# taz.de -- Schulden für Klimaschutz und Kriegsfolgen: Bremen plant Doppel-Wum… | |
> Der Bremer Senat will die Schuldenbremse aushebeln, um Geld für | |
> Klimaschutz und Kriegsfolgen aufzunehmen. Geplant sind drei Milliarden | |
> Euro. | |
Bild: Bremen will sich weiter verschulden, um für die Klimakrise gewappnet zu … | |
BREMEN taz | Die Summen sind gigantisch: 2,5 Milliarden Euro für | |
Klimaschutz und Klimaanpassung, eine halbe Milliarde gegen die Folgen des | |
russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Für die kommenden fünf Jahre | |
stellt der Bremer Senat viel Geld bereit. Das verkündeten am Dienstag | |
Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) und drei seiner Senator*innen. | |
Doch aus dem normalen Haushalt kann das Milliarden-Paket natürlich nicht | |
abgezwackt werden – daher soll die Bürgerschaft, so der Plan des | |
rot-grün-roten Senats, eine außergewöhnliche Notsituation feststellen. Die | |
[1][Schuldenbremse greift dann nicht mehr], so steht es in der | |
Landesverfassung. | |
„Die Menschen brauchen unsere Hilfe“, sagte Bovenschulte. Die aus der | |
Ukraine Geflüchteten, aber angesichts der Inflation auch alle anderen; | |
Bürger*innen, Vereine, soziale und Kultureinrichtungen. Dazu komme die | |
Klimakatastrophe. Insgesamt befinde man sich in einer sozialen, | |
ökonomischen und ökologischen „Multikrisensituation“. | |
Was die Wissenschaft zum Klima sage, klinge dramatisch, ergänzte Maike | |
Schaefer (Grüne), Senatorin für Klimaschutz. „Aber so ist auch die | |
Situation. Es geht nicht nur um ein paar Einschränkungen, es geht ums | |
Überleben.“ Man sei damit das erste Bundesland, „das sich zum Klimaschutz | |
bekennt und auch ernsthaft eine Finanzierung in diesem Rahmen absichert“. | |
## Das Ziel: Klimaneutralität bis 2038 | |
Die 2,5 Milliarden sollen für das eingesetzt werden, was die | |
[2][Enquetekommission Klimaschutz in ihrem Abschlussbericht] empfohlen | |
hatte: den Ausbau der Wärmeversorgung, die Sanierung öffentlicher Gebäude, | |
die Mobilitätswende mit einem Ausbau des ÖPNV und den Umbau der Wirtschaft. | |
Die Kommission aus Expert*innen und Abgeordneten hatte knapp zwei Jahre | |
lang für Bremen ein Klimaschutzziel und entsprechende Maßnahmen entwickelt. | |
Vor allem die Dekarbonisierung des Bremer Stahlwerks vom Konzern | |
ArcelorMittal als größter CO2-Emittent ist entscheidend – und teuer. Das | |
Land muss dafür die Infrastruktur für Strom und klimaneutralen Wasserstoff | |
stark ausbauen. Bis 2038 will Bremen klimaneutral sein, bekräftigten | |
Schaefer & Co. auch am Dienstag. Laut Enquete-Bericht braucht es dafür | |
sogar acht Milliarden Euro. | |
Die gesamte Situation also rechtfertige, so steht es in der Erklärung des | |
Senats, „trotz Schuldenbremse die Bereitstellung der notwendigen Mittel der | |
öffentlichen Hand“. Das sieht auch Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne) so: | |
„Ich glaube, für Bremen ist das der richtige Weg.“ Man brauche die | |
Garantie, die geplanten Maßnahmen auch wirklich umsetzen zu können. | |
Daneben, erklärten die Senator*innen, werde man sich auch um Fördermittel | |
kümmern – aber auch hierfür brauche es immer eigene Mittel als | |
Co-Finanzierung. | |
Strehl war als Staatsrat unter seiner Vorgängerin Karoline Linnert, | |
ebenfalls Grüne, mitverantwortlich für die strenge Finanzpolitik des | |
Landes. Linnert war von 2007 bis 2019 Finanzsenatorin und hatte sich stets | |
für eine Einhaltung der Schuldenbremse ausgesprochen. Anfang Oktober | |
bekräftigte sie trotz der aktuellen Lage diese Haltung in einem | |
Gastkommentar beim Weser Kurier. | |
Darin bezeichnete sie Sondervermögen als „große Mode“ und erinnerte: „D… | |
Erschrecken darüber, dass die anfallenden Zinsen den Staatshaushalt | |
auffressen und zwangsläufig die Handlungsspielräume zukünftiger | |
Generationen einschränken, hatte ja gerade zur Schuldenbremse geführt.“ | |
## Im Saarland ist Notsituation bereits beschlossen | |
Jetzt geht Strehl einen anderen Weg. Auch das SPD-regierte Saarland – wie | |
Bremen eigentlich überschuldet und auf dem Konsolidierungspfad – hatte | |
kürzlich per Nachtragshaushalt neue Kredite beschlossen: Dort hat der | |
Landtag dafür eine Notsituation festgestellt. „Wir sind da ganz vorne, aber | |
alle anderen kommen hinterher“, sagte Strehl. Er setzt auf Unterstützung, | |
auch im Stabilitätsrat, der den Bundes- und die Länderhalte überwacht. | |
Er besteht aus den Finanzminister*innen der Länder, dem Bundesfinanz- | |
und dem Wirtschaftsminister. „Die wissen, was wir tun.“ Man werde ohnehin | |
als Fast-Haushaltsnotlage-Land beobachtet, außerdem kenne man dort den | |
Bericht der Enquete. Zudem setze Bremen die Schuldenbremse nicht aus, | |
„sondern wir nutzen die Regeln der Schuldenbremse“. | |
Mehr Verschuldung kommt dadurch trotzdem. Und das [3][findet die | |
oppositionelle CDU-Fraktion gar nicht gut]. Die Regierung mache das Land | |
finanziell handlungsunfähig. „Wir werden den Menschen verdeutlichen, dass | |
diese auch in sozialer Hinsicht rücksichtslose Finanzpolitik vor allem die | |
junge Generation schwer belasten wird“, sagte Jens Eckhoff, | |
finanzpolitischer Fraktionssprecher. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der | |
Senat keine Alternativen in Betracht ziehe – wie etwa eine Klimaanleihe. | |
Privatleute verleihen dafür ihr Geld über eine Bank an das Land. Darüber | |
könnten „bis zu 1,5 Milliarden Euro Privatkapital“ aufgebracht werden. | |
## CDU bezweifelt Rechtmäßigkeit | |
Eckhoff wirft dem Bürgermeister vor, die Schuldenbremse auszuhebeln, „um | |
seine rot-grün-rote Klientelpolitik trotz leerer Kassen auch in der | |
kommenden Legislaturperiode fortsetzen zu können“. Er finde zudem nicht, | |
dass die Landesverfassung diesen Schritt zulasse. „Rechtlich ist das | |
problematisch. Sobald der Senat seinen Entwurf vorlegt, wird sich die | |
CDU-Fraktion beraten und den Entwurf im Haushalts- und Finanzausschuss | |
juristisch prüfen lassen.“ | |
Den Kniff mit der Notlage hatte der Bremer Senat bereits vor einem Jahr | |
angewendet, für den Doppelhaushalt 2022/23. Mit der Coronapandemie | |
rechtfertigte man, mit mehr Ausgaben als Einnahmen zu planen. „Diese Lücken | |
sind im Rahmen der Haushaltsaufstellung 2024/2025 zu schließen“, hatte | |
Strehl damals gesagt. Den jüngst verkündeten, recht ähnlichen Schritt, hält | |
Strehl entgegen der Meinung der CDU für „rechtssicher“. | |
Der Senat will nun seine Idee in konkrete Entwürfe gießen und den | |
Nachtragshaushalt 2023 bis Dezember der Bürgerschaft vorlegen, diese soll | |
sich damit dann im Januar erstmals beschäftigen. Etwa im März, noch vor der | |
Wahl, soll dann die Notlage ausgerufen und der Haushalt beschlossen werden. | |
Die Schulden würden nicht auf einen Schlag aufgenommen, erklärte | |
Bovenschulte. Aber es wäre ab dann eben möglich, wenn Geld gebraucht würde. | |
Ob der Milliarden-Plan der Regierung auch nach der Wahl noch gilt? Da sich | |
schließlich alle Fraktionen zum Bericht der Enquete bekannt hätten, zeigt | |
sich der Senat optimistisch. „Aber wenn es eine politische Mehrheit geben | |
sollte, sich davon zu verabschieden“, so Bovenschulte, „gibt es jetzt keine | |
Möglichkeit, das ein für alle Mal zu verhindern“. | |
9 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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