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# taz.de -- Bremer Klimaschutzprogramm: Verhakt im Verkehr
> Als besonders ambitioniert gilt Bremens Klimaschutzziel. Dafür braucht es
> eine Verkehrswende. Doch was ist auf Bremens Straßen bislang passiert?
Bild: Lässt trotz Enquetekommission noch auf sich warten: Verkehrswende in Bre…
Bremen taz | Natürlich gebe es Umstände, die dem grünen Verkehrsressort in
Bremen die Umsetzung einiger Klimaschutzmaßnahmen erschweren, sagt Jens
Tittmann, Sprecher der grünen Mobilitätssenatorin Maike Schaefer. „Es ist
jedes Mal ein ausgesprochen emotionaler Akt, der sowohl auf dem politischen
Feld ausgetragen wird als auch medial.“ Immer dann, wenn es um den Wegfall
von PKW-Stellplätzen gehe, um Tempobeschränkungen [1][oder weniger
Auto-Spuren].
Dennoch bekennt sich der Senat zum Ziel Klimaneutralität bis 2038: Die im
Februar beschlossene „Novellierung des Bremischen Klimaschutz- und
Energiegesetzes“ basiert nach Senatsangaben auf den Empfehlungen der
Enquetekommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“. Maike
Schaefer zeigte sich damit zufrieden – sie ist nicht nur Senatorin für
Verkehr und Mobilität, sondern auch für Klimaschutz.
Die Enquete-Kommission, bestehend aus Abgeordneten und Expert*innen, wurde
von allen Fraktionen der Bürgerschaft eingesetzt und hat über fast zwei
Jahre eine ausführliche Klimaschutzstrategie für Bremen entwickelt. Sie
legte [2][ihren Abschlussbericht im Dezember 2021] vor. So etwas gab es
bislang in keinem anderen Bundesland.
Der Verkehrssektor ist für rund 20 Prozent der deutschen
Treibhausgasemissionen verantwortlich. Nicht nur deswegen ist er eine
vielversprechende Stellschraube beim Kampf gegen den Klimawandel. Sondern
auch, weil „die öffentliche Hand hier deutlich mehr Möglichkeiten der
Einwirkung hat“ als in Sektoren, die – wie beispielsweise der Konsum – in
privater Hand liegen oder stark abhängig von Bund und Europäischer Union
sind – wie Energie- und Industriesektor. So steht es im Abschlussbericht
der Kommission.
Das Kapitel über Mobilität und Verkehr ist mit mehr als 70 Seiten das
längste im Bericht. Die Vision: sichere, attraktive, klimaneutrale
Mobilität. Für die Überprüfung sind Ziele für den Sektor formuliert.
„Kurzfristig“ soll zum Beispiel der PKW-Bestand pro 1.000
Einwohner*innen in Bremen von 428 auf 380 und in Bremerhaven von 447
auf 400 Autos sinken; und die CO2-Emissionen pro Wagen um 20 Prozent. Auch
der Anteil der E-Autos am Bestand ist definiert, ebenso der Anteil der
verschiedenen Verkehrsträger – so soll der Anteil von ÖPNV und Rad
„kurzfristig“ um je 2 Prozent steigen, auf 22 und 16 Prozent. Und die
Nutzung des eigenen Autos soll natürlich sinken.
Es ist nicht immer messbar, ob und wie sich diese Daten im letzten Jahr
verändert haben – viele werden nicht jedes Jahr erhoben, schon gar nicht so
kurzfristig. Eine positive Entwicklung hat die Bremer Innenbehörde zu
vermelden: Der Anteil der E-Autos im Land Bremen ist um rund 38 Prozent
gestiegen – bei fast stagnierender Zahl an Autos. Nun ist dieser Wert aber
von Anfang 2022. Mit einer blitzartigen Wirkung des Enquete-Berichts hat
das also nichts zu tun.
Überhaupt kann ja auch kein politisches Organ diese formulierten Ziele
einfach so umsetzen – dafür braucht es konkrete politische Maßnahmen. Doch
auch diese haben die Mitglieder der Enquete aufgeschrieben – auf knapp 50
Seiten.
Eine kurzfristige Maßnahme: die „wirkungsvolle Überwachung der Einhaltung
von Höchstgeschwindigkeiten“. Bislang habe die Polizei aber keine neuen
Überwachungsgeräte angeschafft, schreibt das zuständige Innenressort der
taz. Das sei jedoch geplant. Zunächst solle ein „Blitzeranhänger“
angeschafft werden, der mobil ist und „insbesondere auch in
Baustellenbereichen“ aufgestellt werden kann.
Der Bericht empfiehlt zudem, Tempo 30-Regelungen so weit es geht
auszudehnen. Das Land solle sich auch auf Bundesebene dafür einsetzen, die
rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen eigenständig
Tempo 30 anordnen können. Das steht im Bericht, trotz eines Sondervotums
der CDU: Die Fraktion befürchte durch Tempo 30 „Reisezeitverluste“ im ÖPNV
und Nachteile für den Logistikverkehr auf der Straße. Auch die FDP ist
dagegen: Es gebe „widersprüchliche Erkenntnisse“ darüber, ob dies zu einer
Minderung der CO2-Emissionen führe.
Laut Jens Tittmann habe es seit einem Jahr keine neuen Tempo 30-Zonen in
Bremen gegeben, „außer in Neubaugebieten“. Für die Straßen, die aktuell
nicht darunter fallen, sei Bremen jedoch „wegen der Straßenverkehrsordnung
die Hände gebunden“. Jedoch habe die
Verkehrsminister*innenkonferenz der Länder Ende März einen
Beschluss gefasst und das Bundesverkehrsministerium um Volker Wissing (FDP)
aufgefordert, die Straßenvekehrsordnung (StVO) zu verändern – wie es die
Enquete vorschlägt. Dies habe Bremen mit initiiert.
Tittmanns Ressort hält Tempo 30 im Gegensatz zu CDU und FDP für sinnvoll.
Am Osterdeich – das ist die lange Straße parallel zur Weser, die auch am
Stadion vorbei führt – sehe man, dass der ständige Wechsel von Tempo 30 und
50 zu einem „Flickenteppich“ führe. [3][Die StVO verhindert] hier ein
durchgängiges Tempo 50, aber Altenheim, Schule oder Kita führen zu kurzen
Abschnitten mit Tempo 30. „Autofahrer sind verunsichert und gestresst.“ Mit
durchgängigem Tempo 30 wüssten die Leute wenigstens, woran sie sind, sagt
Tittmann.
Mehr Anwohner*innenparken und höhere Parkgebühren, gestaffelt nach
Antriebstechnologie der Autos, stehen ebenfalls in der Liste der
politischen Maßnahmen. Eine Erhöhung der Parkgebühren wurde bereits Ende
2022 vom Senat beschlossen. „Die Enquete hat Bremen Ansehen gebracht“, sagt
Tittmann, im Bericht stünden jedoch Dinge, „die wir ohnehin schon machen“.
Parken für Bewohner*innen gibt es bereits in Bremen, neue Bereiche
seien laut Tittmann seit Veröffentlichung des Berichts aber nicht dazu
gekommen. Im Stadtteil Findorff sei man mit der Planung am weitesten –
jedoch hat es bei dem Thema im Ortsbeirat kürzlich ordentlich Stress
gegeben, eine Einführung steht kurzfristig nicht an. Zumal auch die Beiräte
im Mai neu gewählt werden.
## Klagen gegens Gehwegparken
Da das Thema auch mit dem lästigen, [4][eigentlich verbotenen aber
geduldeten Gehwegparken] zusammenhängt, stehe das gerade still, sagt
Tittmann. Alle warteten auf das Urteil vom Bundesverwaltungsgericht zu dem
Verfahren, in dem Bremer Bürger*innen gegen Maike Schaefers Ressort
klagen und einfordern, dass sie etwas gegen die vielen Autos auf den
Gehwegen unternimmt. Beide Parteien sind inzwischen in Revision gegangen.
[5][Die Kläger*innen bekamen zwar in erster und zweiter Instanz recht],
wollen die Behörde aber noch weiter unter Handlungsdruck setzen. Und die
Verkehrsbehörde, erklärt Tittmann, wolle die Entscheidung – die politisch
eigentlich dem grünen Kurs entspricht – in der höchsten Instanz forcieren,
weil das Urteil „Auswirkungen für ganz Deutschland“ habe.
Wo heute Autos stehen, könnten auch Fahrräder parken. Im Bremer Stadtkern
baut die Behörde daher seit März „etwa 660 Fahrradanlehnbügel auf heutigen
Kfz-Stellplätzen“, also 1.320 zusätzliche Fahrradparkplätze – zwei pro
Bügel. Bis Mitte Mai sollen diese stehen.
Ebenfalls von der Enquete empfohlen: Bremer*innen bei Abgabe des
Führerscheins zwei Jahre kostenlos ÖPNV fahren lassen, spezielle
ÖPNV-Angebote für Zugezogene, eine Ausweitung des Jobtickets.
Letzteres ist im vergangen September passiert, erzählt Andreas Holling,
Sprecher der Bremer Straßenbahn AG (BSAG). Nun braucht eine Firma lediglich
20 teilnehmende Mitarbeitende, um für diese das [6][Monatsticket für knapp
50 Euro] zu erhalten. Seit September gibt es zudem das neue TIM-Ticket: Mit
diesem fahren Jugendliche, Azubis oder jene, die ein Freiwilligenjahr
machen, für 30 Euro im gesamten Gebiet des Verkehrsbundes
Bremen/Niedersachsen. In der Diskussion sei zudem, sagt Holling, das
Stadtticket für Menschen, die Transferleistungen beziehen, zu erweitern –
generell auf „Menschen mit wenig Geld“.
Das ab Mai deutschlandweit erhältliche 49 Euro-Ticket ist laut Holling auch
ein Vorteil für Bremer Pendler*innen: Für Menschen aus Bremerhaven oder dem
Bremer Umland sei dies ein „deutlicher Preisnachlass“. Auch der geplante
[7][Ausbau der Straßenbahnlinie 8] sei für Pendler*innen gut.
Was der Enquete-Bericht auch noch fordert: den Ausbau der Radpremiumrouten
gemäß des Verkehrsentwicklungsplans der Stadt aus dem Jahr 2014. Das Thema
habe „richtig Fahrt aufgenommen“, sagt Tittmann. Bei der langen
Radpremiumroute von Blumenthal nach Hemelingen, einmal quer durch die ganze
Stadt, sei man „sehr weit“. Teilweise sei gebaut worden, teilweise „einfa…
Strecken als Fahrradstraßen ausgewiesen“. Und eine Unterführung unter der
großen sogenannten „Erdbeerbrücke“, die Radfahrer*innen die Ampel
oberhalb der Weser ersparen soll, sei geplant.
Ein Bauabschnitt einer anderen Route hat Am Wall, einer Straße nahe der
Innenstadt, sogar für die Einrichtung einer Einbahnstraße gesorgt. Statt
der Autos dürfen jetzt auf einer Spur Fahrräder fahren. Viele behaupteten,
so Tittmann, dass die neue Route Am Wall noch gar nicht genutzt werde. „Die
ist aber noch im Bau, und der Hauptanschluss wird außerdem die
Fahrradbrücke aus der Neustadt sein, die es noch gar nicht gibt.“ Doch es
werde jetzt schon dagegen „gewettert“.
Die FDP beschreibt ebendiese Fahrradspur in ihrem Wahlprogramm als „absurd
und abenteuerlich“; sie solle daher „schnellstmöglich wieder für den
Autoverkehr genutzt werden“. Überhaupt werde der Weiterbau „von den
sogenannten Radpremiumrouten“ abgelehnt, „solange der Erhalt der
bestehenden Radwege nicht gesichert ist“. Für die FDP sind alle
Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt; die Innenstadt müsse daher „auch für
Autofahrer“ gut erreichbar bleiben.
Wenn die CDU nach der Wahl am 14. Mai Regierungsverantwortung hätte, würde
sie „Rad- und Fußwege schnellstens sanieren, Ladeinfrastruktur ordnen und
nach Bedarf schwerpunktmäßig voranbringen, Fahrradrouten zügig planen und
umsetzen, Brücken sanieren und mindestens die erste Fahrradbrücke über die
Weser umgehend auf den Weg bringen“. So schreibt es Hartmut Bodeit,
verkehrspolitischer Fraktionssprecher, der taz. Zudem würde man gern den
ÖPNV besser ausstatten. Bodeit kritisiert, die Umsetzungen der Maßnahmen
aus dem Enquete-Bericht seien bislang „nur zögerlich bis gar nicht
umgesetzt“ worden.
Wie sieht es denn aktuell aus, mit dieser Wunschliste der CDU? Sprecher
Tittmann sagt, bei der ersten Fahrradbrücke über die Weser im Osten der
Stadt, in der Nähe zur A1, sei man im Planfeststellungsverfahren. „Wir
rechnen mit einer Fertigstellung bis Ende 2027.“ Und die Brücke im
Zentrum, von der Neustadt zum Osterdeich, werde bis 2027 fertig.
## ÖPNV-Personal ist schwer zu finden
Den Wunsch der CDU, mehr Personal für den ÖPNV einzustellen, teilt Andreas
Holling von der BSAG. „Wir würden vor allem gerne die Taktung erhöhen.“
Doch mit dem demografischen Wandel und dem Ausbildungsstau während der
Pandemie sei dies nicht so einfach. „Wir müssen die Menschen finden und
dann noch ausbilden.“
Die Enquete schlägt für die Umsetzung der ganzen Maßnahmen natürlich auch
mehr Personal in den Behörden vor. In Maike Schaefers Haus „sind bereits
zwei Klimamanager eingestellt“, sagt Tittmann – ein*r beschäftige sich
jedoch ausschließlich mit dem Thema Bau, das auch in der Verkehrsbehörde
angesiedelt ist. Zudem sei eine neue Abteilung gegründet worden, für die
gerade vier Menschen gesucht würden.
Am Geld scheint es bei der künftigen Umsetzung augenfällig nicht mehr zu
scheitern: Schon Anfang des Jahres kündigte der Senat an, insgesamt drei
Milliarden Euro zur Bekämpfung der Klima- und Energiekrise sowie für die
Zukunftsfähigkeit der bremischen Wirtschaft bereitstellen zu wollen. Am
Dienstag beschloss der Senat, die ersten 400 Millionen Euro aus diesem Topf
für Klimaschutzprojekte festzulegen: Als größter Einzelposten soll die
energetische Sanierung der Bremer Krankenhäuser mit 130 Millionen Euro
finanziert werden. Und 32 Millionen Euro sind nun für den Ausbau des ÖPNV
fest reserviert.
12 Apr 2023
## LINKS
[1] /Umnutzung-der-Bremer-Martinistrasse/!5781345
[2] /Klimaschutzstrategie-fuer-Bremen/!5820700
[3] /Die-StVO-torpediert-die-Verkehrswende/!5922597
[4] /Bremens-SPD-und-Gruene-im-Streit/!5917462
[5] /Bremer-Gerichsturteil-zum-Gehwegparken/!5833805
[6] https://www.vbn.de/tickets/ticketangebot/jobticket
[7] https://www.linie1und8.de/
## AUTOREN
Alina Götz
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