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# taz.de -- Grüner Bremer Bausenator im Gespräch: „Es gibt immer auch Konku…
> Joachim Lohse, Bremens scheidender Umwelt-, Bau- und Verkehrssenator über
> Erfolge, Gegenwind, Bürgerbeteiligung und Wünsche für die Zukunft
Bild: Bausenator mit der drittlängsten Amtszeit in Bremen: Joachim Lohse
taz: Herr Lohse, mit der Wahl des neuen Senats am 15. August endet Ihre
Amtszeit – was machen Sie danach?
Joachim Lohse: Ich werde eine Auszeit nehmen. Ich bin bewusst keine
Verpflichtungen eingegangen und es ist schön, diese Freiheit zu haben.
Meine Frau hat ein Sabbatjahr genommen und jetzt zwölf Monate frei, also
können wir in Ruhe schauen, was sich ergibt.
Sie sind erst seit 2010 Politiker und seit 2011 Parteimitglied der Grünen.
Wie kam es zu diesem recht späten Schritt in die Politik?
Nach dem Studium habe ich gemeinsam mit Freunden das Institut für Ökologie
und Politik, kurz Ökopol, gegründet – da haben Sie den Begriff Politik also
schon im Namen. Es ging mir immer schon darum, Umweltpolitik zu machen mit
wissenschaftlichen Methoden. Und obwohl ich die ganze Zeit „grün gefühlt“
habe, bin ich aus Gründen der wissenschaftlichen Neutralität nicht in eine
Partei eingetreten. Als ich als Geschäftsführer des Freiburger
Öko-Instituts ausgeschieden bin, habe ich die Anfrage bekommen, in Kassel
als Stadtbaurat in die Kommunalpolitik zu gehen.
Und was hatten Sie mit Bremen zu tun?
Ich hatte dort alte Kontakte aus früheren Projekten, die bis zu 30 Jahre
zurückreichten und die heute teilweise bei den Grünen sind. Karoline
Linnert hat mich damals angesprochen, nachdem mein Vorgänger Reinhard Loske
verkündet hatte, nicht wieder anzutreten.
Waren Sie da nicht einigermaßen überrascht?
Vor allem war es für mich zu früh. Ich war in Kassel ja eigentlich noch am
Anfang und im Grunde genommen noch mitten drin, mich erst einmal selber
zurechtzufinden. Deswegen war meine erste Reaktion auch: Fragt bitte jemand
anderen. Allerdings bin ich danach mehrfach wieder angesprochen worden.
Gab es denn in Bremen niemanden, der in Frage gekommen wäre?
Zum einen gibt es sicher wenige Leute, die so viel naturwissenschaftliche
Erfahrung mitbringen wie ich, zum anderen waren plötzlich bundesweit
Minister- und Staatssekretär-Posten zu besetzen. Damals, kurz nach der
Fukushima-Katastrophe, sind die Grünen ja in mehrere Landesregierungen
gekommen und dadurch war sozusagen der Markt ziemlich leergefegt.
Irgendwann habe ich dann gesagt: Okay, man kann sich ja mal unterhalten –
und dann ist man plötzlich auf der schiefen Bahn.
Vier Jahre später wollte Robert Bücking Ihren Posten haben – waren Sie auf
Gegenwind aus den eigenen Reihen vorbereitet?
Ich habe auch in Kassel schon erlebt, dass man sehr viel Gegenwind bekommt
in der Kommunalpolitik – und mein Ressort hier in Bremen besteht ja zu
bestimmt 80 Prozent aus Kommunalpolitik. Wenn man von außen kommt und ein
solches Amt übernimmt, stößt man immer auf viel Skepsis. Das ist wohl
überall so, aber man darf nicht vergessen, dass es manchmal ganz gut ist,
wenn jemand mit einem unverstellten Blick von außen kommt.
Aber Gegenwind aus der eigenen Partei?
So eine Partei ist ja kein homogener Haufen und es gibt immer auch
Konkurrenzen. Meines Wissens nach hatte der Kollege Bücking ja auch schon
Ambitionen im Jahr 2011. Da haben sich offenbar diejenigen Grünen
durchgesetzt, die gesagt haben: Wir wollen aber lieber den Lohse. Und vier
Jahre später dann ebenfalls. Aber deswegen sind die anderen Grünen ja nicht
weg. Konkurrenz gehört in der Politik halt dazu.
Für die Bürgerinitiativen sind Sie ja fast so etwas wie eine Hassfigur …
Ich würde gar nicht von allen BIs sprechen, aber es ist wohl richtig, dass
es bei der Platanen-BI und bei der BI gegen die Rennbahn-Bebauung so ist.
Beim Wohnungsbau, den wir immerhin verdreifacht haben, war ein ganz
vorrangiges grünes Ziel, nicht die Osterholzer Feldmark zu bebauen, nicht
in den Borgfelder Wümmewiesen weiterzubauen und auch nicht in der
Ochtumniederung in Brokhuchting – wir wollten das in der schon bebauten
Stadt realisieren. Das haben wir wirklich gut hinbekommen, finde ich. Aber
so werden die benötigten Wohnungen dort gebaut, wo schon Anwohner sind, und
für die ist das natürlich mit Veränderungen verknüpft.
An denen sie, so der Vorwurf der Bürgerinitiativen, stets zu wenig
beteiligt werden.
Wir beteiligen die Bürger so intensiv wie noch nie zuvor: Bezüglich der
Platanen gab es unzählige Termine samt Erstellung einer Wunschliste der
Neustädter, im Beirat gab es Abstimmungen mit überwältigenden Mehrheiten
für die Planung, wie sie jetzt vorliegt. Die BI war an all diesen Dingen
beteiligt, behauptet aber, sie sei nicht beteiligt worden, nur weil sie
nicht ihren Willen bekommen hat. Das ist bei der Galopprennbahn ähnlich
gewesen.
Da war es aber nicht bloß die Bürger-Initiative, sondern die Mehrheit der
BremerInnen, die bei der Volksabstimmung gegen die Bebauung gestimmt haben.
Wie erklären Sie sich das?
Ich habe das nicht verstanden. Mein Eindruck in den letzten acht Jahren
war: Die Bremer wollen, dass viel gebaut wird, damit die Mieten nicht
steigen, und die Bremer wollen nicht, dass vor ihrer Haustür gebaut wird,
damit sich im Nahumfeld nichts ändert. Das heißt aber, dass sie in 20 von
22 Stadtteilen gegen ihre eigenen Interessen abgestimmt haben. Entweder war
ihnen das nicht klar, oder aber ihr Abstimmungsverhalten bezog sich auf
eine andere Frage, nämlich: Bin ich zufrieden mit der jetzigen Regierung
oder möchte ich ihr jetzt mal eins auswischen? Dass eine gewisse
Wechselstimmung da ist, hat man am Wahlergebnis ja auch gesehen.
Der Wechsel ist nur teilweise eingetreten – finden Sie es gut, dass es
Rot-Grün-Rot geworden ist oder waren Sie eher für Jamaika?
Dreierkonstellationen sind immer schwierig, egal welche. Schaut man sich
die Fotos an von den Delegationen, die in den Sondierungsgesprächen
zusammengekommen sind, dann sahen die Gesichter von Jamaika mehr nach
Wechsel und Neuanfang aus als die doch recht angespannten Gesichter von
Rotgrün. Aber sehr, sehr viele Grünen-Mitglieder trauen der CDU und vor
allem der FDP überhaupt nicht über den Weg. Ich glaube, es wäre auch
schwierig geworden mit einem absoluten Politik-Neuling als
CDU-Spitzenkandidat.
Sie hatten als Umweltsenator den ambitionierten Plan, 40 Prozent CO2 bis
2020 im Vergleich zu 1990 einzusparen. Nun werden es bloß 14 statt 40
Prozent werden …
14 Prozent sind der letzte Stand von 2015, 2020 werden wir bei
schätzungsweise 18 bis 20 Prozent sein. Dadurch, dass sich der
Kohleausstieg so lange hinzieht, ist hier ein riesiges Potential verschenkt
worden. Hinzu kam, dass die Studien aus dem Jahr 2009, die damals dem Ziel
zugrunde lagen, von Voraussetzungen ausgingen, die nicht eingetreten sind:
Man hat nicht mit der schnellen Erholung nach der weltweiten Finanzkrise
gerechnet, als die Wirtschaft ja eine richtige Konjunkturdelle erlebt hat.
Das Wirtschaftswachstum, das ja an sich höchst erfreulich ist, hat seit
damals alle Erwartungen übertroffen – aber auch die CO2-Ziele pulverisiert.
Außerdem ist man von einer schrumpfenden Bevölkerung in Bremen ausgegangen
– wir haben aber eine wachsende Bevölkerung.
Sie haben 2015 den „europäischen Preis für nachhaltige
Verkehrsentwicklungsplanung in Städten“ für den Verkehrsentwicklungsplan
2025 erhalten. Von den Vorhaben aus dem VEP ist allerdings noch so gut wie
nichts umgesetzt …
Es ist einiges umgesetzt worden, aber im Ganzen noch zu wenig. 2015, als
die 10.000 geflüchteten Menschen kamen, bekam plötzlich der Bau von Kitas,
Ganztagsschulen und dergleichen eine ganz andere Brisanz. Hinzu kamen der
Verlustbringer Gesundheit Nord und die Jacobs Uni, alles Themen, in die
insgesamt dreistellige Millionenbeträge geflossen sind. Es hätte uns gut
getan, wenn wir wenigstens einen Bruchteil des Geldes für die
Verkehrsthemen hätten verwenden können. Das war in dieser Koalition leider
nicht möglich. Ich sehe aber mit Freuden, dass jetzt eine Vervierfachung
des Radverkehrsetats vorgesehen ist.
Wenn Sie auf die vergangenen acht Jahre zurückblicken: Was ist aus Ihrer
Sicht richtig gut gelaufen?
Ich bin sehr stolz darauf, dass wir die Verdreifachung beim Wohnungsbau
hinbekommen haben – und die Osterholzer Feldmark noch immer unangetastet
und ein Tabu ist. Das halte ich für eine große politische Errungenschaft.
Ein gutes Stück vorangekommen sind wir auch mit der Verkehrswende. Dass wir
den Verkehrsentwicklungsplan geeint mit der Handelskammer und dem ADAC und
den Umweltverbänden aufgesetzt und so auch durchs Parlament bekommen haben,
ist eine diplomatische Meisterleistung gewesen, die uns an anderer Stelle,
zum Beispiel bei den Platanen am Deich, vielleicht nicht ganz so gut
gelungen ist. Beim Klimaschutz haben wir alle Maßnahmen umgesetzt, die wir
uns 2009 vorgenommen habe, und sehr zufrieden bin ich auch damit, dass wir
die Naturschutzgebiete in Bremen erheblich ausweiten konnten.
Wenn es nur nach Ihnen gegangen wäre: Hätten Sie gern noch eine dritte
Legislaturperiode mitgemacht?
Ja, durchaus. Als ich vor einem Jahr gesagt habe, ich werde nicht erneut
antreten, hat meine Familie allerdings gejubelt. Die fanden, dass man mir
diesen erheblichen Druck von vielen Seiten an der einen oder anderen Stelle
doch angemerkt hat. Ich bin der Bausenator mit der drittlängsten Amtszeit
nach dem Zweiten Weltkrieg. Das ist irgendwann mit einigen
Abnutzungserscheinungen verbunden und dann ist es vielleicht auch gut, wenn
man mal loslässt.
Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin Maike Schaefer?
Vor allem eine gewisse Gelassenheit, auch wenn der Druck mal heftiger wird,
und, dass sie jeden Tag sagen kann: Das ist richtig, ich mache das aus
Überzeugung. Natürlich wünsche ich Ihr, dass es ihr gelingt, die Projekte
voranzubringen, die ihr wichtig sind, und wenn es welche sind, die ich mit
angeschoben habe, dann freue ich mich doppelt.
5 Aug 2019
## AUTOREN
Simone Schnase
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