# taz.de -- Grüne in Ostdeutschland: Clash der Realitäten | |
> Grünen-Chef Robert Habeck tourt im Wahlkampf durch Sachsen. Er muss | |
> erfahren, dass der Kampf gegen rechts schwieriger ist als gedacht. | |
Bild: Wem gehört die Stadt? Das Karl-Marx-Monument in Chemnitz ist ein symbolt… | |
CHEMNITZ/ZWICKAU taz | „Hau ab, hau ab, hau ab!“ Die rund 30 Sympathisanten | |
von Pro Chemnitz brüllen los, sobald Robert Habeck die Bühne betritt. | |
Muskulöse Typen mit kahl rasierten Schädeln und Sonnenbrillen neben älteren | |
Herrschaften, harte Gesichter, beige Jacken, Deutschlandfahne. Sie stehen | |
nur zehn Meter von der Bühne entfernt, dicht an dicht mit anderen Zuhörern, | |
die zum Karl-Marx-Monument gekommen sind, um den grünen Promi mal in echt | |
zu sehen. | |
Grünen-Chef Habeck tourte letzte Woche durch Sachsen, um den seinen im | |
Wahlkampf zu helfen. Seine Partei sieht er als weltoffenen Gegenpol zur | |
AfD. Aber was heißt das im Konkreten, wenn Rechtsextreme plötzlich direkt | |
neben einem brüllen? Wenn Gewalt in der Luft liegt? Habeck musste am | |
Donnerstag in Chemnitz erfahren, dass der Kampf um die Demokratie manchmal | |
schwieriger ist als gedacht. | |
In zwei ostdeutschen Bundesländern deutet sich eine kleine Sensation an. | |
Die Grünen stehen in Brandenburg in Umfragen bei 16 Prozent, das ist fast | |
dreimal so viel, wie sie bei der letzten Landtagswahl schafften. In Sachsen | |
sind es im Moment 12 Prozent. Das ist ein Paradigmenwechsel. Früher | |
bibberten die Grünen in diesen Ländern um den Einzug ins Parlament. In | |
Zukunft werden sie sie wahrscheinlich regieren. | |
Habeck spricht vor überfüllten Sälen, ob nun im Gasometer in Zwickau oder | |
im Leipziger Felsenkeller. Den Termin am Karl-Marx-Monument hat die | |
Tourplanung bewusst festgelegt. Es geht um ein Symbol. | |
## 40 Tonnen schwerer Marx | |
Der düster blickende Marx, 40 Tonnen schwer, steht mitten in der Chemnitzer | |
Innenstadt. Vor einem Jahr herrschte hier wochenlang der Ausnahmezustand. | |
Rechtsextreme aus dem ganzen Land zogen vorbei, nachdem zwei Geflüchtete | |
einen Chemnitzer im August 2018 erstochen haben sollen. Migranten wurden | |
attackiert, ein jüdisches Restaurant wurde angegriffen. AfDler marschierten | |
neben harten Neonazis. | |
Merkel reagierte, selbst ein UN-Hochkommissar bezeichnete das, was in | |
Sachsen passierte, als „schockierend“. Aber auch die demokratische, bunte | |
Mitte ging in Chemnitz auf die Straße. Es gab Konzerte gegen rechts, | |
prominente Politiker reisten in die Stadt. Wenn ein Ort für den Kampf gegen | |
rechts steht, dann das Monument mit dem Spitznamen „Nischel“. | |
Die Moderatorin, eine Grünen-Direktkandidatin, liest auf der Bühne Fragen | |
aus dem Publikum vor, Habeck antwortet. Das „Town Hall“ genannte Format | |
soll die Bürger mit dem Politiker ins Gespräch bringen. Einer redet, alle | |
müssen zuhören – solcher Frontalunterricht ist out. Wie retten wir den | |
Wald? Warum fliegen Grünen-Politiker so viel? Was soll mit straffälligen | |
Asylbewerbern passieren? | |
Habeck geht hin und her, gestikuliert ruhig und erklärt, wie der Wald unter | |
der Trockenheit leidet, dass Bäume anfälliger werden für Schädlinge, dass | |
er widerstandsfähiger gemacht werden müsse. Er argumentiert, dass eine | |
kleine Bundestagsfraktion, die dasselbe leistet wie die großen Fraktionen, | |
mehr reisen müsse. Und er stellt klar, dass die Grünen keineswegs gegen | |
Abschiebungen sind. Aber er sagt dazu, dass auch straffällig gewordene | |
Asylbewerber in Not und Elend abgeschoben würden. Es sei falsch, sich mit | |
Abschiebungen nach Afghanistan zu brüsten. „Stolz und Mackertum sind | |
unangebracht.“ Pro Chemnitz grölt und lacht höhnisch. „Lüge, Lüge, Lüg… | |
## „Wenn Rechte diskutieren, können sie nicht brüllen“ | |
Aber Habeck hat das Mikro, und der Applaus der 350 anderen ZuhörerInnen ist | |
lauter. Der Wind bläst eine Grünen-Fahne um, die am Fuß mit einem | |
Wasserkasten beschwert wurde. Lautes Klirren. Grüne OrdnerInnen und andere | |
Leute stellen sich vor die Rechtspopulisten, fangen Gespräche mit ihnen an. | |
Die Moderatorin sagt, man habe entschieden, die Störer auszuhalten. „Danke | |
an euch, die ihr das mit uns tut.“ | |
Auch der Schatzmeister der sächsischen Grünen hat sich vor den Krakeelern | |
aufgebaut. Sascha Thümmler trägt Glatze und Vollbart, er ist mit einer | |
Statur gesegnet, die schwer wegzuschieben ist. Er habe kein Problem damit, | |
bei einer solchen Veranstaltung auf die Schreiereien der vom | |
Verfassungsschutz beobachteten Rechtsextremen von Pro Chemnitz direkt zu | |
reagieren, erzählt Thümmler später. „Wenn die Rechten mit mir diskutieren, | |
können sie nicht brüllen.“ | |
Reden, nachrücken, wenn die Rechten einen Schritt zurückgehen, oder | |
ignorieren: Die Chemnitzer Zivilgesellschaft reagiert an diesem windigen | |
Abend mutig, engagiert und gewitzt. | |
Die Moderatorin liest von ihrem Zettel ab: Was verbinden Sie mit Chemnitz? | |
Auf diese Frage hat Parteichef Habeck gewartet. Die Rechtspopulisten | |
versuchten, „eure Stadt“ zu einem Klischee zu machen, ruft er. Und dieses | |
Klischee sei wirksam. Für ihn sei Chemnitz das Gegenteil, nämlich ein | |
Zeichen der Zivilgesellschaft. Habeck hebt seine Stimme. Es gebe einen | |
Hunger nach Zuversicht, Aufbruch und Zusammenhalt, ruft er. „Wenn ihr es in | |
einem Satz haben wollt: Chemnitz steht dafür, den öffentlichen Raum nicht | |
den Antidemokraten zu überlassen.“ | |
## Habeck sagt: „Die waren die Trottel am Rand“ | |
„Yeah“, sagt eine junge Frau und lächelt. Beifall tost über den Platz. Die | |
Rechtsextremen sind nicht mehr zu hören. Wenn es einen Moment gibt, der | |
anschaulich zeigt, dass die Demokraten in Ostdeutschland die übergroße | |
Mehrheit stellen, dann ist es dieser. Damit könnte die Anekdote aus dem | |
sächsischen Landtagswahlkampf enden. Aber dann passiert noch etwas, was ein | |
anderes Licht auf sie wirft. Nach der Veranstaltung steht Habeck vor der | |
Bühne. Er schreibt einem Mädchen eine Widmung in die Kladde, ein Vater mit | |
seiner Tochter auf dem Arm will ein Handyfoto. | |
Drei Leute von der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“ sprechen ihn an. | |
Eine Frau mit kurzem, grauen Haar und bunter Fahne, zwei junge Typen in | |
schwarzen Klamotten, einer hat „Team Umvolkung“ auf dem Sweatshirt stehen. | |
Sie reden wütend auf ihn ein. Warum er die Rechtsextremen im Publikum | |
geduldet habe? Warum er sie nicht mithilfe der Polizei des Platzes | |
verwiesen hätte? Ob man bei Grünen-Veranstaltungen nicht mehr sicher sei? | |
Robert Habeck widerspricht: „Das war doch lächerlich. Die waren die Trottel | |
am Rand“, sagt er. | |
„Wir kämpfen hier vor Ort gegen Rassismus. Wir fühlen uns verarscht, wenn | |
solche Leute offiziell bei euch zugelassen sind.“ | |
„Das schätzt ihr falsch ein“, sagt Habeck. „Die Geschichte des Abends wa… | |
dass der Platz mit demokratischen Mitteln gehalten wurde.“ Es habe keine | |
körperliche Gewalt gegeben. | |
„Die körperliche Gewalt kommt hinterher. Das trifft die jungen Männer | |
hier.“ | |
Der Typ mit dem Sweatshirt zittert vor Erregung. Er macht vor, was | |
passiert, wenn er einem der Rechtsextremen in der Innenstadt begegnet – und | |
haut Habeck die Hand bedrohlich auf die Schulter. „Na, auch wieder | |
demonstrieren gewesen?“ Die Rechtsextremen machten ihre Handyfotos nicht, | |
um sie im Wohnzimmer aufzuhängen. | |
Habeck sagt am Ende, er nehme alles auf seine Kappe. Dennoch: Man geht | |
unversöhnt auseinander. Zu unvermittelt sind zwei Lebensrealitäten | |
aufeinandergeprallt. Die des Spitzenpolitikers, der morgen weiterreist. Und | |
die der Leute, die jeden Tag mit Rassisten vor der Haustür leben müssen. | |
19 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Robert Habeck | |
Sachsen | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
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