# taz.de -- Debattieren mit Populisten: Deutschland, eine Streichmettwurst | |
> Soll man mit Rechten reden? Macht man ja dauernd – nur meistens | |
> aneinander vorbei. Und es reicht nicht, sie immer nur als „Rassisten“ zu | |
> bezeichnen. | |
Bild: Deutschland, Land des Umtopfens: Schleierkrautsetzlinge in einem Gartenba… | |
Die Debatte darüber, ob unsereins mit Rechten reden sollte oder müsste, | |
Thema etlicher Bücher und gefühlt von überzähligen Meinungsbeiträgen in | |
allen möglichen Medien: Sie scheint doch an Folklorität zu gewinnen. | |
Man redet ja mit ihnen, etwa in diesen Tagen im Bundestag, nur eben | |
aneinander vorbei. Fährt man mit dem öffentlichen Nahverkehr oder mit der | |
Eisenbahn weite Strecken, weiß man außerdem ja nie, ob man beim Smalltalk | |
nicht gerade einem rechten Giftmischer Auskunft über die nächste Verbindung | |
nach soundso gegeben oder von diesem oder dieser erbeten hat. | |
Die Fronten sind ohnehin klar: Rechtspopulisten, wie oben skizziert, sind | |
nicht die Anwält:innen jener, die sie zu repräsentieren vorgeben, der | |
prekär Lebenden etwa. Doch es reicht nicht, dies festzustellen – dass es | |
eine erhebliche Differenz zu dem gibt, wie unsereins sich ein gutes Leben | |
miteinander vorstellt. | |
Ist es denn genügend, sie der Inhumanität zu bezichtigen, wie im Laufe der | |
Woche [1][ein Bundestagsabgeordneter der SPD] es AfD-Fraktionschef | |
Alexander Gauland gegenüber tat? Der hatte im Hinblick auf die | |
seenotrettenden Menschen im Mittelmeer davon geredet, dass „Schlepperhelfer | |
zu Helden stilisiert“ würden, weil der „Öffentlichkeit suggeriert“ werd… | |
„man könnte die Migrationsrouten nicht schließen“. | |
Ist es einer souveränen und damit entschieden nicht jammervollen Agitation | |
gegen die Rechtspopulisten wirklich nützlich, sie immer nur als | |
„Rassisten“, „Menschenfeinde“ oder „Nazis“ zu bezeichnen, mal ganz … | |
abgesehen, dass sie eben dies auch meist bis oft sind? | |
Nein, denn so kommt kein Gespräch zustande. Vokabeln wie die genannten | |
dienen nur dem eigenen Seelentrost, nicht jedoch der emanzipierenden | |
Kommunikation. Sie wäre zu leisten, aber dann müsste man mit Rechten | |
tatsächlich offen sprechen, ohne Mimimi-Tonalität und | |
Gratiseingeschnapptheit. Nicht offen verständnisheischend, sondern offensiv | |
– und entschieden konfrontativ. | |
Etwa über jene Rede Gaulands, die von den neuen Bürger:innen der EU handelt | |
und so protokolliert wurde: „Ist erst einmal die relative Homogenität der | |
europäischen Völker aufgelöst, löst sich allmählich auch der nationale | |
Zusammenhalt auf und der Nationalstaat kann durch eine neue internationale, | |
übernationale Struktur ersetzt werden. | |
Das wird ohne eine Umerziehung der nach wie vor in ihren nationalen | |
Klausuren lebenden, denkenden und fühlenden Völker nicht funktionieren. | |
Diese Umerziehung erleben wir täglich. Sie beginnt in den Schulen, sie | |
ergießt sich über die Werbung und endet abends in den ‚Tagesthemen‘.“ | |
Das ist eine vergleichsweise harmlose Rhetorik, die der AfD-Politiker | |
Gauland hier wählt. Noch vor anderthalb Jahren nutzte seine Partei das | |
politische Zauberwort „Umvolkung“, wenn Flüchtlinge in der EU gemeint | |
waren. Aber das, [2][so erfuhr die AfD gutachterlich,] kam beim | |
Verfassungsschutz gar nicht gut an, weil dieses Wort so eindeutig als | |
nationalsozialistisch verstanden wird, aus der politischen Sprache der | |
offiziellen AfD scheint es nun wie verschwunden. | |
Umvolkung, das war mal der Plan NS-Deutschlands, die Menschen im slawischen | |
Osten des europäischen Kontinents auszurotten und statt ihrer | |
traditionsdeutsche Müllers und Meiers und Lehmanns und Schmidts umzutopfen | |
und dort siedeln zu lassen. | |
In Wahrheit aber wird dieses Framing der völkisch gesinnten Reinheit weiter | |
bedient, nur äußert es Gauland zwischen den Zeilen, wenn er von der | |
„relative(n) Homogenität“ spricht, die in Gefahr stehe. Am Ende aber kommt | |
er auf die Phobie der AfD schlechthin zu sprechen, nämlich auf das Thema | |
„Umerziehung“. Auch hier wieder böte sich aus liberaler Perspektive an, ihm | |
Unfug zu attestieren, mindestens ein „dummes Zeug“ hinterherzurufen. | |
Man sollte es anders halten, das wäre provokanter, das klärt die | |
Verhältnisse viel stärker als alles moralische Getue: Sagen, dass sie recht | |
haben. Dass sie Zutreffendes beobachten und dies in den öffentlichen Arenen | |
verkünden. Ja, die Länder der EU werden nicht mehr homogen sein und sind es | |
längst nicht mehr. | |
Und richtig, es findet eine Umerziehung statt. Rassistisch gesinnte | |
Abfälligkeiten, gleich gegen wen, gegen arabisch oder türkisch oder | |
irgendwie anders aussehende Menschen, sind absolut unstatthaft und weder | |
moralisch noch im Alltag akzeptabel. Wenn die Rechten von Genderwahn | |
sprechen, haben sie auch recht. Schwulen-, lesben- und transfeindliche | |
Äußerungen sind nicht erwünscht. Einen einzigen „arischen“ Volkskörper … | |
es nie, diese Vorstellung hat sich mindestens seit dem 8. Mai 1945 | |
vollkommen erledigt. | |
Man darf gerade beim Thema „Umvolkung“ verblüfft sein, wie sehr Männer wie | |
Gauland & Co. historisch stark unterinformiert sind. Sie wüssten | |
andernfalls, dass das Gebiet, das heute als deutsches verstanden wird, | |
schon immer der europäische Vermischungsplatz schlechthin war. Durch | |
deutsche Lande kamen auf sogenannten Völkerwanderungen alle möglichen | |
Gruppen, aus dem Osten sehr gern, auch aus dem Norden, Westen oder Süden. | |
Jedenfalls ist Deutschland unter allen europäischen Ländern das ethnisch | |
durchmischteste überhaupt, es hat kulturell in jeder Hinsicht von diesen | |
Vermischungen profitiert. Diese, so das Fachwort, Hybridisierungen gingen | |
nicht ohne das im wahren Leben ab, was Gauland als „Umerziehung“ | |
bezeichnet: Irgendwann, und das ist nicht lange her, musste die Bevölkerung | |
auch umcodiert werden, im Rechtssystem die Todesstrafe aus dem Katalog der | |
Vergeltungen zu streichen und staatlich veranlasste Folter zu ächten. | |
## Gökhan und Ayse sind längst deutsche Vornamen | |
Mit anderen Worten: Die AfD beklagt etwas, das unsereins gut findet: | |
Trainings in höflicheren, korrekteren Umgangsformen; eine Missachtung aller | |
Wünsche nach angeblich kultureller Homogenität. | |
Was manche Funktionäre mal „Umvolkung“ nannten, ist ja ohnehin nicht von | |
der Hand zu weisen: In Deutschland lebt aktuell ein Fünftel aller | |
Bürger:innen mit sogenanntem Migrationshintergrund, und dazu zählen die | |
arabischstämmigen Nachbarn ebenso wie die Entertainerin Helene Fischer, | |
eine 1984 gebürtige Russin aus Krasnojarsk, die mit ihren Eltern in der | |
Bundesrepublik ihr Glück zu finden suchte. | |
Und es werden noch mehr von jenen, die das Missfallen der Rechten finden. | |
Sie sind die Zukunft Deutschlands, besser und mehr noch: des Europas der | |
EU. Gökhan, Ayse, Hassan, Ebru, Amina und Mahmud werden deutsche Vornamen | |
sein und sind es, wenn die Wahrnehmung vieler Linker nicht so | |
kulturalististisch aufgeladen wäre, ja längst. | |
Daran werden die Rechten sich gewöhnen müssen, ob sie es wollen oder nicht. | |
Um in ihrer Sprache zu bleiben: Das, was sie als „Umvolkung“ | |
interpretieren, findet dank jahrzehntelanger Einwanderung und | |
Kreuz-und-quer-Vögelei über alle ethnischen Zuschreibungen hinweg statt, | |
ebenso die Integration in das, was die deutsche Gesellschaft genannt wird. | |
Deshalb lohnt es sich nicht, der AfD und ihrem unbürgerlichen, weil | |
historisch allenfalls halbgebildeten Führungsmann nur Moral – „Ey, das war | |
echt inhuman!“ – zu entgegnen. Nein, sie sehen das Gleiche, aber sie deuten | |
es furchtsam. | |
Im Gegenteil möge man ihnen erwidern: Lass mal gut sein, ist alles nicht | |
schlimm – Deutschland ist ein schwerst durchmischtes Land, so wie | |
Streichmettwurst. Ist alles drin, aber niemand weiß genau, was. Und es wird | |
sich weiter mischen, fern sein von dem, was als „Homogenität“ definiert | |
sein mag. Was auch sonst? | |
Der einen Horror und Warnung vor diesem sollte den anderen, uns, nur eine | |
Antwort abverlangen: Ist doch alles gut so! | |
16 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_86427952/spd-po… | |
[2] /Gutachten-der-AfD/!5545058/ | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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