| # taz.de -- AfD-Erfolg unter jungen Wähler*innen: Die rechten Enkel der Wende | |
| > Bei den vergangenen Landtagswahlen schnitt die AfD auch bei unter | |
| > 25-Jährigen gut ab. Die üblichen Erklärungen greifen da nur zum Teil. | |
| Bild: Landtagswahl in Sachsen: Jede*r Fünfte unter 25 hat die AfD gewählt | |
| Berlin taz | Die vergangenen Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg | |
| haben gezeigt: Es gibt nicht den AfD-Wähler. Auch junge Wähler*innengruppen | |
| verzeichnen einen deutlichen Zuwachs an AfD-Stimmen. In den Daten werden | |
| sie in zwei Gruppen unterteilt: Die 18- bis 24-Jährigen, von denen in | |
| Sachsen jede*r fünfte die AfD wählte, und die 25- bis 34-Jährigen, bei | |
| denen es in Sachsen sogar jede*r vierte war. Damit liegen die Anteile der | |
| jungen Wähler*innen zwar noch immer unter dem Durchschnitt von 27,5 – der | |
| Zuwachs seit der Landtagswahl 2014 ist jedoch auffällig. | |
| In Brandenburg, das bereits 16-Jährigen die Stimmabgabe erlaubt, wählten | |
| lediglich 18 Prozent der jüngeren Gruppe blau. Von den 25- bis 34-Jährigen | |
| waren es dagegen 30 Prozent und somit anteilig sogar mehr als von der | |
| gesamten wahlberechtigten Bevölkerung (23,5 Prozent). | |
| Das Erklärungsmuster des Wendetraumas – sei es der Jobverlust im | |
| Erwachsenenalter oder das Zusammenfallen von Strukturen in der Kindheit und | |
| Jugend – greift bei ihnen nicht. Wir reden von einer anderen Generation: | |
| den Nachwendekindern. | |
| ## „Wir sind die Deppen vom Dorf“ | |
| Einer von ihnen ist Philipp, 29 Jahre alt, den wir Mittwochnacht an einem | |
| Kreuzberger Späti treffen. Er trägt ein Fred-Perry-Shirt über seinen | |
| tätowierten Armen. Er ist Teil einer Gruppe Männer, die auf der Suche nach | |
| einer Party oder zumindest einer Bar sind. Philipp kommt aus dem Erzgebirge | |
| und ist in Berlin, um seinen Meister im Gleisbau zu machen. Am Wahlsonntag | |
| habe er AfD gewählt, das könne er ganz offen sagen. | |
| „Wenn ich bei euch hier in Berlin oder in Leipzig leben würde – dann würde | |
| ich auch anders wählen“, sagt er. „Du wählst halt das, was dir guttut. Wir | |
| sind die Deppen vom Dorf. Wir müssen jeden Tag 16 Kilometer zur Arbeit | |
| fahren, die fährst du mit 'nem Diesel. In der Stadt würde ich es nicht | |
| anders machen als ihr.“ Er sei auch mal in der Schweiz zum Arbeiten | |
| gewesen, als „Wirtschaftsflüchtling“, sagt er. Da gab es zwar mehr Geld, | |
| aber auch die Zuschreibung, ein Ossi zu sein. | |
| Er kritisiert den Klassismus der grünen Politik, ohne das Wort zu | |
| verwenden. Er informiere sich politisch, schaue sich Bundestagsdebatten und | |
| Parteiprogramme an. Und sehe letztendlich keine andere Alternative. Zwar | |
| sei Kretschmer rumgereist, doch am Ende wäre nichts anders als noch vor | |
| vier Jahren: „Die CDU hat's verkackt.“ Also wähle er die AfD, „um einen | |
| Denkzettel zu verpassen“. | |
| Er erfüllt das Erklärungsmuster der Abgehängtheit, der | |
| Politikverdrossenheit, das in den vergangenen Wochen wieder zunehmend | |
| angeführt wurde. Aber was ist mit dem Rassismus, der mit der AfD in die | |
| Parlamente zieht? Den direkten Zusammenhang sieht Philipp nicht, die | |
| Person, die er gewählt habe, kenne er schließlich – der sei kein Rassist. | |
| ## Ähnliche Motive wie die Alten | |
| Demokratieforscher Marcus Spittler beschäftigt sich am Wissenschaftszentrum | |
| Berlin (WZB) mit der Bedeutung von populistischen und demokratischen | |
| Einstellungen für die Wahlentscheidung. Sein Fokus liegt auf jungen | |
| Erwachsenen. Spittler untermalt seine Aussagen stets mit Daten aus | |
| Regressionstabellen, erklärt Korrelationen, malt Graphen mit seinen Armen | |
| nach. | |
| „Wir wissen schon lange, dass rechtspopulistische Parteien in dünner | |
| besiedelten Regionen deutlich stärker gewählt werden, und das färbt auf die | |
| Jüngeren natürlich genauso ab“, sagt Spittler. Der Stadt-Land-Effekt, der | |
| sich auch in Philipps Ausführungen zeigt, sei viel stärker als die | |
| Ost-West-Unterschiede. | |
| Die Differenz zwischen unter und über 25-Jährigen erklärt er anhand der | |
| Wahlmotive. Die Älteren seien „die Selektion von Leuten, die dageblieben | |
| sind, gerade auf dem Land“, sagt Spittler. „Es ist ja nicht Zufall, wer | |
| geht und wer dort bleibt.“ Die Ängste um die Region seien bei ihnen die | |
| gleichen wie bei den Alten. | |
| ## Identitätsbildung der Jungen | |
| Für die U25 sei die Wahl jedoch noch mehr ein Ausdruck von | |
| Identitätsbildung, eine Entscheidung darüber, welche Art von Leben sie | |
| führen wollen. Antworten finden sie nicht bei den klassischen Parteien. Das | |
| ergibt polarisierte Ergebnisse: „Wir sehen bei den Jungen, dass sie das | |
| Parteiensystem neu strukturieren: Entweder du bist AfD oder du bist grün“, | |
| sagt Spittler. Zudem sei die Orientierung an den Eltern nicht bestreitbar. | |
| Allgemein lasse sich laut Spittler über die Entscheidung für die AfD sagen: | |
| Das Argument der Demokratieunzufriedenheit ist nicht zentral. Und auch die | |
| häufig angeführte persönliche Betroffenheit spiele tatsächlich viel weniger | |
| eine Rolle, als vermutet wird. „Der stärkste Faktor für die Wahl einer | |
| rechtspopulistischen Partei ist immer die Übereinstimmung mit den Inhalten | |
| dieser Partei und nicht die Protestwahl“, so Spittler. „Das ist nicht zu | |
| entschuldigen. Das sind einfach rechte Einstellungen und die AfD spielt | |
| die.“ Tatsächlich identifiziere sich keine andere Wähler*innen-Gruppe so | |
| sehr mit den Sachfragen ihrer Partei wie die der AfD. | |
| Das zeigt sich unter anderem bei Benjamin P. Der Dresdner ist 23 Jahre alt, | |
| studiert Informatik und arbeitet mit Patenten. Er stammt aus Potsdam. Wie | |
| seine ganze Familie, unter ihnen eine Ex-SED-Funktionärin, habe auch er die | |
| AfD gewählt. Vor dem Gespräch mit der taz fragt er nach der | |
| Staatsbürgerschaft der Autorin, „um anzutasten“, wie er später sagt. Auch | |
| er sieht die Partei nicht als rechts an, sondern als eine „Partei der | |
| Mitte“. | |
| ## „Der letzte souveräne Teil Deutschlands“ | |
| Was folgt, ist eine Ausführung zwischen Verschwörungstheorie und rechtem | |
| Gedankengut im Deckmantel akademischer Sprache. Die Wahlergebnisse seien | |
| kein Phänomen – die Mitteldeutschen hätten sich nie verändert und „wir“ | |
| hätten dies nicht gemerkt. Wir stünden für eine Politik, die nicht nach | |
| Mitteldeutschland gehöre. Mitteldeutschland, „der letzte souveräne Teil | |
| Deutschlands“. | |
| Flüssig und ohne Umschweife referiert er über die BRD als Rechtsnachfolger | |
| des Dritten Reichs – welches ein linkes gewesen sei. Über die anhaltende | |
| Besatzung. Über unser Grundgesetz, das nur eine vorläufige Ordnung sei, | |
| „bis wir eine neue Ordnung aufgebaut haben“. Über die deutsche Kultur, die | |
| aus sich heraus und ohne Fremdeinfluss wachsen müsse. | |
| Schon in seiner Kindheit sei er darüber unterrichtet worden. Und diese | |
| Punkte seien auch zentrale Anliegen der AfD. Dass auch Rechtsextremisten | |
| der Partei angehören würden, sieht er nicht in inhaltlichen | |
| Übereinstimmungen begründet, sondern in dem Wunsch nach Teilhabe an der | |
| Macht. Diese sei nur durch Wahlfälschung klein gehalten, die er selbst | |
| beobachtet habe. Seine Argumentation, sie gleicht im Kern der der | |
| Reichsbürgerbewegung. | |
| ## Bildung ist nicht alles | |
| Im Diskurs der vergangenen Wochen zeigte sich, dass Lösungsoptionen gern an | |
| politische Bildungsinstitutionen in den von Rechtsextremismus betroffenen | |
| Regionen weitergereicht werden. Diese allein sind allerdings nur bedingt | |
| handlungsfähig. Der Demokratieforscher Spittler sagt, mehr Demokratiewissen | |
| führe nicht zwangsläufig zum Erfolg. „Wenn keine Staatlichkeit erlebbar | |
| ist, ist natürlich auch wenig mit Demokratie und Gemeinwesen“, resümiert | |
| er. Demokratie müsse erlebbar werden. Das heißt, mit Rechten reden? „Man | |
| kann auch abgrenzen und reden“, entgegnet Spittler. | |
| „Die europaweite Forschung zeigt: Parteien profitieren von der Abgrenzung | |
| von rechts“, sagt Spittler. Der erste Schritt seitens der Politik sei also | |
| getan. „Was es nun braucht, ist eine Staatlichkeit, die erfahrbar ist.“ Man | |
| muss also nicht nur Bratwürste im Hinterland verteilen, sondern auch | |
| Ressourcen – und zwar unter Einbeziehung der Themen und Bedürfnisse der | |
| Menschen. Ein schöner Marktplatz bietet nicht zwangsläufig einen Raum für | |
| demokratischen Diskurs, den Sachsen und Brandenburg dringend nötig haben. | |
| 13 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Pia Stendera | |
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