# taz.de -- Soziologin über AnhängerInnen der AfD: „Es geht um Emotionen“ | |
> Die Soziologin Cornelia Koppetsch gibt den Linksliberalen und der | |
> „kosmopolitischen Elite“ eine Mitschuld am Aufstieg der AfD. Die seien zu | |
> exklusiv. | |
Bild: Die AfD ist kein Ost-Problem, auch im Westen findet sie Anhänger (Archiv… | |
taz am wochenende: Frau Koppetsch, [1][bei den Landtagswahlen am Sonntag] | |
hat etwa jeder Vierte AfD gewählt. Warum ist ihr Erfolg gerade in | |
Ostdeutschland so groß? | |
Cornelia Koppetsch: Weil Ostdeutschland ein Transformationsland ist, wie | |
beispielsweise Polen auch. Die Wende hat zu dramatischen Umbrüchen geführt. | |
Alte Industrien wurden abgewickelt, die meisten Führungspositionen in | |
Universitäten, Verwaltung, Kulturinstituten mit Wessis besetzt. Es gab | |
gebrochene Biografien und soziale Abstiege. Die Ostdeutschen fühlen sich | |
benachteiligt – und nicht ganz ohne Grund. Ihnen ist ihre Gesellschaft | |
weggebrochen. | |
Und deshalb stimmt man in Brandenburg für einen [2][Spitzenkandidaten mit | |
rechtsextremer Biografie]? | |
Ehrlich gesagt wundert mich das auch. Der Anspruch von Rechtspopulisten | |
besteht ja darin, die Mitte zu vertreten. Aber da verstärkt sich der | |
Rassismus der einen mit dem Oppositionsgeist der anderen wechselseitig. | |
Wer sind die Wähler und Wählerinnen der AfD, nicht nur im Osten? | |
Sie kommen aus allen Schichten: aus den privilegierten konservativen | |
Milieus, der traditionellen Mittelschicht und aus prekären Milieus, aber es | |
sind eben nicht verstärkt Arbeitslose und Empfänger von Sozialleistungen. | |
Was sie eint, ist das Gefühl, an Einfluss, Bedeutung und Macht verloren zu | |
haben, nicht nur in materieller Sicht. Sie sehen ihre bisherigen | |
Privilegien bedroht. Es ist eine Querfront der Verlierer. | |
Kann man so auch den Wahlerfolg zum Beispiel in Baden-Württemberg erklären? | |
Ein reiches Bundesland, wo die AfD 2016 15 Prozent der Stimmen geholt hat. | |
Ja. In Ostdeutschland waren die Auswirkungen zwar besonders krass. Aber es | |
gibt überall in der Gesellschaft soziale Entwertungen, die ähnliche | |
Wirkungen haben können: Arbeitnehmer, denen das Leitbild des männlichen | |
Familienernährers wegbricht. Oder aus dem akademischen Bereich: | |
Wissenschaftler, die sich die ganze Gelehrsamkeit der Soziologie angeeignet | |
haben, merken, dass man mit Max Weber heute nicht mehr weit kommt, sondern | |
wissen muss, wie man Drittmittelanträge schreibt. Und viele von ihnen | |
erleben es als eine brutale Entwertung ihres Berufsbildes, dass viele | |
BA-Studenten heute fast schon nicht mehr das Niveau einer Volkshochschule | |
erreichen. | |
Was verbindet diese Wissenschaftler mit einem Stuttgarter Arbeiter, der | |
Angst um seinen Job hat, weil ausländische Arbeitskräfte vielleicht | |
billiger sind? Oder mit einem Ostdeutschen, dessen Beruf es nach der Wende | |
nicht mehr gab? [3][Oder mit Alexander Gauland]? | |
Es geht um soziale Deklassierung, und das trifft auch auf Gauland zu. | |
Dieser war als Konservativer in der CDU erfolg- und einflussreich – doch | |
sein Politikverständnis und sein Gesellschaftsbild wurden zunehmend an den | |
Rand gedrängt. Es geht nicht nur um Ökonomie. Es geht auch um Einfluss und | |
Macht, um die Frage, ob mein Habitus, meine Werte von Bedeutung sind. | |
Wo sehen Sie den Anfang dieser Entwicklung? | |
Rechtspopulismus ist eine autoritäre Reaktion auf die Globalisierung, die | |
sich gegen den Neoliberalismus und die globale Öffnung der Wirtschaft | |
wendet und gegen den kosmopolitischen Liberalismus der neubürgerlichen | |
Kultur. Es ist eine Reaktion auf einen unbewältigten epochalen Umbruch – | |
die wachsende Macht transnationaler Unternehmen, der Fall der Mauer, die | |
Hartz-Reformen, Schrumpfungsprozesse im ländlichen Raum und der Aufstieg | |
kosmopolitischer Eliten. | |
Wir haben die Europäisierung, die mit Zentralisierung und einer Entmachtung | |
lokaler Eliten einhergeht. Europäische Freizügigkeit und Migration bedeuten | |
für manche mehr Konkurrenz. Hinzu kommt, dass sich viele einst Etablierte | |
durch Diversity und Gender, durch den Aufstieg von Frauen und Migranten | |
noch zusätzlich benachteiligt sehen. | |
Sie geben denen, die Sie kosmopolitische Eliten oder linksliberales Milieu | |
nennen, eine Mitschuld am Aufstieg des Rechtspopulismus. | |
Ich würde nicht von Schuld sprechen wollen. Ich beschreibe einen | |
gesellschaftlichen Konflikt, ohne eine Wertung vorzunehmen. Die | |
Kosmopoliten haben das Selbstbild, inklusiv zu sein, gleichzeitig aber ein | |
historisch nahezu unübertroffenes Niveau an Exklusivität erreicht. | |
Wie meinen Sie das? | |
Sie umgeben sich mit Leuten, die die Dinge genauso sehen wie sie. Sie | |
ziehen in Gründerzeitbauten und nicht in den Plattenbau. Die Kreise werden | |
über Kompetenzen, Geschmack und kulturelle Codes geschlossen und über | |
Bildung an die nächste Generation weitergereicht. | |
Die Kosmopoliten haben neue Spielregeln durchgesetzt und tatsächlich | |
weniger Diskriminierung erreicht. Doch sie sind in sozialstruktureller | |
Hinsicht nicht egalitär – die Codes haben sich nur verändert. Anstelle der | |
traditionellen Hochkultur und eines fixen Bildungskanons zählt heute die | |
kulturelle Allesfresserei: Neugierde auf fremde Kulturen, Flexibilität und | |
die Beherrschung einer Vielzahl von kulturellen Repertoires. | |
Als Professorin gehören Sie auch zum kosmopolitischen Milieu. | |
Darum geht es aber nicht. Ich versuche hier, mit dem Instrumentarium der | |
Soziologie einen gesellschaftlichen Konflikt zu beschreiben, ohne mich auf | |
eine Seite zu schlagen. | |
Unterschätzen Sie mit dem Fokus auf die linksliberalen Kosmopoliten nicht | |
die Mobilisierungskraft von Rassismus, die die AfD und andere radikal | |
rechte Parteien so perfekt zu nutzen wissen? | |
Dass das rechtspopulistische Weltbild indiskutabel ist, ist klar – darüber | |
braucht man nicht mehr diskutieren. Ich möchte den Blick darauf lenken, | |
dass die kosmopolitischen Eliten Teil dieser Dynamik sind, weil sie ihre | |
eigene Moral zum Maßstab erheben und nicht sehen, wie sehr sie dabei | |
eigenen Privilegien verhaftet bleiben, die andere ausschließen. So wie auch | |
die Westdeutschen an dem, was in Ostdeutschland geschieht, nicht unschuldig | |
sind. | |
Sie bezeichnen Rechtspopulismus als politische Therapie. Was soll das für | |
eine Behandlung sein? | |
Anders als viele Erklärungsansätze, die darlegen, dass Rechtspopulisten | |
eine rationale Agenda verfolgen, die Migration zu unterbinden, weil sie | |
eine objektive Konkurrenz darstellt, glaube ich, dass die Triebkräfte der | |
rassistischen Ausgrenzung nicht nur rational sind. Es geht darum, Ängste an | |
einem Stellvertreter festzumachen und zu bekämpfen – dem Migranten. Alles, | |
was einen stört oder frustriert, kann in ein bedrohliches Außen verlagert | |
werden. Das wirkt wie eine politische Therapie. | |
Nach Ihrer Analyse findet man sich in einer Art Ressentiment-Gemeinschaft | |
zusammen, die Sie „Neogemeinschaften“ nennen. Was meinen Sie damit? | |
Nehmen wir eine [4][populistische Plattform wie Politically Incorrect], es | |
gibt inzwischen ja viele davon. Da tummeln sich Leute, die in ihrem realen | |
Leben keine Anerkennung für ihre Ansichten bekommen, sie sind ja | |
Abweichler. Aber in der Plattform finden sie eine Gemeinschaft, in der sie | |
sich ihre Ansichten um die Ohren hauen und am Ende ganz vertraut sagen, | |
dass sie jetzt mal ins Bett gehen. | |
Welche Bedeutung hat das? | |
Kompensation für die Verlierer, die sich hier sammeln. Und Solidarität. Es | |
sind Gemeinschaften, die in die Lücken treten, die erodierende | |
Gewerkschafts-, Parteien- und Vereinsbindungen hinterlassen haben. Es wird | |
dort ganz klar zwischen In- und Outgroup unterschieden, zwischen wir und | |
sie. Sie sind digital und oft global vernetzt, eine physische Anwesenheit | |
ist nicht mehr nötig. | |
Ihr Buch heißt „Die Gesellschaft des Zorns“. Sind Zorn oder Angst die | |
entscheidenden Kategorien? | |
Gefühle der Abwertung werden oft mit Angst und Scham beantwortet, sind dann | |
zum Schweigen verdammt. Angst demobilisiert. Erst wenn ich ins Ressentiment | |
rutsche, zornig werde, kann aus der Deklassierung eine Systemopposition | |
entstehen – wenn ich Menschen treffe, die sich mit mir verbünden. | |
Sie schreiben, Aufklärung helfe nicht. | |
Ja, denn es sind ja emotionale Gründe, warum AfD-Anhänger da sind, wo sie | |
sind. Es nützt nichts, ihnen das zu nehmen, was ihnen hilft. Man muss an | |
den Emotionen ansetzen. Bei einigen meiner Interviewpartner liegt die Krise | |
etwa zehn Jahre zurück. So lange dauert die Radikalisierung. Das hat sich | |
in die Persönlichkeiten eingefressen, das kriegt man nicht so leicht weg. | |
Wie sollte man mit AfD-Anhängern also umgehen? | |
Vielleicht sollte man sie umarmen. Natürlich nicht auf der Ebene der | |
Parteien. Und bei allem, wo es um Rassismus geht, ist die rote Karte | |
gefragt. Aber man muss sich die Anliegen der Anhänger dort näher angucken, | |
wo sie vielleicht auch berechtigt sind, müsste sie wieder gesellschaftlich | |
und kulturell repräsentieren, ihnen ein alternatives Sprachrohr an die Hand | |
geben. Aber das dauert. 30 Jahre hat es gedauert, bis sich diese autoritäre | |
Bewegung formiert hat. Vielleicht braucht man weitere 30 Jahre, um diese | |
Spaltung wieder zu kitten. | |
6 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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