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# taz.de -- Rot-Rot-Grün in Bremen: Zu arm für Ambitionen
> In Bremen unterzeichnen SPD, Grüne und Linke den Koalitionsvertrag. Ein
> Signal für die Bundespolitik will darin keiner sehen. Es fehlt an Geld.
Bild: In Bremen geht es dieser Tage vor allem um eins: Geld
Bremen taz | Am Gelde hängt eben doch alles: Einhundertundeinundfünfzigmal
wird das Wort [1][Finanzen] oder eine seiner Ableitung auf den 142 Seiten
des Bremer rot-grün-roten Koalitionsvertrags bemüht. Der wird am Dienstag
unterschrieben: Finanzen, finanziell, Finanzrahmen, Finanzierungssystematik
– der Fantasie sind bei den Wortvarianten kaum Grenzen gesetzt. Und einmal,
auf Seite 109, fällt sogar das Wort „gegenfinanziert“. Natürlich im
Aufgabenfeld Kultur.
Wo kein Geld da ist, wird eben am meisten darüber geredet. Tatsächlich
fehlt bei den meisten Projekten, die im Koalitionsvertrag stehen, das
Preisschild oder auch nur eine Idee, wie das in Zeiten der Schuldenbremse
verwirklicht werden könnte. Dass die Haushaltsberatungen in Zukunft wohl zu
so etwas wie „zweiten Koalitionsverhandlungen“ werden dürften, hat der
Landesvorstandssprecher der Grünen Hermann Kuhn bereits angekündigt.
Die Überschuldung Bremens ist notorisch: Derzeit steht das Kleinstland mit
22,4 Milliarden Euro in der Kreide, 32.000 Euro pro Kopf. Und die
Spielräume, die Rot-Grün in zwölf Jahren durch eine teilweise als rabiat
empfundene Ausgabendisziplin und durch Verhandlungsgeschick bei der
Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen erarbeitet hat, sind so gewaltig
nicht.
Andererseits muss der designierte Finanzsenator Dietmar Strehl erst noch
beweisen, ob er die Haushaltsmargen ähnlich effizient verteidigen kann wie
seine Vorgängerin Karoline Linnert, die 40 Jahre lang grüne Politik in
Bremen geprägt hat – und ihr ganzes Standing zur Verteidigung der
Schuldenbremse aufwandte, nicht zuletzt gegen Attacken des neuen
Koalitionspartners.
Die Linke hat zwar, um mitregieren zu können, ihren Widerstand gegen die
Schuldenbremse auf Eis gelegt. Aber auch die Bedürfnisse sind groß: Bremens
Sanierungsstau hatte 2017 sogar den Landesrechnungshof dazu veranlasst,
mehr Ausgaben anzumahnen. Und angesichts von Negativzinsen auf
Bundesanleihen liebäugeln selbst die Sozialdemokraten mit der Aufnahme
neuer, grundgesetzwidriger Kredite.
Eine schwierige Ausgangslage also, vor deren Hintergrund SPD, Bündnis90/Die
Grünen und Die Linke sich auf ein gemeinsames Regieren verständigt haben.
Signalwirkung entfalten kann man höchstens da, wo es keine Zusatzkosten
verursacht. So entsteht mit sechs Frauen und drei Männern im Senat die
weiblichste Landesregierung Deutschlands. Und: Dem teuren Trend zur
Präventivhaft haben die drei Parteien eine deutliche Absage erteilt. Zwar
will man ein neues Polizeigesetz. Aber statt mithilfe von Terrorfiktionen
Staatstrojaner und eine Verlagerung von Ermittlungsbefugnissen in die
Gefahrenabwehr zu installieren, soll es demokratisiert und
datenschutzrechtlich auf den Stand gebracht werden. „Für den
Verhinderungsgewahrsam werden wir eine Höchstdauer von vier Tagen
festlegen“, heißt es im Vertrag: Das ist bundesweites Minimum.
Ansonsten will man zwar ganz sicher einen Einstieg in ein neues
Finanzierungsmodell für den öffentlichen Personennahverkehr prüfen, also
ein 365-Euro-Jahresticket oder ein Umlagemodell einführen, was bundesweit
für Furore sorgen würde.
## Eitelkeiten im Griff
Aber versprochen ist da nichts: Man macht das nur, falls das geldmäßig auch
wirklich hinhaut. Und während die letzte Bremer Dreierkoalition, die Ampel
aus SPD, FDP und Grünen, Anfang der 1990er auch daran krachend scheiterte,
dass ihre so männlichen wie egozentrischen Protagonisten die Bremer
Landespolitik unbedingt als das Zukunftslabor für die ganze Republik und
sich selbst als ihre Masterminds inszenieren wollten, haben die jetzigen
KoalitionärInnen ihre Eitelkeiten besser im Griff: „Nicht zu hoch hängen“
sollte man die Sache mit dem vermeintlichen Signalcharakter dieses einzig
möglichen Bündnisses links der Mitte, sagt beispielsweise der designierte
Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD). Und: „Wir haben genug damit zu
tun, die Probleme vor Ort zu lösen.“
Tatsächlich ringt der Koalitionsvertrag um zeitgemäße, also den Klimaschutz
mitdenkende Lösungen für die drängenden bildungs-, wohnungs- und
verkehrspolitischen Fragen, die beschämende Kinderarmut und die schroff wie
nirgends sonst in Deutschland auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und
Reich. Fragen, denen mit Selbstdarstellung und Schaufensterpolitik nicht
sinnvoll zu begegnen ist. Sondern nur mit ernstem Bemühen. Und viel Geld.
13 Aug 2019
## LINKS
[1] /Rot-gruen-rot-in-Bremen/!5608019
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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