Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte um Verkehrswende: „Das sind reine Wahlgeschenke“
> Bremens Verkehrssenator will Parken viel teurer machen und Autos aus der
> City verbannen. Die Forderung, kostenlos mit Bus und Bahn fahren zu
> können, hält er für ruinös.
Bild: Auch Parkuhren werden manchmal aussortiert
taz: Herr Lohse, Sie fordern eine Erhöhung der Parkgebühren in Bremen um 50
Prozent. Warum wollen Sie die AutofahrerInnen schröpfen?
Joachim Lohse: In den letzten zwölf Jahren sind die Tickets für Bus und
Bahn in Bremen inflationsbereinigt um rund 25 Prozent teurer geworden – das
Parken ist 16 Prozent billiger geworden. Allein um das zu kompensieren,
müssten die Gebühren um rund 40 Prozent steigen. Es geht also zunächst um
gerechte Preise und fairen Wettbewerb zwischen den verschiedenen
Verkehrsmitteln. Wenn dann noch Aspekte wie ökologische Lenkungswirkung und
die Erzielung von Mehreinnahmen für besseren öffentlichen
Personennahverkehr hinzukommen, muss man über eine Erhöhung der Gebühren um
50 Prozent oder mehr nachdenken. Und genau diese Debatte muss jetzt geführt
werden.
Müssten Bus und Bahn nicht billiger werden?
Im kommenden Jahr werden die Einzelfahrscheine erstmals nicht teurer
werden, das hat es die letzten 30 Jahre nicht gegeben. Die Preise für die
Monatstickets werden geringfügig erhöht, im Vergleich zu anderen Städten
sind die hier aber noch günstig. Schon heute subventioniert Bremen die BSAG
mit 50 Millionen Euro im Jahr – zugleich werden aber an verschiedenen
Stellen Verbesserungen diskutiert. Einem System, von dem ich mehr Leistung
erwarte, kann ich nicht gleichzeitig Geld entziehen.
In der SPD wird diskutiert, das BSAG-Angebot zumindest für Kinder und
Jugendliche gratis zu machen. Sind Sie dagegen?
Wünschenswert wäre es, dass Bus und Bahn billiger werden. Wir müssen aber
aufpassen, dass der Nahverkehr dabei nicht ruiniert wird. Oder man muss 50
oder 100 Millionen Euro mehr im Jahr aus dem Haushalt in die BSAG
investieren – Geld, das dann an anderer Stelle fehlen würde. Wir haben
jetzt schon einen Investitionsstau bei Straßen, Brücken, Radwegen und
öffentlichem Nahverkehr. Die Autofahrer werden sich zudem nicht in eine
überfüllte Straßenbahn setzen, die in einem schlechten Zustand ist. Was da
jetzt versprochen wird, sind reine Wahlgeschenke.
Die Grünen fordern nach [1][Wiener Vorbild] ein 365-Euro-Jahresticket. Ist
das die Alternative?
Das ist eine sinnvolle Sache, aber auch das bedeutet Einnahmeverluste.
Bremen kann da nicht eigenständig agieren, sondern nur im Verbund mit
Niedersachsen. Und: In Wien wurden die Einnahmeverluste durch eine
drastische Erhöhung der Parkgebühren kompensiert. Wie man in Bremen auf
diese Idee reagiert, [2][haben wir soeben erlebt.]
Die Verkehrswende soll also am liebsten nichts kosten?
Ja. Manche Kaufleute in der Stadt sorgen sich um jedes einzelne Auto, das
nicht mehr vor dem Schaufenster parkt. Ich bin aber überzeugt: Für jedes
Auto, das in die Innenstadt fährt, kommen fünf bis zehn andere Kunden
nicht, weil es nicht attraktiv ist. Wenn wir den Umsatz der Einzelhändler
beleben wollen, müssen wir Menschen vor die Schaufenster bringen, nicht
Autos.
Muss man das den Händlern noch erklären?
Sowohl das [3][Innenstadtkonzept] als auch der
[4][Verkehrsentwicklungsplan] entstanden im Einvernehmen mit der
Handelskammer und dem gesamten politischen Spektrum. Daran können sich
jetzt in Wahlkampfzeiten viele nicht mehr erinnern.
Ab 2030 sollen die BremerInnen nur noch per Bus und Bahn in die City
fahren, haben die Grünen soeben beschlossen. Wie soll das funktionieren?
Das funktioniert schon heute problemlos. Es ist Konsens, auch mit den
Investoren, die sich jetzt in der Innenstadt engagieren, dass das Parkhaus
Mitte aus der Innenstadt entfernt wird und die beiden anderen Parkhäuser in
der Innenstadt perspektivisch ebenso – und das geht auch, mit einer
intelligenten Parkraumbewirtschaftung und weil anderenorts Stellplätze neu
entstehen.
Nur mit Bus und Bahn in die City heißt ja auch: Autos und Laster werden
verboten.
Man muss natürlich Abstriche bei den Lieferverkehren, Taxi- oder
Krankenfahrten machen. In Kopenhagen beispielsweise ist die autofreie Zone
heute der belebteste Ort mit dem meisten Umsatz für die Einzelhändler.
Ist das nicht die „Verkehrspolitik mit dem erhobenen Zeigefinger“, wie die
SPD moniert?
Ich interpretiere das so, dass die SPD gar keine Verkehrspolitik machen
will. Wer weder mit Verboten noch mit ökonomischer Lenkung arbeiten will,
soll bitte andere Instrumente vorschlagen.
Das Bündnis für Verkehrswende in Bremen will den Autos Parkplätze
wegnehmen. Sie auch?
Man muss das Parken anders organisieren und das Carsharing weiter ausbauen.
In den Wohnquartieren ist ein Großteil der Autos heute [5][illegal
abgestellt]. In Bremen sind sehr viele Straßen sehr schmal, und diesen Raum
zwischen Autos, Fußgängern und Radfahrern aufzuteilen, ist nicht ganz
einfach. Das geht in der Praxis oft auf Kosten der Barrierefreiheit. Das
sind unhaltbare Zustände. Teilweise wird es deshalb in Zukunft weniger
Stellplätze geben können, und schmale Straßen, in die man mit dem SUV eben
nicht mehr fahren darf. Das liegt auch an der dramatischen Fehlentwicklung
in der Produktpolitik deutscher Autohersteller.
Kann die kommunale Verkehrspolitik das bekämpfen?
Es geht mir nicht darum, das zu bekämpfen, sondern darum, Signale zu
setzen. In Singapur oder Tokio muss man heute schon einen teuren Stellplatz
erwerben, wann man ein Auto anmelden will. In Deutschland herrscht dagegen
traditionell die Erwartung, dass jeder das Recht auf einen kostenlosen
Parkplatz hat. Das passt nicht mehr in die Zeit. Am vergangenen Samstag hat
die grüne Partei beschlossen, den Etat für den Radverkehr zu vervierfachen.
Wenn man das dem Etat wegnimmt, der dem Autoverkehr gewidmet ist, ist das
in dem ungleich größeren Etat für Straßen kaum zu bemerken. Dennoch ist das
ein Anfang.
Und wie soll das Parken in den Wohnquartieren künftig organisiert werden?
Wir können die gewachsene Situation nicht von heute auf morgen ändern. In
neuen Quartieren wie am Hulsberg planen wir von vornherein Quartiersgaragen
mit ein, in denen man kostenpflichtig einen Stellplatz anmieten kann.
Perspektivisch wird das auch eine Lösung für die Bestandsquartiere sein.
Wer Carsharing nutzt, hat schon einen Parkplatz. Aber während im Viertel
die Dichte sehr hoch ist, ist das Carsharing in den Randbezirken noch fast
gar nicht angekommen.
Die Unternehmen, die das anbieten, müssen betriebswirtschaftlich arbeiten
und entwickeln das Carsharing dort, wo es viele interessierte Nutzer gibt
und der Problemdruck am größten ist. Ihre Geschäftspolitik zu bewerten,
steht mir nicht zu. Wir wollen das System aber schrittweise ausweiten. Ich
empfehle, dass sich die Stadtteile, die sich mehr Carsharing wünschen,
vorab Interessentenlisten erstellen. Nach dem Motto: Wenn ihr drei neue
Mobilpunkte in unserem Stadtteil eröffnet, bekommt ihr hier auch 500 neue
Kunden. Sonst müssen die Anbieter völlig allein in das unternehmerische
Risiko gehen.
In der Überseestadt wurde ein ganzes Quartier in Bremen entwickelt, ohne
dass es ein echtes Verkehrskonzept gab, das wurde eben erst beschlossen.
Warum dauerte das so lange?
Dort mangelt es gerade nicht an Parkhäusern und Quartiersgaragen für Autos
– sie werden leider kaum angenommen. Die Überseestadt hat sich stärker zu
einem Wohnquartier entwickelt, als ursprünglich geplant, inklusive anderer
Verkehrsbedürfnisse. Wir haben dort heute Nachholbedarf beim öffentlichen
Nahverkehr, das hängt aber auch mit der Haushaltsnotlage Bremens zusammen.
Jetzt konnten wir zumindest einen Teil der notwendigen Maßnahmen
beschließen.
Als klar wurde, dass Sie nach der Wahl nicht mehr Senator sein werden, hieß
es: Jetzt haben Sie „mehr Beinfreiheit“. Wo spürt man die?
Das mögen bitte andere beurteilen.
6 Nov 2018
## LINKS
[1] https://www.wienerlinien.at/eportal3/ep/channelView.do/pageTypeId/66526/cha…
[2] https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-gegen-erhoehung-de…
[3] https://www.wirtschaft.bremen.de/wirtschaft/wirtschaftsstandort_bremen_brem…
[4] https://www.bauumwelt.bremen.de/verkehr/verkehrsentwicklungsplan-5586
[5] https://www.asv.bremen.de/verkehrsthemen/halten_und_parken-1862
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Joachim Lohse
Verkehrswende
SPD Bremen
Stadtentwicklung Bremen
Grüne Bremen
Schwerpunkt Bürgerschaftswahl Bremen 2023
Autoverkehr
R2G Bremen
Kostenloser Nahverkehr
Stadtentwicklung Bremen
Verkehrswende
Verkehr
ÖPNV
Parkplatz
Verkehrspolitik
Grüne Bremen
Bremen
Immobilien Bremen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Start der autofreien Zone in Ottensen: Raum zum Sein
In Ottensen müssen sich die Menschen erst noch daran gewöhnen, dass die
Straßen im Ortskern seit Sonntag den Fußgänger- und RadfahrerInnen gehören.
Grüner Bremer Bausenator im Gespräch: „Es gibt immer auch Konkurrenzen“
Joachim Lohse, Bremens scheidender Umwelt-, Bau- und Verkehrssenator über
Erfolge, Gegenwind, Bürgerbeteiligung und Wünsche für die Zukunft
Bremer Idee zum öffentlichen Nahverkehr: Jeder fährt umsonst und alle zahlen
20 Euro für eine Flatrate in Bus und Bahn für alle BremerInnen? Zwei
Drittel finden das gut, ergab eine repräsentative Umfrage.
Umgestaltung der Bremer Innenstadt: Shopping statt Parken
Der Senat will das Parkhaus Mitte an die Zech Stiftung verkaufen. Ein
Komplex für Geschäfte, Wohnungen und Büros soll entstehen – und die ganze
City retten.
Radverkehr in Bremen: Abstrampeln für die Verkehrswende
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub hat zum Thema Radverkehr ein „Barometer
zur Bürgerschaftswahl 2019“ erstellt. In diesem enttäuscht die SPD.
Kolumne Fremd und befremdlich: Der Witz des Tages
David Erkalp von der Hamburger CDU hat sich zu der Idee geäußert, in der
Hamburger Innenstadt acht Straßen zu sperren. Danke, David Erkalp!
Öffentlicher Verkehr in Luxemburg: Freies Fahren mit Bus und Bahn
Als erstes Land führt der Kleinstaat 2020 kostenlosen Nahverkehr ein. In
einigen Städten Europas wurde Ähnliches versucht.
CDU-Vorschlag gegen Parkprobleme: Auto sucht den Superschlafplatz
Parkplätze sind ein knappes Gut – und viele werden neuen Radwegen weichen
müssen. Die CDU schlägt vor, Supermarktparkflächen über Nacht freizugeben.
Gastkommentar Verkehrspolitik: Schluss mit Auto first
Der Autoverkehr soll fließen – das war die Verkehrspolitik vergangener
Jahrzehnte. Schluss damit! Die Verletzlichsten müssen im Fokus stehen.
Karoline Linnert ist abgewählt: Das Ende einer grünen Ära
Die Basis der Bremer Grünen wählt die „knallgrüne“ Umweltpolitikerin Mai…
Schaefer zur Spitzenkandiatin der Landtagswahl – die grüne Bürgermeisterin
tritt ab.
Bremer Unternehmen und Klimaschutz: Sie wollen ja, können aber nicht
Auf Einladung der Klimaschutzagentur energiekonsens diskutierten Bremer
Unternehmer*innen , was nach dem Verfehlen der Klimaziele 2020 auf sie
zukommen könnte.
Umbaupläne für Bremer Innenstadt: Bremen wird neu erfunden
Für Investoren scheint die Innenstadt eine Goldgrube zu sein. Wenn alle
Projekte gelingen, wird sich Bremen in zehn Jahren vollkommen anders
anfühlen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.