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# taz.de -- Entwicklung der Arbeitswelt: Technik ist gestaltbar
> Wilkommen in der Corona-Gegenwart! Telearbeit ist nur ein Aspekt der
> technischen Entwicklung, die auf einer Konferenz in Berlin diskutiert
> wird.
Bild: Homeoffice auf dem Vormarsch
Wie wurde doch die Telearbeit in den 1980er Jahren gepriesen und als
„Heilsbringer der Informationsgesellschaft“ propagiert! „Wirtschaftlich�…
„umweltentlastend“ und „familienfreundlich“, waren nur einige der
Pro-Argumente. Einen bestimmten Effekt der „elektronischen Heimarbeit“
allerdings hatte damals niemand auf dem Schirm: die medizinische Prävention
im Falle von Virus-Epidemien. Willkommen in der Corona-Gegenwart!
Der Berliner Technikhistoriker Mirko Winkelmann hat die Entwicklung der
Telearbeit genauer untersucht und seine Ergebnisse kürzlich auf der Tagung
„Technikwenden in Vergangenheit und Zukunft“ in der TU Berlin vorgestellt.
Die neue Technik der Computer-Büroarbeit zu Hause war indes kein Siegeszug
von Anfang an, sondern durchlief mehrere Schleifen und „Wenden“, bis sie
ihre heute weithin akzeptierte und praktizierte Form der mobilen PC-Arbeit
fand. Auch andere Technologien, so zeigte die Jahrestagung des Ausschusses
für Technikgeschichte im Verein Deutscher Ingenieure (VDI), mussten in der
Vergangenheit teils verwickelte Wege durchlaufen, bis sie eine breite
Anwendung erreichten. Beispiele dafür sind die „Industrie 4.0“ oder die
Nanotechnologie.
„Noch kurz vor dem Zubettgehen per Mobiltelefon eine berufliche E-Mail
beantworten, im Zug zum nächsten Kunden auf dem Laptop eine Präsentation
vorbereiten, oder auch zwei Tage die Woche ganz von zu Hause arbeiten, im
Homeoffice.“ So beschreibt Mirko Winkelmann den heutigen Status der
„Telearbeit“. Die ersten Ansätze in Deutschland reichen vier Jahrzehnte
zurück, als die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnik in
die Arbeitswelt der Büroangestellten übertragen werden sollten.
In den ersten Modellversuchen konnten Sekretärinnen ihre Schreibarbeiten zu
Hause erledigen und nebenbei die Kinder betreuen. Diese erste Phase der
Telearbeit scheiterte jedoch am Widerstand der Gewerkschaften. Bei der
Phase 2 setzten die Deutsche Telekom und die Forschungspolitik dann auf die
leitenden Angestellten als Zielgruppen, ebenfalls ohne Erfolg. Der
Durchbruch kam erst in den nuller Jahren mit der Verbreitung der mobilen
Telefonie, die der ortsunabhängigen Büroarbeit den Boden bereitete.
## In der Rückschau
Aus der Geschichte der Telearbeit lasse sich in der Rückschau „jede Menge
lernen“, meint Winkelmann. „Sie zeigt zum Beispiel sehr schön, wie
gegenwärtige Ängste oder Hoffnungen den Blick auf neue Techniken verzerren;
man sieht halt nur, was man sehen will.“ Nicht zuletzt zeige die Geschichte
der Telearbeit auch, „wie wenig disruptiv der Wandel der Arbeitswelt im
Zuge der Digitalisierung bisher daherkam“, so der TU-Technikhistoriker.
Geradliniger verlief die Technikentwicklung dagegen bei der
Fabrikautomatisierung, während sich die Brüche eher in der Semantik und der
großen Erzählung über die „Fabrik der Zukunft“ vollzogen. So untersuchte
Nora Thorade von der TU Darmstadt in einem Projekt der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) über die „Industrie 4.0“, wie die
Rechentechnik Einzug in die Fabrikhallen fand. „Die Einführung in den 70er
Jahren verlief zunächst schleppend“, stellte die Historikerin fest.
Zunächst ging es um die Steuerung einzelner Produktionsmaschinen,
sogenannte CNC-Maschinen („Computer Numeric Control“).
Dem schlossen sich alsbald die CAD-Techniken an (computer-aided design),
die das Konstruieren und Simulieren am Rechner ermöglichten, sowie als
Höhepunkt in den 80er Jahren CIM (computer-integrated manufacturing) mit
der Vision der rechnergesteuerten und tendenziell auch menschenleeren
Fabrik. „In den 90er Jahren galt CIM in der Fabrikwelt als gescheitert“,
erklärte Thorade. Die neue Technikwende kam, als das Internet die Steuerung
der Datenströme ermöglichte und die deutschen Produktionsforscher 2011 auf
der Hannover Messe dafür das eingängige Label „Industrie 4.0“ kreierten �…
eine Wort-Erfindung.
Wie Forschungsmarketing und Technologieentwicklung sich zu einem
regelrechten „Hype“ kombinieren können, stellte der Wiener Technikforscher
Franz Seifert am Beispiel der Nanotechnologie dar. Erwartungen an künftigen
Nutzen in verschiedenen Bereichen, von der Medizin bis zur Landwirtschaft,
wurden zuerst formuliert. Es folgten staatliche Förderprogramme, die Wellen
der Bewerbung auslösten: ein chemischer Minimal-Fortschritt in der
Verfahrenstechnik wurde nun als Durchbruch in der Nanotechnologie
etikettiert. Einen vergleichbaren Hype-Zyklus machte Seifert in der
aktuelle Forschungsförderung zur „künstlichen Intelligenz“ aus.
## Partizipative Technikgestaltung
Tatsächlich brauchen neue Technologien zu ihrer Verbreitung nicht nur
Kosten- und Handling-Vorteile, sondern auch „gesellschaftliche Narrative“,
wie es der Potsdamer Soziologe Ortwin Renn auf der Konferenz formulierte.
Anders als Technik, die gestaltbar ist, lassen sich aber „Narrative nicht
verordnen“, hob der Direktor des Instituts für Angewandte
Nachhaltigkeitsforschung IASS hervor. Dies zeige sich zunehmend in Fällen
der praktischen Politikberatung, etwa bei der Etablierung der neuen Agentur
für Sprunginnovationen. Eine „Agentur für partizipative Technikgestaltung�…
unter Mitwirkung der Gesellschaft und ihrer Kreativitätspotenziale, hielt
Renn für noch wichtiger. Eine Technikwende in die Zukunft.
Den Blick in beide Zeitdimensionen, Vergangenheit und Zukunft, konnte
Helmuth Trischler in Personalunion beitragen: Als Abteilungsleiter am
Deutschen Museum in München, dem „Tempel“ der deutschen Technikgeschichte,
ist er mit den Wegen der technisch-wissenschaftlichen Erfindungen und der
Pflege ihrer Artefakte befasst. Zugleich wirkt er aktuell mit am Aufbau der
neuen Museums-Außenstelle in Nürnberg, das sich dezidiert als
„Zukunftsmuseum“ positionieren will – und damit als bayerischer Kontrahent
zum Berliner „Futurium“. Eröffnung ist Ende 2020.
Trischler verwies auf eine wichtige Veränderung, einen „Epochenbruch“ in
den 70er Jahren, als in der deutschen Gesellschaft der bis dahin
dominierende Zukunftsoptimismus zu schwinden begann. „Heute haben wir es
mit einer Entfuturisierung der Zukunft durch eine erstreckte Gegenwart zu
tun“, formulierte es der Museums-Experte. Von Bedeutung für die
gesellschaftliche Diskussion über neue Zukunftsentwürfe seien neue
Rahmungen wie das Narrativ vom „Anthropozän“ – der Umgestaltung der
planetaren Umwelt durch den Menschen und seine Technologien.
Dass diese neuen Vermittlungsansätze auf Zuspruch treffen, belegte
Trischler mit der „Anthropozän“-Ausstellung im Deutschen Museum, die
400.000 Besucher anzog; die darauf folgende Sonderausstellung zur
Energiewende – der Technikwende im Energiesektor – hatte sogar 800.000
Besucher.
„Das ist uns deshalb gelungen, weil diese Ausstellungen partizipativ
ausgerichtet waren, mit der Öffentlichkeit als Co-Produzent“, erklärte
Trischler das Erfolgsgeheimnis. „An diesen partizipativen Elementen müssen
wir in Zukunft weiter arbeiten.“
16 Mar 2020
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Zukunft
Innovation
Technik
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
künstliche Intelligenz
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