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# taz.de -- Ein Jahr Grünenchefs Habeck/Baerbock: Das unterschiedliche Traumpa…
> Seit einem Jahr sind die beiden Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena
> Baerbock im Amt. Eine Analyse in fünf Punkten.
Bild: Grünen-Chefs, die sich unterstützen – das ist neu: Robert Habeck umar…
BERLIN taz | Dieses Lob kam von unerwarteter Seite. Sigmar Gabriel, allzu
großer Grünen-nähe unverdächtig, pries [1][Robert Habeck] und Annalena
Baerbock neulich als „unverhofften Glücksgriff“ an. Beide wirbelten
„seltsam schwebend und frisch“ den ausgelaugten Politikbetrieb
durcheinander, so der Ex-SPD-Chef – und agierten pragmatisch, freundlich
und zugewandt. Doch wie läuft es eigentlich mit der neuen grünen
Doppelspitze?
Vertrauen
Zu zweit ein Büro beziehen, die Schreibtische aneinanderrücken, einen
einzigen Büroleiter für beide einstellen. Habeck und Baerbock verstanden es
anfangs, eine klare Botschaft zu senden: Ab jetzt kämpfen wir gemeinsam!
Bis heute klappt das gut. Sie stimmen sich eng ab, halten täglich Kontakt
über den Messengerdienst WhatsApp und andere Kanäle und sind sich über die
großen Linien einig: Beide wollen anders kommunizieren, weniger Stanzen,
weniger Floskeln nutzen. Dem Gegner auch mal recht geben, ihn nicht
persönlich angreifen. Die ganze Gesellschaft ansprechen, nicht nur die
urgrüne Kernklientel.
Zwei Grünen-ChefInnen, die sich inhaltlich, politisch und intellektuell
unterstützen – das ist in der Tat neu. Meist lief es anders. Als Cem
Özdemir und Simone Peter die Grünen führten, herrschte vor allem
Misstrauen. Zwei verfeindete Teams arbeiteten in der Geschäftsstelle
gegeneinander. Der Realo nutzte seine Prominenz, um seine linke Co-Chefin
an die Wand zu spielen. Beide bedienten Interessen „ihres“ Parteiflügels,
statt sich aufs große Ganze zu konzentrieren.
In Strukturen gegossene Missgunst war in der Grünen-Geschichte übrigens
eher die Regel denn die Ausnahme, auch vor dem Duo infernale Özdemir/
Peter. Es ist legendär, dass 2007 eine Grünen-Führungscrew um die
Vorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer unter dem Spitznamen
„Pentagramm des Grauens“ firmierte.
Augenhöhe
Habeck hat Regierungserfahrung als Minister in Schleswig-Holstein
gesammelt, er steht in Beliebtheitsrankings weiter vorne als Baerbock und
wird öfter von den Medien für die großen Welterklärer-Interviews angefragt.
Doch Baerbock hat wahrgemacht, was sie in ihrer Bewerbungsrede angekündigt
hatte – bloß nicht „die Frau an Roberts Seite“ sein zu wollen.
Ob es nun um Talkshow-Auftritte, Podiumsdiskussionen oder den Respekt geht,
der ihr in der Partei entgegengebracht wird: Baerbock hat sich Gewicht und
Standing erarbeitet, obwohl sie anfangs weniger prominent war als ihr
Co-Chef.
Sichtbar wird auch das im Kleinen, etwa bei der Vorstandsklausur in
Frankfurt (Oder) vor gut zwei Wochen. Habeck hat müde Augen bei der
Abschlusspressekonferenz, er spricht leiser als sonst. Die Debatte über
seinen Thüringen-Patzer und den Twitter-Ausstieg tobt, sie nimmt ihn
sichtlich mit. Das Spitzenduo stellt ein Papier für die ostdeutschen Wahlen
vor, in dem die Grünen unter anderem einen Wagniskapital-Kredit von 25.000
Euro für Jungunternehmer vorschlagen.
Ein Journalist fragt skeptisch, ob den Kredit eigentlich auch reiche Erben
nutzen könnten, die ihn eigentlich nicht nötig hätten? Habeck holt aus,
verfranst sich, bejaht am Ende. Baerbock hakt ein, obwohl Habeck
angesprochen war. Solche Mikrokredite seien bereits erprobt, in Brandenburg
zum Beispiel. Und sie hätten nicht dazu geführt, dass Vermögende sie
genutzt hätten. Zack, nächste Frage, bitte.
Der Mann gibt immer den Ton an? Nö. Über Waffengleichheit muss man sich bei
dem Grünen-Duo schon lange keine Sorgen mehr machen.
Diversität
Eine gute Doppelspitze funktioniert, wenn sie Unterschiedlichkeit als
Vorteil begreift. Das ist bei Habeck und Baerbock der Fall. Sie ziehen an
einem Strang, sind aber komplett unterschiedliche Typen. Habeck,
Philosophiestudium, Dr. phil., im früheren Leben Schriftsteller, ist
impulsiv, er lädt Politik emotional auf und ist in der Lage, über jedes
Thema eine nachdenklich klingende Metaebene zu wölben. In einer nach
Erzählungen gierenden Medienlandschaft ist das eine nicht zu
unterschätzende Stärke. Ein Robert Habeck macht keine einfache Sommerreise
wie, sagen wir, Andrea Nahles es tut. Er rettet mit linksliberalem
Patriotismus die Werte der Republik, mindestens.
Baerbock, studierte Völkerrechtlerin, argumentiert nüchterner, oft auch
detailverliebter. Wenn Habeck mit einer These vorpreschen will, liest sie
lieber noch ein paar Gesetze oder telefoniert mit Fachpolitikern. Das
klingt nicht so gut, ist aber oft sinnvoll. Im Idealfall ergänzt sich
beides.
Auch im Temperament unterscheiden sich beide. Habeck, der Mann, wirkt
manchmal wie die Dramaqueen im Spitzenduo, ohne Inszenierung, ohne große
Geste geht es bei ihm nicht. Baerbock tickt bodenständiger, vorsichtiger
ist sie auch. Wegen eines simplen Versprechers bei Twitter aussteigen? Da
käme Baerbock nicht mal nach fünf schlaflosen Nächten drauf.
Stringenz
Habeck und Baerbock zeichnen von sich das schöne Bild, mutig, offensiv und
klar zu sein. Was stimmt, ist, dass sie Zuspitzungen wagen, die die Grünen
lange vermieden. Habeck und Baerbock werben offensiv für eine
Plastik-Steuer oder für eine sanktionsfreie Grundsicherung, die Hartz IV
ablösen soll. Diese Ideen sind keineswegs neu und teils seit Jahren
Beschlusslage der Grünen. Sie spielten nur in der öffentlichen
Kommunikation keine Rolle, weil Spitzengrüne Angst hatten, bei
Konservativen anzuecken.
So bleiben die Grünen für enttäuschte SPD-WählerInnen und linksgrüne Ökos
attraktiv. Aber Habeck setzt auch wohl dosierte Signale, um moderne
Konservative anzusprechen. Unter ihnen präsentieren sich die Grünen, deren
Fans früher gegen den bösen Bullenstaat kämpften, als
Rechtsstaatsverteidiger, die mehr Richter und Polizisten fordern – und die
Nationalhymne preisen.
Dennoch sollte man nicht allen grünen Werbeclaims trauen. Ihre
Grundsicherung kostet grob geschätzt 30 Milliarden Euro im Jahr. Doch wenn
es ums nötige Geld geht, flüchten sich auch Habeck und Baerbock in
Plattitüden – aus Angst vor einer Steuererhöhungsdebatte. Die Grünen
brandmarken im Bund die Flüchtlingspolitik der CSU, hätten mit ihr in
Bayern aber liebend gern koaliert. Oder sie geißeln die dieselverliebte
Autoindustrie, während der baden-württembergische Ministerpräsident
Winfried Kretschmann den Daimler schützt, wo er kann.
Die Grünen von heute kommen ohne Widersprüche nicht aus. Die Medien lassen
ihnen solche Ungereimtheiten noch durchgehen – auch wegen der Strahlkraft
der Doppelspitze.
Macht
Lange gab bei den Grünen die Bundestagsfraktion den Ton an. Deren
Vorsitzende hatten die Bühne des Parlaments, mehr MitarbeiterInnen, mehr
Aufmerksamkeit. Der Bundesvorstand wurde intern als „die arme
Verwandtschaft vom Platz vor dem Neuen Tor“ verspottet. Habeck und Baerbock
haben diese Aufteilung auf den Kopf gestellt. Heute kommen aus dem Vorstand
die wichtigen Impulse.
Ein Beispiel: Es war bei den Grünen eine jahrelang gepflegte Tradition,
dass die Fraktion zum Jahresbeginn nach Weimar zur Klausurtagung einlud.
Sie setzte so die Themen fürs Jahr. Dieses Jahr lud der Vorstand nach
Frankfurt (Oder) ein. Habeck und Baerbock bekamen die Zeitungsseiten und
Fernsehberichte für ihre Botschaften.
Die neue Macht der Vorsitzenden hat einen absurden Effekt. Habeck und
Baerbock betonen bei jeder Gelegenheit, dass die Grünen mehr Streit wagen
müssten. Doch öffentlicher Widerspruch ist selten geworden, die Partei
wirkt wie sediert. „Angesichts des Höhenfluges möchte keiner in die Suppe
spucken“, sagt ein gut vernetzter Linksgrüner.
Vor Weihnachten forderte Baerbock [2][in einem gezielt platzierten
Interview, straffällige Asylbewerber bei Abschiebungen vorzuziehen]. Man
hätte trefflich darüber streiten können, ob solche Botschaften den Grünen
nutzen. Doch als eine Journalistin Bundestagsabgeordnete und andere Grüne
danach um kritische Stellungnahmen bat, passierte etwas Lustiges.
Angesprochene informierten umgehend Baerbock und die Pressestelle – und
hielten selbst lieber den Mund. Selbstverständlich sind alle Grünen
souveräne, eigenständige Köpfe, die total Bock auf klugen Streit haben.
Aber vorher fragen sie lieber die Chefin um Erlaubnis.
26 Jan 2019
## LINKS
[1] /Gruenenchef-Habeck-ueber-Europapolitik/!5555668
[2] /Kommentar-Gruene-und-Abschiebungen/!5557475
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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Alexander Gauland
Katrin Göring-Eckardt
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