| # taz.de -- Neuer Kurs im Wirtschaftsministerium: Der Wind hat sich gedreht | |
| > Radikale Gegner der Energiewende gewinnen an Einfluss – und bremsen die | |
| > Windkraft aus. Selbst die Industrie protestiert. | |
| Bild: Die Windkraftgegner sind überall – auch im Bundeswirtschaftsministerium | |
| Berlin taz | Der 5. September 2019 war ein angenehmer Spätsommertag in | |
| Berlin. Im Bundeswirtschaftsministerium hatte Peter Altmaier (CDU) zum | |
| [1][„Windgipfel“] geladen: Vertreter der Industrie, der Behörden und der | |
| Länder saßen zusammen, um sich gegen die Krise zu wappnen. „Wir möchten, | |
| dass diese Branche erhalten bleibt und dass sie eine Zukunftsperspektive | |
| hat“, erklärte der Minister nach dem Treffen. | |
| Direkt nach dem Gipfel hatte Altmaier noch einen internen Termin: In der | |
| Eingangshalle des Wirtschaftsministeriums, eines wuchtigen wilhelminischen | |
| Baus in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs, warteten etwa hundert | |
| Mitarbeiter des Ministeriums. Bei Butterbrezeln und Getränken wurde der | |
| Leiter der Abteilung „Energiepolitik – Strom und Netze“ verabschiedet. | |
| Urban Rid, der für die erneuerbaren Energien und die Energiewende bereits | |
| im Kanzleramt und im Umweltministerium zuständig war, hatte die Abteilung | |
| seit 2013 geführt. | |
| Mit launigen Vorträgen und Reden wurde der Beamte in Pension geschickt und | |
| seine Nachfolgerin begrüßt: Stephanie von Ahlefeldt. Im roten Kleid machte | |
| sie bei dem Empfang Small Talk. Aber unter den Mitarbeitern des | |
| Ministeriums sorgten sich nicht wenige, dass nun ein anderer Wind wehen | |
| würde. Denn mit der Neubesetzung ist diese Schaltstelle der Energiewende in | |
| die Hände derjenigen geraten, die dieses Projekt schon immer bekämpft | |
| haben. | |
| Zuvor hat von Ahlefeldt nämlich im Büro von CDU-Fraktionsvize und | |
| Union-Mittelstandschef Carsten Linnemann gearbeitet. Der hatte schon vor | |
| fünf Jahren ein Ende der rechtlichen Privilegien sowie Mindestabstände für | |
| Windräder [2][gefordert], um die Kommunen vor „immer mehr Bauanträgen für | |
| neue Anlagen“ zu schützen. Davor war sie für den CDU-Abgeordneten Michael | |
| Fuchs tätig, einen energiepolitischen Hardliner, der den Atomausstieg bis | |
| heute für einen Fehler hält und bei jeder Gelegenheit gegen die | |
| Klimaschutzpolitik der Bundesregierung polemisiert, die er für | |
| [3][„Planwirtschaft“] hält. | |
| Die Sorge der Mitarbeiter hat sich bewahrheitet. Von Ahlefeldt agiere auch | |
| im neuen Job „als verlängerter Arm der Energiewendegegner“ aus der | |
| CDU-Fraktion, erzählt ein Insider. Mit ihr sei ein „echter | |
| Richtungswechsel“ im Ministerium erfolgt. Der Gesetzentwurf zur Zukunft der | |
| Windkraft, den die neue Chefin vorantreibt, setzt vor allem die | |
| Abstandsregel für Windanlagen, die im Klimapaket auf 1.000 Meter festgelegt | |
| wurde, so restriktiv um, dass Experten ein Ende der Windkraft an Land | |
| befürchten. | |
| Dabei liegt die Branche derzeit ohnehin am Boden. Im ersten Halbjahr 2019 | |
| wurden in Deutschland nur 86 Windräder neu aufgestellt. 2017 waren es | |
| insgesamt noch 1.792. Der Einbruch liegt zum Teil daran, dass wegen einer | |
| Umstellung der Förderung der Bau vieler Anlagen vorgezogen wurde. Zudem | |
| weisen die Kommunen immer weniger Flächen für Windkraft aus, und immer mehr | |
| geplante Projekte werden durch Klagen verhindert oder verzögert. Der größte | |
| deutsche Windradhersteller Enercon hat darum in der vergangenen Woche den | |
| Abbau von 3.000 Arbeitsplätzen bekannt gegeben. Insgesamt sind in der | |
| Branche bereits mehrere 10.000 Jobs verloren gegangen. | |
| In dieser Situation müsste die Bundesregierung gegensteuern und die | |
| Hindernisse für den Wind-Ausbau verringern. Doch es geschieht das | |
| Gegenteil. | |
| Von Ahlefeldt gilt als Expertin in diesen Fragen. „Sie weiß genau, an | |
| welchen Stellschrauben sie drehen muss, um etwas zu bewegen, und sie dreht | |
| gerade an allen Schrauben gleichzeitig“, heißt es im Ministerium: Denn die | |
| 1.000 Meter Abstand von Windrädern zu Wohngebieten standen zwar schon im | |
| Klimaschutzprogramm, das die Koalitionsspitzen verabschiedet haben. Die | |
| entscheidende Frage war dort aber offengeblieben: Wofür genau gilt sie? | |
| Nach dem [4][Entwurf des Ministeriums] soll jedes Ensemble aus mehr als | |
| fünf Wohngebäuden auch außerhalb von Ortschaften als „Wohnbebauung“ gelt… | |
| und als Grenze gilt bereits die Grundstücksgrenze oder auch nur ein | |
| ausgewiesenes Wohngebiet. Auch für Gebiete, in denen bereits jetzt ein | |
| Windrad steht, sollen keine Ausnahmen gelten. Diese Windräder könnten nach | |
| Ende ihrer Lebensdauer also nicht durch neue ersetzt werden. | |
| Bei der Debatte zum Klimaschutzgesetz am Freitag im Bundestag sorgte dann | |
| auch die Windkraft für Wirbel, obwohl es eigentlich um andere Themen ging. | |
| „Sie haben die Verantwortung für dieses Land, aber Sie deindustrialisieren | |
| es“, rief der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer der Regierung zu. „Sie | |
| vergolden jeden Arbeitsplatz in der Braunkohle mit 2 Millionen Euro, aber | |
| der Verlust Tausender Jobs in der Windenergie ist dem Minister nicht einmal | |
| eine Presseerklärung wert.“ | |
| Doch nicht nur Grüne, Linkspartei und Umweltverbände kritisieren die Pläne. | |
| Auch mehrere Wirtschaftsverbände, darunter unter anderem der Bundesverband | |
| der Deutschen Industrie, protestieren in einem gemeinsamen Brief an Peter | |
| Altmaier: „Es ist uns unerklärlich, dass an einer Regelung zu | |
| bundeseinheitlichen Mindestabständen festgehalten wird, obwohl klar ist, | |
| dass damit das Ziel von 65 Prozent erneuerbarer Energien in 2030 nicht | |
| gehalten werden kann.“ | |
| Und auch ein Gutachten, das das Wirtschaftsministerium selbst in Auftrag | |
| gegeben hat, kommt zu einem klaren Ergebnis: Wenn der 1.000-Meter-Abstand | |
| zu Ortschaften gilt, sinkt die für Windparks zur Verfügung stehende Fläche | |
| nur um 10 Prozent, schreiben die Experten. Gilt der Abstand aber auch für | |
| Wohnhäuser außerhalb von Ortschaften, reduziert sich die Fläche um 40 | |
| Prozent. Die Strommengen, mit denen die Regierung bei ihrem Klimaziel für | |
| 2030 für Windkraft an Land kalkuliert, wären damit nicht zu erreichen. | |
| Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat bereits Einspruch eingelegt. Das | |
| Kabinett wird den Entwurf darum nicht wie zunächst geplant am kommenden | |
| Montag verabschieden. Und auch Wirtschaftsminister Altmaier deutet | |
| Kompromissbereitschaft an, wenn er erklärt, eine Lösung zu suchen, die es | |
| ermögliche, „dass wir unsere Ausbauziele auch in Zukunft erreichen“. | |
| Als Grund für die nun geplante Regelung nennt Altmaier den wachsenden | |
| Widerstand gegen neue Windräder. „Heute haben wir die Situation, dass es | |
| bundesweit rund 1.000 Bürgerinitiativen gibt, und zwar überall dort, wo | |
| Windräder auf Wohnbebauung treffen“, sagte er am Donnerstag. „Das bedeutet, | |
| dass wir uns mit dem Thema Akzeptanz beschäftigen müssen.“ Im vergangenen | |
| Jahr hatte das Ministerium auf eine [5][Anfrage der FDP] noch geantwortet, | |
| dass kein Zusammenhang zwischen höheren Mindestabständen und stärkerer | |
| Akzeptanz von Windrädern nachgewiesen sei. | |
| ## Oberster Windkraftgegner arbeitet im Ministerium | |
| Jetzt schwenkt das Ministerium mit dem Verweis auf die fehlende Akzeptanz | |
| trotzdem auf den Kurs der radikalen Windkraftgegner ein. Das zeigt sich | |
| auch am Umgang mit der bundesweiten Initiative „Vernunftkraft“. Diese | |
| Gruppe, die nicht nur Windkraft generell ablehnt, sondern jegliche | |
| Klimaschutzbemühungen in Deutschland für unnötig hält, ist im Ministerium | |
| schon lange vertreten: Ihr 1. Vorsitzender Nikolai Ziegler arbeitet dort | |
| als Referent für Digitalisierung. Mit der Energiepolitik des Hauses hatte | |
| er in der Vergangenheit aber nichts zu tun. | |
| In jüngster Zeit soll sich Ziegler über enge Kontakte zum zuständigen | |
| CDU-Staatssekretär Thomas Bareiß aber auch beim Thema Windkraft eingebracht | |
| haben, ist zu hören. Am Windgipfel am 5. September nahm er selbst nicht | |
| teil, konnte aber vor dem Ministerium fünf Vernunft-Mitstreiter*innen | |
| begrüßen, die beim Spitzentreffen dabei waren – und offenbar Gehör fanden: | |
| „Der Minister hat mein Statement und die der anderen | |
| Vernunftkraft-Mitstreiter wohlwollend angehört“, schrieb die | |
| schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Susanne Kirchhof anschließend an | |
| die Mitglieder. Und jubelte: „Wir dringen mit unserer Botschaft durch.“ | |
| 15 Nov 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Windkraft-Gipfel-der-Bundesregierung/!5620675 | |
| [2] https://www.carsten-linnemann.de/content/windkraft-rot-gr%C3%BCn-muss-etwas… | |
| [3] https://www.deutschlandfunk.de/kritik-an-klimaschutzplan-nicht-den-menschen… | |
| [4] /Nach-Enercon-Entlassungen/!5640714 | |
| [5] https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/030/1903053.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
| Bernhard Pötter | |
| ## TAGS | |
| Energiewende | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Windkraft | |
| Wirtschaftsministerium | |
| Peter Altmaier | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| CO2-Emissionen | |
| Windkraft | |
| Erneuerbare Energien | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Erneuerbare Energien | |
| Schwarze Null | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Energiewende | |
| Kohlekommission | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Windkraft | |
| Windkraft | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klimaschutzziel für 2030: Jetzt auch offiziell verfehlt | |
| Zwei Regierungsgutachten zeigen, dass das Klimaziel für 2030 ohne | |
| Zusatzmaßnahmen nicht erreicht wird. Große Probleme gibt es beim Verkehr. | |
| CO2-Ausstoß 2019 stark gesunken: Schafft Deutschland sein Klimaziel? | |
| Immer mehr Strom in Deutschland kommt von Windrädern und Solaranlagen. Das | |
| lässt die Klimaschutz-Bilanz für das abgelaufene Jahr gut aussehen. | |
| Streit um die Windkraft: Panorama mit Windrad | |
| Windräder werden sich auch im Südschwarzwald drehen. Sie verändern damit | |
| eine Landschaft, die noch nie natürlich war. | |
| Boris Palmer über die Windkraftindustrie: „Massiver Eingriff in den Markt“ | |
| Im ersten Halbjahr 2019 wurden in Deutschland nur 35 Windräder aufgestellt. | |
| Wie lässt sich die Flaute überwinden? Grünen-Politiker Palmer setzt auf den | |
| Staat. | |
| „Vernunftkraft“-Chef im Ministerium: Keine Auskunft zum Windgegner | |
| Arbeitet Deutschlands oberster Anti-Windkraft-Lobbyist jetzt auch im | |
| Wirtschaftsministerium zum Thema Wind? Der Verdacht drängt sich auf. | |
| Neuer Chef des BUND: Mit Elan gegen die Regierung | |
| Der BUND hat eine neue Führung. Unter Olaf Bandt will der Umweltverband | |
| Bauern bei der Agrarwende helfen – und die Regierung vor sich hertreiben. | |
| CO2-Budget für Deutschland: Eine Milliarde Tonnen zu viel | |
| Die Regierung weigert sich, ein CO2-Budget für Deutschland zu berechnen. | |
| Aus gutem Grund: Ihre Pläne sprengen alle Modelle. | |
| Gipfeltreffen im Ministerium: Viel Wind um nichts | |
| Hersteller und Verbände der Windenergie kritisieren Pläne von | |
| Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Der deutet Kompromissbereitschaft an. | |
| Gemeinsam gegen die schwarze Null: Ungewohnte Allianz für Investition | |
| Gewerkschafts- und arbeitgebernahe Institute sprechen sich gemeinsam gegen | |
| die Schuldenbremse aus. Sie fordern stattdessen neue Investitionen. | |
| Verfehlte Energiepolitik: Windausstieg statt Kohleausstieg | |
| Mit dem jüngsten Gesetzentwurf zeigt das Wirtschaftsministerium, dass es | |
| weder vom Kohleaustieg noch vom Ausbau der Windkraft viel hält. | |
| Schwerer Schlag für Ostfriesland: Kalt erwischt | |
| Dass die Krise der Windindustrie Ostfriesland treffen würde, war erwartet | |
| worden, aber nicht in diesem Ausmaß. Rettunsplan vom Energieminister. | |
| Gesetzentwurf vorgelegt: Kohleausstieg ganz zwanglos | |
| Das Wirtschaftsministerium setzt bei Kraftwerksstilllegungen auf | |
| Freiwilligkeit. Beim Wind soll eine scharfe Abstandsregel kommen. | |
| Nach Enercon-Entlassungen: Windausbau weiterhin bedroht | |
| Das Wirtschaftsministerium will, dass der 1.000-Meter-Abstand zu Windrädern | |
| schon für winzige Siedlungen gilt. Das hätte dramatische Folgen. | |
| Experte über Windkraftindustrie-Krise: „Das war ein Crash mit Ansage“ | |
| Enercon ist einer der größten deutschen Hersteller von Windrädern. Norbert | |
| Allnoch vom IWR spricht über die Stellenstreichungen bei der Firma. | |
| Windindustrie in der Krise: Enercon streicht 3.000 Stellen | |
| Als einer der größten deutschen Hersteller sieht Enercon Tausende Stellen | |
| in der Branche in Gefahr. Damit flammt auch ein politischer Streit wieder | |
| auf. |