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# taz.de -- FDP zieht Bremer Haushalt vor Gericht: Keine Subvention fürs Klima
> Bremens FDP will gegen neue Schulden im laufenden Haushalt vor Gericht
> ziehen: Klimawandel begründet keine Notlage, so die Argumentation.
Bild: 23.362.097.415 Euro Schulden hat das Land Bremen laut Schuldenuhr. 451 Mi…
Bremen taz | Die FDP? Zu klein, ha ha! Ein bisschen schmunzeln und feixen
mussten sie, die Finanzvertreter*innen von SPD, Grünen und Linken
sowie der CDU, als sie bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz im März
erklärten, warum die FDP keine Gefahr für den Bremer Haushalt wäre: Die
Fraktion der FDP stellt nur fünf Abgeordnete in der Bürgerschaft. Um den
Landeshaushalt vor Gericht zu beklagen, so wie es die CDU 2023 getan hatte,
da braucht es schon ein Fünftel der Abgeordneten, mindestens 14 wären das.
Und doch versucht die FDP an diesem Donnerstag die Bürgerschaft für ihren
Haushalt vor den Staatsgerichtshof zu ziehen: Zu viele Schulden habe die
rot-grün-rote Koalition gemacht, und das mit Segen der CDU als größter
Oppositionspartei. Die [1][Begründung der neuen Schulden mit der
Klimakrise] sei nicht verfassungskonform.
Weil die FDP eine echte Normenkontrollklage wie damals die CDU nicht
einreichen kann, versucht die kleinste Oppositionspartei stattdessen, ein
Organstreitverfahren anzumelden – die Minderheit in der Bürgerschaft klagt
dabei gegen die Bürgerschaft selbst.
Offensichtlich hatte die Koalitionsregierung diese Art Verfahren nicht auf
dem Schirm. Ob das Verfahren vor Gericht tatsächlich durchgeht, steht noch
nicht fest – der Antrag wird erst am Donnerstagnachmittag eingereicht. Ein
von der FDP selbst in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten hatte der
Partei aber offenbar gute Chancen eingeräumt.
## Seit 2020 war jedes Jahr Krise
Tatsächlich besteht der aktuelle Haushalt mit seinen 5,7 Milliarden Euro
Gesamtvolumen zu 1,3 Milliarden aus neuen Schulden. Dabei ist Bremen durch
Schuldenbremse und Sanierungshilfegesetz eigentlich dazu verpflichtet, ab
2020 keine neuen Schulden mehr zu machen.
Faktisch hat diese Sperre noch nie gegriffen: 2020, da begann die
Coronapandemie und Bremen argumentierte als eines der ersten Länder mit
einer außergewöhnlichen Notlage. Für die sind in der Schuldenbremse
Ausnahmen verankert. Bremen durfte seinen milliardenschweren Bremenfonds
zur Abmilderung der Krise aufnehmen. Seitdem war jedes Jahr Ausnahme – und
Krisenjahr: Corona, Ukraine, und eben auch: Klimakrise.
Den Krisenhaushalt von 2023 wollte die CDU [2][nach dem verschärfenden
Verfassungsgerichtsurtei]l nicht mehr durchgehen lassen und legte Klage
ein. Entschieden ist noch nicht. Der Gefahr einer neuen Klage wollte man
für 2024 entgehen – und holte die größte Oppositionspartei fürs
Schuldenmachen einfach mit an Bord. In einem Deal einigten sich die drei
Koalitionspartner SPD, Grüne und Linke mit der CDU im März auf die Aufnahme
eines Sondervermögens von 450 Millionen Euro für den klimagerechten Umbau
der Wirtschaft.
Besonders die Subventionen für den Umbau des Stahlwerks auf Wasserstoff und
diverse andere Wasserstoffprojekte in Bremen und Bremerhaven sollten damit
finanziert werden. Begründet wurde die Kreditaufnahme mit der Klimakrise.
Die Koalition schützte ihren Haushalt, die CDU konnte sich staats- und vor
allem wirtschaftstragend zeigen. Außerdem bekam die CDU für den Deal vom
Wirtschaftsressort die Zusage für die Bereitstellung neuer Gewerbegebiete.
Zu den 450 Millionen Euro kamen weitere Schulden, etwa für die Finanzierung
des Klinikverbundes Gesundheit Nord (Geno) und Geld für die angeschlagene
Straßenbahn. Für diese zusätzlichen Schulden, begründet sind sie mit den
Nachwirkungen der Coronakrise und mit dem Ukrainekrieg, gab es keinen Deal
– die CDU zeigte sich empört und droht seit Monaten mit der Prüfung einer
Klage.
Nun kommt ihr die FDP zuvor. Alle neuen Schulden, die mit Coronapandemie
und Ukrainekrieg begründet werden, lässt die FDP in ihrer Klage außen vor –
die Erfolgsaussichten dafür wären offenbar gering gewesen. Aber
ausgerechnet den Teil, den die CDU mit abgesegnet hat, die
Klimaschutzprojekte für Stahlwerk und Wasserstoff, hält sie für
verfassungswidrig.
Die Begründung: Mit dem Klimawandel und den nötigen Gegenmaßnahmen könne
man keine außergewöhnliche Notlage begründen. „Der Klimawandel ist nicht
plötzlich über uns gekommen, sondern ist schon seit ein paar Jahren
bekannt“, so FDP-Fraktionsvorsitzender Thore Schäck. Die Klimakrise, so
wird durch ein Rechtsgutachten impliziert, das die FDP in Auftrag gegeben
hat, ist bei aller Dringlichkeit doch politisches Alltagsgeschäft.
In Wirklichkeit steht im Artikel 115 des Grundgesetzes zur Schuldenbremse
nichts dazu, dass eine Krise plötzlich auftreten muss, um Schulden zu
begründen – nur „außergewöhnlich“ muss sie sein. Aber auch im Bremer
Finanzressort weiß man: „Es ist nicht ganz neu in der Weltgeschichte, dass
Krisen und Leid auftreten“, so Ressortsprecher Matthias Makosch im Mai
dieses Jahres gegenüber der taz. „Wir müssen immer akribischer
argumentieren, warum etwas eine Notlage ist. Und nach einiger Zeit muss man
davon ausgehen, dass eine Krise zum Normalzustand wird.“
Dennoch, für 2024 gibt man sich im Ressort auch angesichts des
bevorstehenden Antrags auf ein Organstreitverfahren zuversichtlich: „Der
Krisenbezug der einzelnen Maßnahmen wird detailliert in den
Ergänzungsmitteilungen zum Haushalt begründet.“ In der Tat wird dort jede
Ausnahme von der Schuldenbremse en détail mit einer Krise in Verbindung
gebracht – 1.300 Seiten lang sind die Ergänzungsmitteilungen.
Was aber passiert, wenn das Gericht den Antrag trotzdem annimmt? Was, wenn
es am Ende entscheidet: Die Begründung für den Kredit war nicht
verfassungsgemäß? Die FDP sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die
Zukunft des Bremer Stahlwerks aufs Spiel zu setzen – die Umstellung auf
Wasserstoff wäre ohne die Millionenunterstützung von Bund und Land wohl
schwer zu stemmen.
„Wir wollen ohnehin keinen Subventionswettkampf“, sagt dazu Schäck. „Wenn
sich eine Umstellung lohnt, dann lohnt sie sich irgendwann auch ohne
Förderung.“ Bisher hat sich das Stahlwerk trotz Förderzusage [3][noch nie
klar zu der Investition in Bremen bekannt.] Sollte Bremen sich dennoch
entscheiden, bestimmte Projekte zu unterstützen, solle es das Schritt für
Schritt über 20 Jahre oder mehr tun – „Das ist dann auch aus dem Haushalt
finanzierbar.“
Doch ob es überhaupt so weit kommen würde, ist mehr als fraglich: Denn ein
Organstreitverfahren hat nicht die gleichen Folgen wie eine
Normenkontrollklage. Die Klage kann dazu führen, dass das angegriffene
Gesetz für nichtig erklärt wird – das ist beim Organstreitverfahren nicht
der Fall.
„Sollten wir mit unserer Auffassung recht behalten, würde der Haushalt
nicht für nichtig erklärt werden“ so Marcel Schröder, Rechtsexperte der
FDP. „Es würde lediglich festgestellt werden, dass die Bremische
Bürgerschaft das Haushaltsrecht des Parlaments verletzt hat. Rein
theoretisch könnte der Senat dann immer noch sagen, er zieht den Haushalt
so trotzdem durch.“ Ein derart offener Verfassungsbruch sei aber „noch nie
vorgekommen“, so Schröder.
24 Jul 2024
## LINKS
[1] /Oekonom-ueber-Bremens-Klimafonds/!5969839
[2] /Urteil-des-Bundesverfassungsgerichts/!5973169
[3] /Umbau-auf-Wasserstoffnutzung-unsicher/!5996468
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
Schuldenbremse
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