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# taz.de -- Folgen der Schulschließungen: Corona macht Bildung ungleicher
> Viele Lehrer:innen stellen jetzt auf E-Learning um. Doch der digitale
> Unterricht bevorzugt die ohnehin Privilegierten.
Bild: Tablet: eher in privilegierten Familien vorhanden
Die erste Schulwoche zu Hause ist rum. Und auch wenn die Erfahrungen der
knapp 11 Millionen Schüler:innen im Land beim Homeschooling stark
auseinandergehen dürften, lässt sich eines schon jetzt mit Bestimmtheit
sagen: Das Coronavirus wird die deutsche Bildungslandschaft stärker prägen
als alles, was Bund und Länder in den letzten Jahren in Sachen E-Learning
beschlossen haben. Und das hat vor allem mit den Versäumnissen der Politik
zu tun – und einer unmöglichen Schulbürokratie.
Jahrelang haben Bund und Länder um [1][den Digitalpakt Schule] gestritten,
weil dafür das Grundgesetz geändert werden musste. Vor gut einem Jahr
einigten sich beide Seiten – doch von den 5 Milliarden Euro vom Bund ist
noch fast nichts an die Schulen geflossen. In manchen Bundesländern ist
noch nicht mal ein Prozent der Mittel bewilligt worden. Entsprechend
desaströs ist es um die IT-Ausstattung an deutschen Schulen bestellt.
Nach einer aktuellen Umfrage unter Schulleiter:innen, die die
Lehrergewerkschaft VBE am Freitag vorgestellt hat, gibt es nur bei rund
einem Drittel der Schulen WLAN und eine Breitbandverbindung in allen
Klassenzimmern. Schuleigene Tablets und Smartphones besitzt auch nur gut
ein Drittel der Schulen, und dann nicht einmal für alle Klassen. Wie sie
Gelder des Digitalpakts abrufen können, darüber fühlen sich nur jede zweite
Schulleiterin und jeder zweite Schulleiter gut informiert.
Tatsächlich können sie das gar nicht selbst, sondern nur die Schulträger,
also meist die Kommunen. Und die scheinen es nicht sonderlich eilig zu
haben mit den Anträgen. Was aber noch schlimmer ist: Die Schulen können
nicht frei entscheiden, wofür sie das Geld ausgeben. Liegt der beschlossene
Förderschwerpunkt auf IT-Infrastruktur, darf die Schule Kabel verlegen
lassen, aber keine iPads kaufen. Kein Wunder, dass es unter
Schulleiter:innen hinter vorgehaltener Hand heißt: Nur wer kreativ ist,
kann Geld in die digitale Infrastruktur stecken.
## Latein per E-Learning
Und doch: Plötzlich geht alles wegen Corona ganz schnell. Natürlich nicht
mit einer unkomplizierten Auszahlung der Digitalpakt-Gelder – dem haben die
Länder vergangene Woche schon eine Absage erteilt. Dafür aber mit dem
digitalen Unterricht. Nach den Schulschließungen haben sich die
Anmeldezahlen bei Lernplattformen vervielfacht. Auf den Bildungsservern der
Republik finden sich plötzlich so viele digitale Lernangebote wie nie. Da
gibt es E-Latein-Programme, Erklärvideos auf YouTube und Links zum
Schulfernsehen.
Und auch wenn viele Lehrer:innen schnell über zusätzliche Arbeit stöhnen
– ein wunder Punkt in den Lehrerzimmern –, [2][sehr viele Lehrer:innen
machen beim Experiment E-Learning] mit. Der Unterricht wird digitaler – und
das ist leider ein Problem. Schon jetzt hängt der Bildungserfolg in
Deutschland stark von der sozialen Herkunft der Schüler:innen ab. Wer aus
einer armen Familie kommt, hat deutlich geringere Chancen, auf ein
Gymnasium zu kommen. Und noch geringere, es auf die Uni zu schaffen. Daran
erinnert uns alle drei Jahre die Pisa-Studie. Das E-Learning wird die
soziale Ungleichheit aber noch verstärken. Denn es gibt diesen
Teufelskreislauf: Kinder, deren Eltern einen einfachen Bildungsabschluss
haben, sind besonders stark armutsgefährdet. Den sozialen Aufstieg schaffen
sie oft aber nicht, weil sie in diesem System früh ausgesiebt werden.
Wird der Unterricht jetzt digitaler, wird er noch exklusiver. Viele
Familien haben zu Hause weder Laptop noch Tablet, an denen ihre Kinder
arbeiten könnten. Und die versprochenen Bundesmilliarden, von denen die
Schulen zum Beispiel Geräte für die ganze Klasse kaufen könnten, sind –
siehe oben – vielerorts noch nicht da oder dürfen nicht dafür verwendet
werden. Was zur Folge hat, dass nur diejenigen Schulen digital unterrichten
können, deren Klientel privilegiert ist, also – digital gesehen – genügend
smarte Geräte sowie eine eine gute Internetverbindung hat. Und wer hat das?
Richtig: wohlhabendere Familien mit eher akademischem Background. Was also
tun?
Zunächst: Die Schulen müssen einen größeren Spielraum bei ihren Budgets
bekommen. Es kann nicht angehen, dass die Maxime „[3][Bring your own
device]“ immer noch Familien als soziale Unterschicht bloßstellt. Wer
digitales Lernen möchte, muss auch die Lernmittel zur Verfügung stellen –
das ist bei Schulbüchern schließlich auch nicht anders. In Rheinland-Pfalz
etwa gibt es Modellschulen mit reinen iPad-Klassen – die Geräte müssen die
Familien jedoch selbst bezahlen.
Es sollte alle beschämen, wenn Schulleiter:innen oder Eltern immer erst
einen Förderverein gründen müssen, damit auch Jenny und Murat im Unterricht
mitmachen können. Manche Bundesländer bieten einkommensschwachen Eltern an,
die Schulbücher auszuleihen, statt selbst zu bezahlen. Warum nicht auch bei
Smartphones oder Tablets?
Zweitens: Alle Schulen im Land müssen von der IT-Infrastruktur auf
denselben Stand gebracht werden. Zu häufig sind digitale Modell- oder
Pilotschulen noch diejenigen, auf die die privilegierten Kids gehen. Und
drittens: Medienbildung muss endlich viel stärker im Studium geübt werden.
Vor Corona hat nur jede und jeder vierte Pädadgog:in digitale Medien
täglich im Unterricht eingesetzt. Aber vielleicht hilft da – wie auch in
der Schule – Corona mit, die Entwicklung zu beschleunigen.
Denn auch die Universitäten werden nun digitaler. Zumindest haben viele
Unis schon angekündigt, ihre Vorlesungen künftig aufzunehmen oder live zu
streamen. Wenn die Lehrer:innen von morgen digitales Lernen dadurch als
Normalität erfahren, dürfte sie das für E-Learning aufgeschlossener machen.
Übrigens schließt sich da ein Kreis: Vor Jahren hoffte man, dass gefilmte
und frei ins Netz gestellte Kurse und Seminare die Bildung weniger exklusiv
machen würden. Mit Blick auf Deutschland muss man auch im Jahr 2020 davor
warnen, dass sie genau das Gegenteil bewirken.
23 Mar 2020
## LINKS
[1] /Kommentar-Einigung-zum-Digitalpakt/!5572157
[2] /Lernen-zu-Hause/!5669207
[3] /Digitalisierter-Unterricht-in-Hamburg/!5493134
## AUTOREN
Ralf Pauli
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Bildung
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