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# taz.de -- Digitales Lernen in Corona-Zeiten: Plötzlich Realexperiment
> Forscher haben Lernformen per Internet untersucht – durch die
> Corona-Pandemie plötzlich mitten im weltgrößten Experiment zur
> Onlinelehre.
Bild: Düsseldorf: Blick auf leere Stuhlreihen in der Aula des geschlossenen Hu…
BERLIN taz | Die Digitalisierung wird das Bildungswesen verändern, aber
wie? Das wollten Bildungsforscher am Berliner Weizenbaum-Institut für
Internet und Gesellschaft genauer untersuchen und machten sich Anfang des
Jahres auf den Weg ins Silicon Valley nach Kalifornien, einer Wiege
digitaler Lerntechniken für einen besseren Unterricht. Doch dann kam
[1][das Coronavirus] und stellte alles auf den Kopf. Vor dem Hintergrund
landesweiter Schließungen von Schulen und Universitäten hat sich nun die
Forschungsfrage verändert: Nur digital lässt sich der Bildungskollaps
vermeiden – Tele-Unterricht ist das Gebot der Stunde.
„Uns interessiert, wie das deutsche Bildungssystem auf eine solche Epidemie
vorbereitet ist und wie schnell Lehre und Wissensvermittlung ins Digitale
überführt werden können“, erklärt Gergana Vladova, die die Forschungsgrup…
Bildung und Weiterbildung in der digitalen Gesellschaft leitet. Um
Vergleichsmöglichkeiten zu gewinnen, wurde auch die Situation im Ausland,
besonders in China, untersucht. „Es ist sehr spannend zu sehen, was China
an Maßnahmen eingeleitet hat, um die Lehre aufrechtzuerhalten“, ergänzt
André Renz, der am Weizenbaum-Institut eine Forschungsgruppe mit Fokus auf
datenbasierte Geschäftsmodelle im EdTech-Bereich leitet.
In einer Ad-hoc-Aktion erziehungswissenschaftlicher Feldforschung wurden in
den letzten zwei Wochen Interviews mit Forschungs- und Kooperationspartnern
aus Hongkong, Wuhan, Peking und Berlin geführt. „Es wurde in den Gesprächen
mit Schulen deutlich, dass sich der Möglichkeitsraum einer
volldigitalisierten Lehre im Dualismus zwischen totaler Ohnmacht und
sofortiger Einsatzbereitschaft erstreckt“, sagt Renz. Diese Diskrepanz habe
aber nur zum Teil ihre Ursache in der ungleichen IT-Infrastruktur der
Schulen. Selbst wenn eine Schule mit einem LMS (Learning Management System)
ausgestattet ist, sei keineswegs gegeben, dass auch wirklich alle
Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrer dort registriert sind und ihre
Kontaktdaten hinterlegt haben.
Ein weiterer Faktor ist das Engagement und ein hohes Maß an Eigeninitiative
der Beteiligten, wozu beim Home-Learning auch die Eltern gehören. „Dies
wurde von den Schulen, mit denen wir gesprochen haben, deutlich betont“,
merkt Renz an. Nicht selten stellt sich heraus, dass die digitalen
Lehrinhalte und Übungen noch nicht ausreichend trainiert worden sind. Von
einigen Schulen hat Renz erfahren, „dass die Kompetenzprofile und
Souveränität der Lehrkräfte im Umgang mit dem Einsatz digitaler
Lehrmethoden partiell nur sehr basal ausgeprägt sind“.
## Wandel der Bildung
Die gleichen Praxisdefizite wurden auch aus China gemeldet. Das
Weizenbaum-Institut wurde 2017 als ein Konsortium von Berliner Hochschulen
gegründet und war mit diesem Konzept beim Wettbewerb des
Bundesforschungsministeriums um das führende deutsche Internet-Institut so
erfolgreich, dass die Siegprämie – 50 Millionen Euro für fünf Jahre – an
die Spree ging. Seitdem werden in dem Forschungsinstitut, das in der
Berliner Hardenbergstraße in einem ehemaligen Bankgebäude untergebracht
ist, die Transformationen der digitalen Gesellschaft interdisziplinär
untersucht, mit dem Schwerpunkt auf sozialwissenschaftlichen
Forschungsansätzen. Ein Thema ist der Wandel der Bildung.
Dabei geht es nicht nur um den Einsatz und die Didaktik digitaler
Schulbücher, smarter Lernprogramme oder MOOCs an den Universitäten (Massive
Open Online Courses = Hochschul-Vorlesungen im Internet) und weiterer
Hilfsmittel der EdTech-Lernprogramme, die inner- wie außerhalb des
Klassenraums genutzt werden. Ein neues Forschungsfeld mit dem Namen
„Learning Analytics“ befasst sich damit, wie die riesigen Datenschätze, die
beim digitalen Lernen anfallen, für weitere pädagogische Schritte genutzt
werden können. Wie sollten Lerninhalte präsentiert werden, damit sie am
besten verstanden werden? Wie sieht der optimale Ablauf eines Schultags
aus? Wie sollte unser Schulsystem aufgebaut sein? Die Lerndaten, mit Hilfe
Künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet, könnten Antworten darauf geben.
Wie sich diese Entwicklung in den USA vollzieht, sollte in einer
Forschungsreise im Januar herausgefunden werden, die ins Silicon Valley
führte, wo viele Leuchtturmprojekte angesiedelt sind. „Im öffentlichen
Diskurs wird immer wieder auf den nordamerikanischen Raum als Vorreiter der
Digitalisierung der Bildung verwiesen“, erklärt Renz. „Wir stellten dann
aber fest, dass es in den USA noch sehr viele Unsicherheiten über den
Einsatz digitaler Lösungen in den Schulen gibt, die sehr ähnlich zu den
Herausforderungen in Deutschland sind.“ Ein weiteres Ergebnis: „Learning
Analytics und KI sind keine relevanten Themen für öffentliche Schulen, da
diese oftmals mit viel rudimentäreren Herausforderungen zu kämpfen haben.“
## Neue Lerntechniken
In den Schulen geht es vor allem um die Frage, wie diese Technologien
praktisch eingesetzt werden, während „die Fragen nach dem Warum nur langsam
an Relevanz gewinnt“. Auch der Datenschutz sei „ein sehr diverses Thema“.
Einen eindeutigen Vorteil des kalifornischen Schulsystems sieht Renz
dagegen in der Infrastruktur: „In den Schulbezirken und in größeren Schulen
gibt es EdTech-Beauftragte, die alle Themen und Anliegen zur
Digitalisierung zentralisieren“. Diese Personalie fehle in Deutschland.
Renz: „Wie wir wissen, ist es mit der bloßen Bereitstellung von IT leider
nicht getan.“
Jetzt hat das Coronavirus das klassische Schulwesen zumindest zeitweise zum
Erliegen gebracht. Wie digitale Lerntechniken in dieser Situation
einspringen können, ist derzeit ein Realexperiment mit mehr als zehn
Millionen Teilnehmern. Die Weizenbaum-Forscher werden den Ablauf begleiten,
womöglich beeinflussen. Der Shutdown betrifft auch den tertiären
Bildungssektor, das Hochschulsystem. Mit der von Gergana Vladova
durchgeführten Hochschulumfrage an insgesamt mehr als 100 Universitäten
wurde ein aktuelles Stimmungsbild unter Universitätslehrenden ermittelt,
einschließlich ihrer Bereitschaft, den Lehrbetrieb in kurzer Zeit
vollständig onlinebasiert durchzuführen. Die ersten 200 ausgewerteten
Antworten zeigen unter anderem, dass die Mehrheit der Befragten die Krise
als Chance verstehen, den Einsatz digitaler Techniken in der Lehre vermehrt
zu fördern. Ein Interviewpartner aus der Universität in Wuhan fasste es in
die Worte: „Wir befinden uns mittendrin im vielleicht größten Experiment
zur Onlinelehre.“
23 Mar 2020
## LINKS
[1] /Corona-Krise-weltweit/!5672392
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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