# taz.de -- Erfolge der AfD im Osten: „Ich habe etwas Angst“ | |
> Die AfD ist in den neuen Bundesländern stark wie nie. Was sagen Menschen | |
> dazu, die von den Rechten regelmäßig angefeindet werden? Vier Protokolle. | |
Bild: Über Hirschfeld liegt ein Schatten: 50,6 Prozent der Wähler*innen haben… | |
## „Für uns dürfte es schwieriger werden“ | |
Über die AfD-Ergebnisse habe ich mich nicht erschrocken – nicht nach der | |
Entwicklung in den letzten Jahren. Es gibt in der Region einen rechten | |
Bodensatz, der traditionell stark ist. Früher bekam hier die NPD viele | |
Stimmen, nun ist es die AfD. Das hat auch damit zu tun, dass die | |
weltoffenen Leute seit 20, 30 Jahren abwandern. Die AfD ist hier | |
mancherorts mit strunzdoofen Nobodys angetreten – gewählt wurden sie | |
trotzdem. Weil einige Leute hier einfach eine völkisch-nationale Politik | |
haben wollen. | |
Ich bin daher fast eher erleichtert, dass die AfD landesweit nicht den | |
ersten Platz geholt hat. Jetzt hoffen wir mal, dass die CDU dabei bleibt, | |
nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten. Hier um die Ecke, in Görlitz, erleben | |
wir das ja anders, da hat die CDU die AfD gerade erst mit in die Ausschüsse | |
gehievt. Ich vermute, die AfD wird sich jetzt erst mal den Schafspelz | |
überziehen und versuchen, einen auf Fachpolitik zu machen – dabei hat sie | |
da gar nichts zu bieten. Diese Normalisierung dürfen wir denen nicht | |
durchgehen lassen. | |
Aber für uns dürfte es schwieriger werden. Die AfD wird versuchen, uns | |
Steine in den Weg zu legen. Weil ihr die Inhalte fehlen, reiben sie sich an | |
ihren Gegnern. Und sie haben ihr Feindbild ja klar benannt: die Demokraten. | |
Also auch wir. Zum anderen könnte es den Effekt geben, dass die Behörden in | |
vorauseilendem Gehorsam alternativen Initiativen plötzlich Stress machen, | |
weil ihnen die AfD im Nacken sitzt. Darauf müssen wir uns einstellen. Aber | |
wir rollen jetzt bestimmt nicht unsere Fahne ein. | |
Was jetzt hilft, ist mehr Solidarität unter den Aktiven: miteinander | |
sprechen, Zusammenhalt ausbauen. Es gibt ja noch die Gegenbewegung, die | |
Angebote von uns und anderen. Damit machen wir natürlich weiter. Wer weiß, | |
vielleicht wäre es ohne unsere jahrelange Arbeit noch viel schlimmer | |
gekommen bei der Wahl?! | |
Sven Kaseler ist Vorstand des Vereins „Augen auf“, der in Zittau und Löbau | |
mit Jugendarbeit und Erwachsenenbildung Demokratieprojekte anstößt. In der | |
Region holte die Partei ihre sächsischen Rekordergebnisse: 48,4 Prozent in | |
Neißeaue und 46,0 in Dürrhennersdorf. | |
## „Fast jeder hat seine Erfahrungen gemacht“ | |
Natürlich freue ich mich über dieses Wahlergebnis nicht. Die AfD ist immer | |
nur gegen alles, aber sie bietet keine wirklichen Lösungen an. Ich war am | |
Sonntag wählen und habe da nur ältere Leute gesehen. Ich glaube, die | |
meisten von ihnen haben gar keinen Kontakt zu Flüchtlingen oder Ausländern. | |
Die hören nur: Asylbewerber machen Probleme, wollen nicht arbeiten, sind | |
kriminell. Aber das stimmt doch nicht! Kriminalität gibt es überall, auch | |
Rechte begehen Straftaten. Ich bin seit vielen Jahren in Deutschland und | |
kenne viele Asylbewerber. Natürlich wollen die arbeiten und etwas lernen, | |
aber ihre Ausbildungen werden nicht sofort anerkannt, sie müssen erst mal | |
die Sprache lernen, es gibt viele Hürden. Aber die Leute, die die AfD | |
wählen, sehen diese Hintergründe nicht. | |
Die Entwicklung macht mir schon etwas Angst. Einige Bekannte sind noch im | |
Asylverfahren – ich hoffe, sie bekommen noch einen Aufenthaltsstatus. Oder | |
mein Job als Dolmetscher: Ich arbeite ja auch im Amt, befristet. Wird das | |
verlängert? Ich brauche aber meine Arbeit: Meine Frau und ich, wir haben | |
hier ein Haus gekauft, das müssen wir bezahlen. | |
Bisher hatte ich hier nur kleine Probleme. Wir sind zufrieden, ich habe | |
einen Job. Von den Ausländern, die ich kenne, hat aber fast jeder seine | |
Erfahrungen gemacht. Aber ich bin immer beschäftigt, fahre mit dem Auto, da | |
höre ich manche Kommentare vielleicht nicht. Wenn die Lage so bleibt wie | |
heute, dann bleiben wir hier. Aber wir haben damals Syrien verlassen, weil | |
wir uns nicht sicher fühlten. Und wenn wir uns hier nicht sicher fühlen, | |
dann müssten wir auch hier woandershin gehen. Noch ist das aber nicht | |
vergleichbar, noch ist es nicht zu spät, hier etwas zum Guten zu verändern. | |
Adil Omar (Name geändert), gebürtiger Syrer, arbeitet als Dolmetscher in | |
Meißen. In der Stadt errang die AfD am Sonntag 32,2 Prozent. In drei von | |
vier Wahlkreisen in und um Meißen gewann die AfD die Direktmandate. | |
## „Die Leute wissen, was sie da gewählt haben“ | |
Gewünscht hätte ich mir ein niedriges AfD-Ergebnis, klar. Aber wer die | |
Ohren aufmachte, im Bekanntenkreis oder bei Veranstaltungen, der merkte: Es | |
gibt eine Stimmung, die der AfD in die Hände spielt. Da kommt hier in | |
Spremberg vieles zusammen. | |
Migration war hier ein Thema, obwohl der Ausländeranteil in Spremberg mit | |
vier Prozent lächerlich klein ist und viele noch nie ein Wort mit einem | |
Migranten gewechselt haben. Dazu der Frust. Viele sehen, wie hier seit den | |
Neunzigern die Jugendlichen wegziehen und Familien zerreißen. Es gibt | |
Ängste, was aus dem ländlichen Raum wird, wenn nur noch morgens und abends | |
ein Bus fährt. Vor allem aber: die Kohle. Die AfD hat das voll zu ihrem | |
Thema gemacht, als Einzige gesagt, mit uns gibt es keinen Ausstieg. Der | |
wird natürlich kommen, irgendwann ist die Kohle eben weg. Aber wir müssen | |
aufpassen: Die Region darf nicht schon wieder der Verlierer sein, hier | |
brach ja schon einmal die Industrie weg. | |
Und trotzdem nehme ich es den AfD-Wählern nicht ab, dass diese Wahl nur ein | |
Denkzettel sein soll. Die Leute sind nicht dumm, sie wissen, was sie da | |
gewählt haben. Das ist ihre Überzeugung. Ich mache mir seit 30 Jahren | |
Sorgen, was die Fremdenfeindlichkeit angeht, es gab immer wieder Übergriffe | |
in der Stadt. Und jetzt könnte sich die Stimmung wieder einen Schritt weit | |
verschärfen, etwa mit bewusst geschürten Fehlinfos. | |
Viele der Migranten, mit denen ich zu tun habe, nehmen diese Stimmung noch | |
nicht so wahr. Das hat auch etwas mit der Sprachbarriere zu tun. Sie | |
erleben ja vor allem die Menschen, die sie aufgenommen haben oder mit ihnen | |
Feste feiern. Aber sie bemerken natürlich auch diejenigen, die ihnen nicht | |
so wohlgesonnen sind. Nur wird das von vielen noch nicht auf die AfD | |
bezogen. Aber diese Ablehnung, die ist unter den Migranten hier schon | |
Thema. Ich kann nur hoffen, dass diese nicht noch größer wird. | |
Monika Wagschal ist Mitorganisatorin des „Runden Tischs für Ausländer – | |
gegen Gewalt“ in Spremberg, SPD-Mitglied und war langjährige | |
Integrationsbeauftragte im Landkreis Spree-Neiße (Südbrandenburg). In | |
Spremberg holte die AfD 36,4 Prozent. Fast genauso viel war es im | |
zugehörigen Wahlkreis Spree-Neiße II, dem stärksten für die Partei in ganz | |
Brandenburg. | |
## „Wir müssen jetzt den Arsch hochkriegen“ | |
Ich lebe seit meiner Geburt in Hirschfeld, jeder kennt hier jeden. Da | |
bekommt man schon eine sehr genaue Ahnung, wer wo politisch steht. Und | |
Hirschfeld tickt eben schon immer sehr konservativ, sehr rechts. Aber 50 | |
Prozent für die AfD sind natürlich heftig. | |
Ich würde nicht sagen, dass die Hälfte unseres Dorfes Nazis sind. Nein, das | |
sind freundliche Leute, ich liebe unser Dorf. Aber es gibt hier das Gefühl: | |
Für uns interessiert sich keiner mehr. Der Bus fährt kaum, der | |
Einkaufsladen wurde geschlossen. Und dann kamen 2015 die Flüchtlinge, für | |
die sofort Hilfe und Geld da war. Und wer hat sich um uns gekümmert? | |
Ich bin ja für die [1][Linke] seit einem guten Jahr aktiv, ich habe hier | |
auch plakatiert. Da fragt man sich schon: Was haben wir in den letzten | |
Jahren alles versäumt? Aber die AfD hat eben viel mehr plakatiert und war | |
präsenter. Die waren mit ihren Spitzenleuten – Gauland, Kalbitz, Höcke – | |
vor Ort, und zwar nicht nur im Wahlkampf. Da standen vorm Gasthof die Autos | |
die ganze Straße runter. | |
Genau das ist das Problem. Warum war keiner von den anderen Parteien da, | |
auch nicht von uns Linken? Von den großen Politikern ist hier bestimmt seit | |
zehn Jahren keiner mehr aufgetaucht. Die Parteien müssen jetzt den Arsch | |
hochkriegen und sich hier mal an einen Tisch setzen, wie man hier Probleme | |
lösen kann, und zwar ganz alltägliche – sonst haben bald alle das Gefühl, | |
die AfD wäre die einzige Lösung. Das müssen wir auch als Linke klären: Für | |
wen wollen wir Politik machen und wie erreichen wir auch die Menschen auf | |
den Dörfern? | |
Ich habe Angst, dass irgendwann eine Hemmschwelle verschwindet. Bisher | |
begegnen wir uns hier im Dorf mit Respekt, es ist sehr familiär. Die Leute | |
wissen ja, dass ich für die Linke Politik mache. Da drücken ein paar | |
Jugendliche mal einen Spruch, aber ernsthafte Anfeindungen erlebe ich | |
bisher nicht. Meine Sorge ist, dass das kippt, wenn wir nicht anfangen, uns | |
um die Menschen zu kümmern. Dass es dann nicht mehr nur beim Spruch bleibt, | |
sondern auch gefährlich werden könnte. Aber ich vertraue auch in die | |
Menschen, dass wir reden und Probleme lösen können. | |
Lorraine Hertel, Gymnasiastin aus Hirschfeld, macht dort Politik für die | |
Linke. Die AfD holte dort ihr Brandenburger Rekordergebnis: 50,6 Prozent. | |
Im umliegenden Amt Schradenland bekam die Partei 42,9 Prozent – die Linke | |
4,7 Prozent. | |
3 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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