# taz.de -- Hochschulen in der Corona-Krise: Statt präsent jetzt kreativ | |
> Am 1. April beginnt das Sommersemester. Doch an Arbeitsgruppen auf der | |
> Wiese ist derzeit nicht zu denken. Berlins Unis arbeiten an digitalen | |
> Lösungen. | |
Bild: Wo sind denn alle? Mit dem Laptop auf dem Sofa! Verwaist: die Humboldt-Uni | |
Unter der Coronakrise haben sich auch die Universitäten, Fachhochschulen | |
und Forschungseinrichtungen, wie nahezu alle alle anderen öffentlichen | |
Einrichtungen, in den totalen „Shutdown“ begeben. Die Türen sind | |
verschlossen, die Hörsäle verweist. Die rund 150.000 Studierenden der | |
Hauptstadt sitzen zu Hause in ihren Homeoffices, elektronisch eingestöpselt | |
in die Rechnernetze ihrer Alma Mater. Im Krisenmodus arbeiten | |
Hochschulleitungen und Wissenschaftspolitik daran, dass es kein | |
„Nichtsemester“ wird, sondern, so der Berliner Staatssekretär für | |
Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, ein „Kreativsemester“. | |
Es spricht einiges dafür, dass es so kommen könnte. „Das Ausrufen eines | |
generellen Nichtsemesters halten wir zum jetzigen Zeitpunkt für | |
kontraproduktiv“, betont der Präsident der Technischen Universität, | |
Christian Thomsen, der gegenwärtig auch Vorsitzender der Berliner | |
Landesrektorenkonferenz ist. „Das Signal der Berliner Hochschulen heißt | |
stattdessen: Ermöglichung und digitaler Aufbruch“, betont Thomsen. Aus | |
seinem Homeoffice mitten im Grünen verschickt er via YouTube aufmunternde | |
Worte. Im Hintergrund zwitschern die Vögel. | |
Der Ingenieur Ben Jastram ist einer der wenigen Auserwählten, die vom | |
Pförtner noch in die Technische Universität hineingelassen werden. „Weil | |
wir sozusagen systemrelevant sind“, erklärt er am Telefon. Im 3-D-Labor am | |
Institut für Mathematik der TU Berlin organisiert Jastram eine Initiative, | |
mit der durch die Technik der „Additiven Fertigung“ medizinische | |
Ersatzteile aus dem Drucker hergestellt werden können. Hintergrund ist | |
nicht nur der Mangel an Atemschutzmasken, Beatmungsgeräten und sterilen | |
Handschuhen für die Krankenhäuser, sondern auch der Bedarf an Ersatzteilen | |
für Medizinprodukte; wie beispielsweise spezielle Ventile für | |
Beatmungsgeräte, die plötzlich in großer Zahl benötigt werden. | |
Nach einem Hilferuf aus der EU-Kommission an die 3-D-Experten wurde spontan | |
in Zusammenarbeit mit dem Verband 3DDruck die Berliner Gruppe gebildet. Sie | |
ist dabei, ein lokales, regionales und im Idealfall auch bundesweites | |
Produktionsnetzwerk zu knüpfen. Es soll in der Lage sein, wie Joachim | |
Weinhold vom 3-D-Labor der TU Berlin erklärt, „schnell und im Verbund | |
signifikante Stückzahlen von Bauteilen für Atem- und Schutzmasken sowie | |
Ersatz- und Verschleißteile zur Verfügung zu stellen – wie zum Beispiel | |
Schutzbrillen oder -visiere, komplexe Ventilteile oder Prototypen“. | |
Sonst aber herrscht Stille in der TU und den anderen Hochschulen. 99 | |
Prozent der Arbeitsplätze sind verwaist. Zwei Mal in der Woche begibt sich | |
Carsten Busch aus seinem Homeoffice ins HTW-Präsidentenbüro. „Ganz allein | |
durch die Flure, das ist schon etwas unheimlich“, bemerkt er. Sein Hauptjob | |
ist es, an der Hochschule mit 14.000 Studierenden den „Präsenznotbetrieb“ | |
zu gewährleisten. Das bedeutet für die Lehre das Umschalten auf | |
Online-Unterricht. Ganz neu ist das für die HTW nicht. Viele Vorlesungen | |
gibt es auf Video. Vereinzelt wurden sogar schon Prüfungen im | |
„Remote“-Modus durchgeführt: „Wenn sich etwa einer der Prüfer bei einem | |
Unternehmen in Schweden befand.“ Die Herausforderung des Sommersemesters | |
besteht darin, diese punktuellen Kompetenzen jetzt in die Breite | |
auszurollen. | |
Damit dafür nötige Anschaffungen – an der HTW sind das unter anderem | |
Lizenzen für Videokonferenzen – schnell bezahlt werden können, hat der | |
Senat Mitte März ein 10-Millionen-Euro-Sofortprogramm „VirtualCampusBerlin“ | |
für die Hochschulen beschlossen. Die Investitionen sollen in zusätzliche | |
IT-Infrastruktur fließen, wie etwa neue Server, Videokonferenz-Anlagen und | |
Softwarelizenzen, und die Digitalisierungsinitiativen der Berliner | |
Hochschulen auch für die Zukunft stärken. Schon in den Hochschulverträgen | |
vor zwei Jahren hatten die Hochschulen 28 Millionen Euro für die | |
Digitalisierung von Lehre und Forschung erhalten. „Der Präsenzbetrieb an | |
den Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist zwar stark eingeschränkt, | |
aber wir arbeiten gemeinsam daran, möglichst viele Seminare und Vorlesungen | |
digital zugänglich zu machen und auch verlässliche neue Formate für | |
Online-Prüfungen zu gestalten“, erklärte der Regierende Bürgermeister | |
Michael Müller in seiner Eigenschaft als Wissenschaftssenator. | |
Täglich bespricht die „Covid-19 Taskforce der Wissenschaftsverwaltung“ | |
unter Leitung von Staatssekreträr Krach in einer Telefonschalte mit über 30 | |
Hochschulvertetern die Lage. „Wir schalten auf Schwarmintelligenz, gelernt | |
& geforscht wird dezentral weiter & an neuen Onlineformaten getüftelt“, | |
verbreitet der twitteraktive Wissenschaftspolitiker seinen digitalen | |
Optimismus. „We’ll be back!“ | |
Die Botschaft geht hinaus in die neue virtuelle Gesamthochschule, die sich | |
nun an Zigtausenden von Privatschreibtischen, Balkons und Sofaecken | |
provisorisch eingerichtet hat. „Wir arbeiten hier zu Hause nun in einer Art | |
Coworking Space und unterstützen einander.“, schreibt Adina Herde von der | |
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der HTW im „Homeoffice“-Blog ihrer | |
Hochschule. „Ich helfe den Kindern bei den Schulaufgaben. Als Gegenleistung | |
leiht mir mein Sohn seine Gaming-Kopfhörer für die tägliche | |
Krisenstab-Telko. Und meine Tochter macht mir dazu einen Kakao.“ Die | |
Notsituation hat auch Facetten der Idylle. „Sehr froh bin ich“, ergänzt | |
Herde, „dass die HTW Berlin eine super IT-Infrastruktur hat, sodass ich als | |
Online-Redakteurin problemlos aus dem Homeoffice arbeiten kann.“ | |
Auf dem neu eingerichteten Corona-Blog der Freien Universität „Corona – | |
Fragen an die Wissenschaft“ wird das Thema tiefer beackert. „Wir können | |
jetzt ganz fundamentale Weichen für die Zukunft stellen“, schreibt der | |
Sozialwissenschaftler Martin Voss von der Katastrophenforschungsstelle der | |
Freien Universität. Am gegenwärtigen Krisenmodus missfällt ihm, dass die | |
Bundesregierung zu sehr auf die epidemiologische Problemlage konzentriert | |
sei, wodurch andere „vulnerable Gruppen“ aus dem Blick geraten. | |
„Hunderttausende hierzulande und Millionen weltweit werden in den nächsten | |
Wochen und Monaten in existenzielle Nöte geraten. Für Menschen etwa mit | |
psychischen Erkrankungen stellt die Kontaktsperre eine besondere | |
Herausforderung dar“, gibt Voss zu bedenken. Auch müsse die globale | |
Dimension der Coronakrise gesehen werden. „Unsere Gesellschaft kümmert sich | |
nicht genügend darum, wie es in anderen Ländern aussieht.“ Diese Ignoranz | |
könne sich rächen. „Aber vielleicht lernen wir jetzt, dass wir tatsächlich | |
alle Familienmitglieder sind in einer auf das Engste vernetzten Welt“, | |
meint der FU-Wissenschaftler. „Es ist damit auch eine historische, sogar | |
epochale Chance.“ | |
31 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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