| # taz.de -- Boris Palmer über die Windkraftindustrie: „Massiver Eingriff in … | |
| > Im ersten Halbjahr 2019 wurden in Deutschland nur 35 Windräder | |
| > aufgestellt. Wie lässt sich die Flaute überwinden? Grünen-Politiker | |
| > Palmer setzt auf den Staat. | |
| Bild: Haben es momentan nicht leicht: Windräder und ihre Hersteller | |
| taz: Herr Palmer, die Bundesregierung von Union und SPD will die | |
| [1][Mindestabstandsregel für Windräder] von Wohngebieten von 700 auf 1.000 | |
| Meter erhöhen, um in der Bevölkerung „die Akzeptanz zu erhöhen“ für die | |
| Energiewende, zu der sie sich politisch verpflichtet hat. Was halten Sie | |
| davon? | |
| Boris Palmer: Es nützt nichts, die Akzeptanz für Windräder dadurch zu | |
| erhöhen, dass wir keine Windräder mehr bauen. Bei 1.000 Metern Abstand | |
| würde etwa in Baden-Württemberg fast die Hälfte aller möglichen Standorte | |
| verlorengehen, während auf der anderen Seite die Bundesregierung | |
| Kaufprämien für Elektroautos auszahlt, die zum Ziel haben, dass wir noch | |
| sehr viel mehr Strom benötigen werden, als wir heute produzieren. Ein Land, | |
| das Atom- und Kohlekraftwerke abschaltet und bis 2030 im Strombereich 65 | |
| Prozent Erneuerbare will, braucht Windenergie – und damit mehr und nicht | |
| weniger Standorte für Windräder. | |
| Im ersten Halbjahr 2019 wurden 35 Windräder aufgestellt, das ist | |
| [2][politisches Versagen, wenn man die eigenen Klimaziele ernst nimmt]. | |
| Aber es redet kaum einer drüber. | |
| Stimmt, deshalb habe ich mich gefreut, dass Niedersachsens | |
| Ministerpräsident Weil einen 10-Punkte-Rettungsplan für die Windindustrie | |
| verkündet hat und die Dramatik klar aufgezeigt hat, dass diese Industrie | |
| kurz vor dem Exitus ist. Nach seinen Zahlen sind in der Branche in drei | |
| Jahren 40.000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Die Vorschläge von Weil sind | |
| aber zu harmlos, das wird nicht für eine Rettung reichen. | |
| Haben Sie einen besseren Vorschlag? | |
| Ich sehe im Moment nur eine wirksame Lösung: Die Bundesregierung muss die | |
| heimische Industrie durch staatliche Aufträge so auslasten, dass sie den | |
| aktuellen Nachfrageeinbruch überlebt. Wir haben nur noch ein Viertel des | |
| Zubaus von vor zwei Jahren, 75 Prozent der Aufträge sind weggebrochen. Da | |
| kann sich jeder ausrechnen, dass die Überlebenschancen ansonsten ganz | |
| schlecht sind. Mit Senvion ist der erste Hersteller schon insolvent. | |
| Was wird das kosten? | |
| Der abrupte Nachfrageausfall 2019 liegt bei über 3.000 Megawatt. Ein | |
| Anstieg ist wegen der langen Planungszeiten vor 2021 unmöglich. Daher | |
| sollte der Staat im Jahr 2020 Windräder mit einer Leistung von 3.000 | |
| Megawatt kaufen. Das kostet etwa 3 Milliarden Euro, die aber durch einen | |
| verlustfreien Weiterverkauf in den Folgejahren gedeckt werden können. | |
| Was ist mit der Rechtskonformität, wenn der Staat deutsche Unternehmen | |
| protektioniert? | |
| Den Vorwurf kann man mit einer europäischen Ausschreibung entkräften. Das | |
| ist auch richtig, denn wir brauchen im europäischen Binnenmarkt eine | |
| entsprechende Kapazität für die Energiewende. Weil aber die deutschen | |
| Hersteller jetzt noch relativ stark sind und dringend Aufträge brauchen, | |
| nehme ich an, dass die besten Angebote von ihnen kommen könnten. | |
| Was macht man dann mit den ganzen Windrädern? | |
| Die bestellten Windräder müssten zunächst auf dem Werksgelände | |
| zwischengelagert werden. In zwei Jahren, wenn wieder ausreichend | |
| Genehmigungen da sind, werden sie versteigert, so dass es sich nur um eine | |
| Überbrückung handelt und nicht um eine staatliche Dauersubvention. | |
| Sie wollen sagen: Jetzt durchfüttern und wenn die Grünen dann regieren, | |
| kann es losgehen? | |
| Meine Partei sollte eine Rettung der Windindustrie jetzt zur Voraussetzung | |
| für die Zustimmung zum Klimaschutzpaket im Bundesrat machen. Wir brauchen | |
| mindestens eine Verdoppelung, vermutlich Verdreifachung der | |
| Windkraftkapazitäten in den nächsten 10 bis 15 Jahren, egal wer regiert. | |
| Sonst war es das mit der Energiewende. | |
| Die staatliche Überbrückung macht nur Sinn, wenn es dann in zwei Jahren | |
| mehr Genehmigungen gibt. Wie soll das gehen? | |
| Ich halte es für erforderlich, dass die Länder eigene | |
| Planungsgesellschaften gründen, die diese viel zu komplizierten Verfahren | |
| bis zur Genehmigung von Standorten selbst vorantreiben. Diese | |
| Planungsgesellschaften brauchen Ziele, die konform sind mit den | |
| Klimaschutzzielen. Das heißt, sie müssen bestimmte Mengen an Standorten | |
| jährlich zur Verfügung stellen und entsprechend ausgestattet sein. Vor | |
| allem muss die Netzausbauzone abgeschafft werden, die verhindert, dass dort | |
| gebaut wird, wo am meisten Wind weht. | |
| [3][FDP-Chef Christian Lindner] wird entsetzt sein, wenn der Staat so in | |
| den Markt eingreift? | |
| Lindner wird aus seiner Perspektive zu Recht entsetzt sein, denn das ist | |
| tatsächlich ein massiver Eingriff in den Markt. Den halten sozial und | |
| ökologisch verantwortliche Politiker immer für notwendig, wenn der Markt | |
| nicht mehr die erforderlichen Ergebnisse liefert. Der aktuelle Einbruch und | |
| die drohende Zerstörung der Windindustrie in Deutschland ist ein | |
| Markteffekt, der sich mit den Klimaschutzzielen nicht verbinden lässt. | |
| 28 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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