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# taz.de -- Grüne vor den Wahlen 2019: Demut und Differenzierung
> Die Grünen bereiten sich auf die Europawahl und Landtagswahlen im Osten
> vor. Dabei geben sie sich ausgesprochen selbstkritisch.
Bild: Der Osten ist für die Grünen traditionell schwieriges Terrain
Frankfurt/Oder taz | Frankfurt an der Oder hat gelernt, mit Schrumpfung
umzugehen. Im Winter versorgt die 60.000-Einwohner-Stadt an der polnischen
Grenze die polnische Nachbarstadt Słubice mit Wärme. Im Sommer kommt warmes
Wasser von einem polnischen Kraftwerk – und das deutsche Werk kann
abgeschaltet werden. Frankfurt an der Oder stehe sinnbildlich für das, was
den Osten beschreibe, sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock. „Hier gab es
schmerzhafte Brüche, Schrumpfung, aber es gibt auch Hoffnung und Mut, Dinge
anzupacken.“
Der Grünen-Vorstand hat sich zwei Tage in der Grenzstadt getroffen, um die
Strategie für die Europawahl und die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg
und Thüringen zu besprechen. „Wir wollen eine neue Gemeinsamkeit von Ost
und West schaffen“, sagt Baerbock. „Die sozialen Probleme, die wir überall
beobachten, zeigen sich in Ostdeutschland wie unter einem Brennglas.“
[1][Der Osten ist für die Grünen traditionell schwieriges Terrain.] Die
Wahlergebnisse sind mäßig, die Landesverbände klein. Doch die
erfolgsverwöhnten Grünen hoffen, dass sich ihr Dauerhoch auch im Osten
niederschlägt.
Erste Anzeichen gibt es: Die Mitgliederzahlen steigen, in Sachsen haben die
Grünen 50 Prozent mehr Mitglieder als bei der Landtagswahl vor fünf Jahren.
Eine Umfrage sah die Brandenburger Grünen neulich bei 12 Prozent – doppelt
so stark wie bei der vergangenen Wahl. Es gelte, so die Ansage des
Vorstands, wie in Hessen und Bayern die Rechtsdrift aufzuhalten – und eine
gestaltende Politik mehrheitsfähig zu machen.
## Peinlicher Fehler
Dabei geben sich die Grünen demonstrativ demütig. Der achtseitige Beschluss
des Vorstands ist mit einem Zitat Bertolt Brechts überschrieben: „Nicht
über und nicht unter“. Bloß keine Überheblichkeit, das Bemühen um einen
differenzierten Blick spricht aus jeder Zeile. Auch selbstkritische Sätze
finden sich darin.
Als sich Anfang der 90er die West-Grünen und das Bündnis 90 aus der DDR
zusammenschlossen, begegneten die Wessis den Neulingen mit einiger
Arroganz. Ob die ostdeutschen Stimmen in der bündnisgrünen Partei „auch
immer ausreichend Gehör fanden, darf tatsächlich bezweifelt werden“,
schreiben die Grünen heute. Daher sei das Jahr 2019 auch „eine Chance,
unsere eigenen Versäumnisse nachzuholen.“
Das Fazit: Die Lebensverhältnisse in Ost und West müssten angeglichen und
die Nachwendezeit, in der der Osten zum „Versuchslabor neoliberaler Ideen“
geworden sei, aufgearbeitet werden. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner
stammt aus Thüringen. Er weist darauf hin, dass Ostdeutsche weniger
Vermögen, weniger Aktien und weniger Erbe hätten als Westdeutsche. „Die
ökonomischen Schutzzonen sind schwächer“, sagt er. „Deshalb sind
verständlicherweise die Ängste vor Absturz größer.“
Das Vorstandspapier zählt mehrere Ideen auf, die Abhilfe schaffen sollen,
zum Beispiel einen Härtefallfonds für benachteiligte Berufe oder Rentner.
Und die Grünen wehren sich gegen die Steuersenkungspläne der Großen
Koalition. Sie möchten den Solidaritätszuschlag durch einen „Soli für
gleichwertige Lebensverhältnisse“ ablösen – und Kommunen helfen, die vom
Strukturwandel betroffen sind.
Umso peinlicher wirkt der Fehler, [2][den sich Parteichef Robert Habeck am
Wochenende geleistet hatte.] In einem Video, das der Thüringer
Landesverband auf Twitter postete, klang es, als spreche der Ober-Grüne dem
Bundesland ab, eine Demokratie zu sein. Wer die Grünen für arrogante
Besserwessis hält, die anderen ihren Lebensstil vorschreiben, durfte sich
bestätigt fühlen.
8 Jan 2019
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-gruenen-haben-ein-problem-den…
[2] /Pro-und-Contra-Habeck-und-das-Internet/!5563505
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
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Schwerpunkt Europawahl
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