# taz.de -- Nachhaltige Fischerei: Der Siegelstreit | |
> Neue Regeln für Fischereien der Zertifizierungs-Organisation MSC gehen | |
> dem Umweltverband WWF nicht weit genug. | |
Bild: 100% fair? Oder doch nur zum Teil? Was ist drin, im Fischstäbchen? | |
BERLIN taz | Blaues Oval mit schemenhaft gezeichnetem weißen Fisch – das | |
MSC-Zertifikat prangt auf Thunfischdosen oder Fischstäbchenpackungen. Ein | |
Großteil der Fischprodukte ist inzwischen mit dem Siegel des Marine | |
Stewardship Council (MSC) zertifiziert. Vor Kurzem hat [1][MSC die Regeln | |
für den Zertifizierungsprozess geändert]. Damit habe die | |
Non-Profit-Organisation „das Feedback einer Reihe von Interessengruppen, | |
darunter NGOs, Fischereibetriebe und Zertifizierungsstellen“ | |
berücksichtigen, sagt Rohan Curry vom MSC. [2][Der Umweltorganisation WWF | |
gehen die Neuerungen nicht weit genug]. Sie seien unzureichend und | |
enttäuschend, heißt es. | |
Unter anderem fordert MSC nun, dass Fischereien einen Fischbestand nicht | |
gleichzeitig mit nachhaltigen und nichtnachhaltigen Methoden befischen. Ein | |
Siegel für Fischereien, die nachweislich Shark Finning betreiben – also die | |
Rückenflosse von Haien abschneiden, um den Körper danach wieder ins Meer zu | |
werfen – soll es nicht mehr geben. Allerdings kann ein Unternehmen das | |
umgehen, wenn es die Boote, auf denen so etwas passiert ist, von der | |
Fangflotte ausschließt. | |
Dem WWF reicht das nicht. Der [3][Umweltverband kritisiert], dass MSC keine | |
Kursänderung vorgenommen und Forderungen für den Reformprozess nicht | |
aufgenommen hat, etwa die Gewährleistung, dass Zertifizierungsauflagen auch | |
wirklich umgesetzt werden. Die Organisation hatte beim MSC Einspruch gegen | |
17 vorgeschlagene Zertifizierungen erhoben. Die Einsprüche waren bisher | |
wirkungslos. Eine Zertifizierung läuft noch, alle anderen wurden trotz der | |
Einwände angenommen. | |
„Anstatt eine bedeutende Reformagenda auf den Weg zu bringen, sitzt der MSC | |
die Situation einfach aus“, sagt WWF-Fischereiexperte Philipp Kanstinger. | |
Der Umweltverband zieht daraus Konsequenzen. „Leider sind wir gezwungen, | |
die Verlässlichkeit dieses Labels für eine wachsende Anzahl von Fischereien | |
in Frage zu stellen.“ Der WWF will sich weiterhin für Verbesserungen im | |
MSC-Programm einsetzen und gleichzeitig Einzelhändler und Verbraucher vor | |
zertifizierten Fischereien warnen, die nach Auffassung des Verbands nicht | |
nachhaltig sind. | |
## MSC löst nicht alle Probleme | |
Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und | |
ehrenamtliches Mitglied des Technischen Beratenden Gremiums des MSC, ist | |
dagegen der Auffassung, Produkte mit dem [4][MSC-Siegel] könne man guten | |
Gewissens kaufen – auch wenn es „wahnsinnig viel zu kritisieren gibt am | |
MSC“. | |
Das MSC löse nicht alle Probleme, sondern wolle Fischereien, die die | |
Schwelle zur Nachhaltigkeit überschritten haben, durch Anreize weiter | |
verbessern. Das funktioniere, sagt er mit Blick auf die 20-jährige | |
Geschichte des Siegels. Die MSC-Regeln seien ein Balanceakt, um die | |
Umweltverbände nicht zu verlieren und Fischereien nicht zu verprellen. 20 | |
Prozent des Weltfischmarktes seien zertifiziert. Bekäme nur der | |
„Goldstandard“ ein Siegel, wären es ein bis zwei Prozent. | |
Das oft vorherrschende Bild vom leer gefischten zerstörten Meer sei falsch, | |
erklärt Zimmermann. „Wenn wir die Welt ernähren wollen mit geringer | |
Belastung für die Umwelt, dann kommen wir nicht drumherum, das Meer zu | |
nutzen“, sagt er. Zwei Drittel der Fischbestände seien in gutem Zustand. | |
Ein Drittel nicht. Die Ökosysteme im Meer seien anders als an Land | |
miteinander verbunden und können sich besser ausgleichen. Während an Land | |
viele Tierarten vom Aussterben bedroht seien, sei das im Wasser nicht der | |
Fall. | |
Teilweise seien Fischbestände wegen Überfischung am „Kollabieren“ und | |
können nicht mehr „sinnvoll wirtschaftlich genutzt werden“. Das gelte etwa | |
für Dorsch und Seelachs. Um sich zu erholen, müsse der Fang drastisch | |
reduziert werden. Tatsächlich vom Aussterben bedroht seien der Weiße Hai | |
oder der Europäische [5][Aal]. Bei Letzterem sei die Nachwuchsproduktion | |
seit den 50er Jahren um bis zu 99 Prozent zurückgegangen. Aber das liege | |
nicht an Überfischung, sondern an anderen Umwelteinflüssen, sagt | |
Zimmermann. | |
16 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.msc.org/de/presse/pressemitteilungen/msc-ver%C3%B6ffentlicht-ak… | |
[2] https://www.wwf.de/2020/april/keine-kursaenderung/ | |
[3] /Gewalt-in-afrikanischen-Nationalparks/!5671819&s=wwf/ | |
[4] /Nachhaltiger-Fischkonsum/!5617039&s=msc/ | |
[5] /Die-Wahrheit/!5673331&s=fische/ | |
## AUTOREN | |
Mareike Andert | |
Frederik Schmidt | |
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