlickt. In zehn Jahren wird die | |
| nicht mehr existieren, weil nichts daran gemacht wird. | |
| Hat das in den vergangenen Jahren Ihren Blick auf die Lokalpolitik | |
| verändert? | |
| Das hat mit Lokalpolitik gar nichts zu tun, das ist große Politik. Herr | |
| Scheuer... | |
| ... der Bundesverkehrsminister von der CSU... | |
| ... der feiert hier die Eröffnung der Elbvertiefung, wobei sich alle | |
| eigentlich verstecken müssten, dass man 17 Jahre braucht, um eine | |
| Elbvertiefung durchzuboxen. Und zu was für einem Preis? Auf Kosten der | |
| Natur. Ich weiß überhaupt nicht, wer da glücklich sein kann. Die Politiker | |
| sollten sich alle in die Ecke stellen und schämen. | |
| Wie sind Sie eigentlich Elbfischer geworden? | |
| Nach dem Krieg sind meine Eltern aus Pommern an die Elbe gekommen und haben | |
| nebenberuflich gefischt. Mein Vater war Leuchtturmwärter. Ich bin im | |
| Leuchtturm geboren worden. Als ich so 18 war, hatte ich eigentlich nicht | |
| den Mut, Elbfischer zu werden. Die Elbe war damals mit Dioxinen | |
| kontaminiert, die Fische hatten dadurch Geschwüre. | |
| Warum haben Sie sich trotzdem getraut? | |
| Ich habe in Lüneburg Software Engineering studiert. Computer waren schon | |
| immer mein Steckenpferd. Aber ich habe eine Erbkrankheit, Muskelatrophie. | |
| Muskeln, die nicht ständig benutzt werden, verkümmern irgendwann. Und da | |
| ist die Feinmotorik vor die Hunde gegangen. Dann war ich in der Uniklinik | |
| Hamburg und die haben zu mir gesagt: Wenn du dein Studium beendest, wirst | |
| du mit 50 im Rollstuhl sitzen. Ich sollte was anderes machen. Dann habe ich | |
| beschlossen, Elbfischer zu werden. | |
| Warum? Sie hätten auch Schlosser werden können. | |
| Ich denke, das hat man mir in die Wiege gelegt, die Fischerei. Das hat mir | |
| Spaß gemacht und damals sind ja auch noch jede Menge Fische gefangen | |
| worden. Dann habe ich den Mut gefasst und das spezialisiert. Ich habe 1983 | |
| mit der Stintfischerei angefangen und dann habe ich den ganzen Hamburger | |
| Fischmarkt beliefert, alle Restaurants in Hamburg. Das ist unvorstellbar | |
| gewesen. Keiner hatte den Stint mehr auf dem Zettel. Für die Gastronomie | |
| ist es ganz wichtig gewesen, alle wollten Stint essen. | |
| Obwohl der Fluss so vergiftet war? | |
| Die Stinte verbringen 90 Prozent ihres Lebens im Nordatlantik. Die werden | |
| hier geboren, bleiben ein halbes Jahr und dann schwimmen die ins Meer. Die | |
| kommen erst wieder, wenn sie geschlechtsreif sind, laichen hier ab und | |
| sterben. Die haben also nicht genug Zeit in der Elbe verbracht, um davon | |
| betroffen gewesen zu sein. | |
| Bereitet Ihnen Ihre Krankheit beim Fischen keine Probleme? | |
| Das bereitet mir schon Probleme, weil die fehlende Feinmotorik mich | |
| einschränkt. Aber irgendwie bekommt man das schon hin, der Körper stellt | |
| sich darauf ein. | |
| Wie sieht denn so ein Tag als Fischer auf der Elbe aus? | |
| Die meisten Leute denken immer, wenn die Sonne aufgeht, muss man zum | |
| Fischen auf die Elbe fahren. Aber dem ist nicht so, wir haben hier ja ein | |
| Tidegewässer, Ebbe und Flut. Das Ganze ist also abhängig vom Mond. Wenn | |
| heute um 8 Uhr Hochwasser ist, ist es morgen um 9, übermorgen um 10. Das | |
| verschiebt sich jeden Tag ungefähr eine Stunde. Das ist das Schlimmste an | |
| diesem Job. Wenn ich im Winter Stinte fische, geht das rund um die Uhr. | |
| Alle sechs Stunden arbeite ich zwei Stunden. Aber das verschiebt sich jeden | |
| Tag um eine Stunde. | |
| Sie sind heute einer der letzten hauptberuflichen Stintfischer. Warum? | |
| Das ist schon eine heftige Geschichte. Um das Jahr 1900 herum gab es noch | |
| 1.200 Fischereibetriebe, die nur vom Fisch aus der Elbe gelebt haben. Jetzt | |
| sind es eben nur noch drei. Und selbst diese drei Betriebe können von dem | |
| Fischfang in der Elbe kaum noch leben. Heute kann ich es niemandem | |
| empfehlen, Elbfischer zu werden, weil einfach die ganzen Stinte nicht mehr | |
| da sind. Das ist eine wichtige Fischart. | |
| Wichtiger als andere? | |
| Der ist extrem wichtig, weil alle anderen Fische auch von diesem Fisch | |
| leben. Die ganze Natur lebt davon. Wenn es keinen Stint gibt, dann gibt es | |
| auch keine Seeschwalbe. | |
| Die frisst den Stint auch. | |
| Die ganze Natur hat sich darauf eingestellt, dass hier am Fluss Elbe alles | |
| vom Stint lebt, wenn dann einmal dieser wichtige Fisch nicht mehr da ist, | |
| dann bricht vieles auseinander. | |
| Wird der Stint auch von der Elbvertiefung bedroht? | |
| Das ist die erste Elbvertiefung, bei der kein Schlick aus dem System Elbe | |
| herausgenommen wird. Er wird vor den Toren Hamburgs gebaggert und dann bei | |
| Cuxhaven wieder in den Fluss geschmissen. Und durch Ebbe und Flut dauert | |
| das drei, vier Wochen, dann ist das alles wieder hier. Das ist eine | |
| Endlosbaggerei, die dazu geführt hat, dass der ganze Fluss verschlickt und | |
| auch nicht mehr so klar ist. Wenn die Stinte aus den Eiern schlüpfen, sind | |
| sie sehr klein. Die müssen innerhalb von zehn Tagen lernen, Nahrung zu | |
| suchen. Durch das verschlickte Wasser verschleimen aber die kleinen Kiemen | |
| und dann sterben die. | |
| Das gefährdet auch Ihre Zukunft. | |
| Wie es weitergehen wird, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich nach wie | |
| vor dranbleiben und mich einsetzen werde, um der Elbe etwas Gutes zu tun. | |
| Es kann nicht so weitergehen, wie jetzt mit der Natur umgegangen wird. Es | |
| kann doch nicht angehen, dass meine Enkelkinder irgendwann nicht mehr | |
| vernünftig auf der Welt leben können. Was ich zu verantworten habe! | |
| Wieso haben Sie das denn zu verantworten? | |
| Ich gehöre zu einer Generation, die sich viel zu wenig um die Natur | |
| gekümmert hat. Wir können doch nicht einfach Kinder in eine Welt setzen, | |
| die wir kaputt gemacht haben. Das finde ich verkehrt und darum setze ich | |
| mich hier auch so dafür ein, dass man das verbessert. | |
| Sie sind trotz Ihres handwerklichen Berufs auch noch ein Kopfmensch | |
| geblieben, oder? | |
| Als ich noch studiert habe, haben wir mal ein Buch des Club of Rome | |
| besprochen, das zum ersten Mal auf die Grenzen des Wachstums aufmerksam | |
| gemacht hat. Damals ging es um Innovation und was das heißt. Innovation ist | |
| wie ein Schachspiel, man muss nicht einen Zug vorausdenken, sondern drei, | |
| vier, fünf Züge. | |
| Was heißt das für Sie? Wie lange wollen Sie noch fischen? | |
| Gesundheitsbedingt so lange es geht. Also Stillstand ist Rückgang und ich | |
| muss immer so ein bisschen aktiv bleiben. Deswegen hoffe ich mal, dass ich | |
| auch noch mit 70 auf der Elbe rumkrebse. Jetzt bin ich 62. Im Augenblick | |
| habe ich noch richtig Lust dazu. | |
| Suchen Sie denn schon nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger? | |
| Nein, aber ich würde mich freuen, wenn ich jemanden finde, der meinen Laden | |
| übernimmt, mit mir als Fischer. Ich würde ihm dann in ein, zwei, drei | |
| Jahren die Elbfischerei beibringen. Aber es ist eben schwierig geworden, | |
| Stint ist ein ganz wesentlicher Faktor für das Überleben unseres Geschäfts. | |
| Wenn ein wichtiger Fisch wie der Stint nicht mehr da ist, erschwert es das | |
| eben, als Elbfischer über die Runden zu kommen. | |
| Aber mit den richtigen Maßnahmen könnte sich das wieder verbessern? | |
| Ja, das könnte sich wieder verbessern. | |
| 3 Apr 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Steffens | |
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