# taz.de -- Dietmar Strehl über Klima-Kredite: „Klimakrise begründet eine N… | |
> Schulden? Ja! Aber nur gebremst: Bremens grüner Finanzsenator Dietmar | |
> Strehl erklärt, wie ein Land trotz Verbot legal Kredite aufnehmen kann. | |
Bild: Das Stahlwerk: Mit Milliarden fördert Haushaltsnotlageland Bremen die Um… | |
taz: Herr Strehl, wie ist es, als Architekt der Schuldenbremse… | |
Dietmar Strehl: Na ja, was heißt Architekt, ich habe daran mitgewirkt. | |
Ja, an entscheidender Stelle, und an der [1][superstrengen Bremer Version]. | |
Also: Wie ist es, die jetzt wieder einzureißen? | |
Wir reißen die Schuldenbremse nicht ein. Das habe ich immer gesagt und | |
dabei bleibe ich. Wir nutzen die Ausnahmeregel, die Teil der Schuldenbremse | |
ist. Aber ohne diese Schuldenbremse wäre es für einen Finanzsenator fast | |
unmöglich, den Haushalt zusammenzuhalten. Nicht nur wegen Corona und Klima, | |
sondern überhaupt. Zum Beispiel gibt es eine gewisse Gebührenmüdigkeit. Ich | |
weiß gar nicht, wann wir das letzte Mal irgendwelche Gebühren erhöht | |
hätten. | |
Bremen hat nun aber schon im Vorgriff auf die nächsten Jahre erst mal die | |
Notlage festgestellt. Klar, dass wir vorher eine Notlage hatten … | |
… das ist unbestreitbar. Das müssen wir schon immer betonen. | |
Aber dass ihre Folgen in den kommenden Jahren weiter eine Notlage | |
darstellen, ist das nicht ein sehr kühner Griff? | |
Nein, gar nicht, denn man muss das auseinanderhalten. Der Bremen-Fonds | |
wegen Corona ist beendet. Wir haben zwar noch Geld darin, das wir in diesem | |
Jahr noch ausgeben können. Aber er ist mit Ende des vergangenen Jahres | |
beendet. Das zweite ist die Frage: Wie kann man die Ansprüche finanzieren, | |
die von der Klima-Enquete – und das ist ja der Gesetzgeber! – | |
aufgeschrieben worden sind, und zwar in weitgehendem Konsens. Da sind wir | |
zu dem Ergebnis gekommen, dass wir überhaupt nicht anders können, als | |
angesichts des Fortschreitens der Klimakrise eine Notlage zu erklären. | |
[2][Laut Bundesverfassungsgericht sind die Länder] schließlich gezwungen, | |
da etwas zu tun. Aus dem regulären Haushalt und ohne Kredite Milliarden für | |
Klimaschutzmaßnahmen aufzubringen, ist völlig unrealistisch. | |
Also darf das Land sich dafür ungebremst verschulden? | |
Nicht ungebremst. Und sicher ist die Ansage, dass wir als | |
Haushaltsnotlageland Milliardensummen in die Hand nehmen, um das Bremer | |
Stahlwerk zu retten, schwer vermittelbar. | |
Aber? | |
Wir haben unsere Position natürlich vorab durch ein Gutachten prüfen | |
lassen, von Verfassungsrechtler Joachim Wieland. Ich finde, sie ist gut | |
begründet. Hinzu kam noch der russische Angriffskrieg. Da war auch klar: | |
Wir sind in der Pflicht, etwas zu tun. | |
Der Ukraine-Krieg hat Folgen für Bremens Landeshaushalt? | |
Ja. Ehrlich gesagt: Ich war selbst ziemlich schockiert, wie viel das | |
ausmacht. Allein durch die Energiepreise haben wir Mehrausgaben von über | |
100 Millionen zu erwarten in diesem Jahr. Wo soll das Geld herkommen? Aus | |
dem normalen Haushalt? Das geht nicht. Der andere große Faktor sind die | |
Kosten der Flüchtlingsunterbringungen. Es leben derzeit mehr | |
Ukrainer*innen in Bremen, als wir im Jahr 2015 insgesamt an Flüchtlingen | |
hier aufgenommen hatten. Zusammen mit der Klimakrise begründet das eine | |
andere Notlage als die Pandemie. | |
Die Bundesregierung hat keine Notlage feststellen wollen. | |
Stimmt, obwohl sie angekündigt hat, [3][60 Milliarden Euro an Krediten für | |
Klimaschutzmaßnahmen aufzunehmen]. Das ist noch im Feuer, aber ich bin sehr | |
gespannt, wie sie diesen ersten großen Präzedenzfall, wenn man das so | |
nennen will, am Ende rechtfertigt. | |
Es wäre halt gut für Bremen, wenn man nicht einen Sonderweg ginge … | |
Wir sind mit unserer Einschätzung ja auch gar nicht allein auf weiter Flur. | |
Das Saarland geht den gleichen Weg. Und in Berlin hat die CDU zusammen mit | |
der SPD ja bereits im gerade beschlossenen Koalitionsvertrag festgehalten, | |
mit der gleichen Begründung wie Bremen einen Klima-Fonds von fünf | |
Milliarden Euro aufzulegen, mit Option auf Verdopplung nach zwei Jahren. | |
Das hat die CDU hier in Bremen nicht besonders erfreut zur Kenntnis | |
genommen. | |
Klar, dann kann sie im Wahlkampf nicht überzeugend drüber schimpfen. Aber | |
bedeutet das nicht: Die Schuldenbremse ist für den Ernstfall ein zu starres | |
Instrument? | |
Ich würde sagen: Wir müssen die Schuldenbremse weiterentwickeln. Der | |
Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel sagt auch immer: Wir müssen Lösungen | |
finden für Investitionen. | |
Recht hat er. So wie die gute alte Goldene Regel, [4][die Schulden nur für | |
Investitionen erlaubt.] | |
Die hat aber die Verschuldung nicht wirksam begrenzt, auch weil nicht klar | |
war, wo fängt der Investitionsbegriff an und wo hört er auf? Wir Grünen | |
haben immer gesagt, die Lehrer auszubilden und anzustellen ist doch auch | |
eine Investition. Das ist eine mögliche Sicht auf den Investitionsbegriff. | |
Kulturförderung auch. | |
Stimmt. Aber ohne wirksame Begrenzung schaffen wir es nicht, die ja auch | |
teilweise nachvollziehbaren Ausgabenwünsche einzuhegen. Die Folge wären | |
immer weitere Schulden. Das dürfen wir nicht tun, davon bin ich überzeugt. | |
Und wie begrenzen Sie die jetzt? | |
Wir quälen uns schon ziemlich, dass kein Schindluder getrieben wird mit den | |
neuen Krediten. Deswegen haben wir auch ganz formal beschlossen, die | |
Maßnahmen, die von der Enquete als notwendig erarbeitet wurden, ins | |
Regierungshandeln zu übernehmen. Vielleicht nicht alle und sicher nicht | |
alle sofort. Aber wir haben gesagt: Das sind die Maßnahmen, die im Laufe | |
von vier Jahren realisiert werden sollen – und dafür ist Geld da. | |
Und genau dafür? | |
Ja. Es kann jetzt nicht plötzlich passieren, dass statt des Stahlwerks | |
irgendetwas anderes gefördert wird. | |
Auch wenn Sie nicht mehr antreten? | |
Das hängt nicht davon ab, ob ich Senator bin. Es hängt davon ab, was der | |
Haushaltsgesetzgeber beschließt, also die Bremische Bürgerschaft. Jede | |
Maßnahme muss vom Haushalts- und Finanzausschuss beschlossen werden. Da | |
sind wir maximal transparent. Ich höre übrigens aus freien Stücken auf. Das | |
kommt in der Politik so oft nicht vor. Und zwar nur aus Altersgründen: Ich | |
werde 67 im Mai. Ich habe keinen Zorn oder so. Gar nicht. Ich habe | |
insgesamt ein gutes Gefühl dabei. | |
Auch wenn Sie das Ressort dann ohne Nachfolger aus der eigenen Partei | |
abgeben …? | |
Den gibt’s doch. Es gibt sogar zwei ernsthafte Kandidaten, die ja auch | |
bereits öffentlich diskutiert werden. Zum einen ist da Martin Hagen, der | |
jetzt vier Jahre mein Staatsrat war und seit 2010 Abteilungsleiter hier im | |
Haus. Zum anderen gibt es den jetzigen Fraktionsvorsitzenden der Grünen, | |
Björn Fecker, der sich das auch überlegt. Insofern: Es gibt gute Nachfolger | |
aus meiner Partei. Mal schauen, wie die Wahl ausgeht. | |
5 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /!5573138 | |
[2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/0… | |
[3] /Debatte-um-Nachtragshaushalt/!5822674 | |
[4] https://www.haushaltssteuerung.de/lexikon-goldene-regel-der-finanzpolitik.h… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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