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# taz.de -- Entwicklungssenatorin übers Wohnen: „Ich träume nicht von der D…
> Berlins linke Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher verteidigt den
> Mietendeckel des rot-rot-grünen Senats. Sie erklärt, warum er ein
> bundesweites Vorbild ist.
Bild: „Berlin ist eine diskussionsfreudige Stadt“: Stadtentwicklungssenator…
taz: Frau Lompscher, träumen Sie sich manchmal in die DDR zurück?
Katrin Lompscher: Zu keinem Zeitpunkt. Berlin ist nach dem Mauerfall eine
großartige und weltoffene Stadt geworden.
Teile der Opposition und der Medien werfen Ihnen vor, dass Sie [1][mit dem
Berliner Mietendeckel plus Enteignung der Deutschen Wohnen] die alten
DDR-Rezepte vorschlagen.
Solche Reaktionen drücken sich darum, das eigentliche Problem zu sehen: das
Auseinanderklaffen von Wohnkosten und Einkommensentwicklung in Berlin.
Insbesondere [2][seit der Finanzkrise 2008] sind neue, stark
renditeorientierte Akteure in den Wohnungssektor vorgedrungen.
Sie meinen börsennotierte Unternehmen?
Ja – und andere Anleger, die in Wohnimmobilien als vermeintlich letzte
sichere Kapitalanlage investieren. [3][Wohnen gehört zu den Grundrechten
von Menschen]. Deshalb müssen wir über neue politische Antworten auf diese
Situation nachdenken.
Was versprechen Sie sich vom Mietendeckel?
Zum einen soll durch den Mieterhöhungsstopp und die Einführung von
Mietobergrenzen ein außer Rand und Band geratener Mietwohnungsmarkt wieder
in eine Balance gebracht werden. Und er soll zum anderen eine Atempause
bewirken, damit wir die daneben erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung
des Wohnraummangels wirksam …
… also Neubauten …
… mit entsprechender Konsequenz vorantreiben können.
Kann Berlin ein bundesweites Vorbild sein?
Ich gehe fest davon aus. Wir sehen jetzt schon bundesweite Reaktionen und
intensive Diskussionen, obwohl der Senat bisher nur einen
Eckpunktebeschluss und noch kein Gesetz vorgelegt hat. Der Mietendeckel ist
Neuland. Andere Bundesländer beobachten, wie Berlin damit umgeht und wie
weit wir damit kommen. Bremen hat in den neuen Koalitionsvertrag
geschrieben, dass man die Berliner Erfahrungen auswerten wird.
Hamburg ist skeptischer. Der dortige Finanzsenator Andreas Dressel
twittert: „Der Mietendeckel ist verfassungsrechtlich auf Sand gebaut und
provoziert Mieterhöhungen schon vor der Inkraftsetzung.“
Die Verfassungsmäßigkeit würde ich Verfassungsgerichte beurteilen lassen.
Die [4][Mieterhöhungsankündigungen in Berlin] sind eine provokante
Gegenreaktion, waren aber auch vorhersehbar, weil wir wenige Wochen zuvor
einen neuen Mietspiegel veröffentlicht haben. Und dass Hamburg einen
anderen Weg geht als wir, ist bekannt.
Hamburg hat gegenüber Berlin den Vorteil, dass es eine Stetigkeit bei der
Förderung des Wohnungsneubaus gab und gibt. Da können wir von Hamburg
lernen. Dass Berlin bei der Mietenregulierung weiter geht als Hamburg, hat
auch damit zu tun, dass es hier ein deutlich niedrigeres Einkommensniveau
und eine deutlich größere Schere zwischen dem Tempo der Mietentwicklung und
der Einkommensentwicklung gibt.
Nun haben viele kurz vor dem Senatsbeschluss zum Mietendeckel noch
Mieterhöhungen bekommen. War es eine Panne, dass schon Anfang Juni bekannt
wurde, dass Sie die Eckpunkte am 18. Juni beschließen wollten, sodass den
Vermietern noch zwei Wochen Zeit für Erhöhungen blieben?
Berlin ist eine diskussionsfreudige Stadt. Wir können uns nicht darüber
wundern, dass Dinge, die in der politischen Abstimmung sind, das Licht der
Öffentlichkeit erblicken. Die Ankündigung von Mieterhöhungen vor dem 18.
Juni ändert nichts daran, dass wir ins Gesetz den 18.6. als Stichtag für
wirksame Mieterhöhungen schreiben werden. Wenn die Mieter bis zu diesem
Datum nicht ihre Zustimmung zu den Erhöhungen erklärt haben, sind die
Erhöhungsankündigungen nach unserer Rechtsauffassung gegenstandslos.
Weshalb sind Sie sicher, dass es legal ist, mit einem Landesgesetz die
Mietenhöhe zu regeln? Jahrelang sind alle, sogar Ihre Partei und der
Mieterbund, davon ausgegangen, das dürfe nur der Bund tun.
Es ist tatsächlich eine etwas kuriose Situation, dass ein Artikel in einem
juristischen Fachblatt Ende 2018 dafür den Anstoß gab. Ausschlaggebend für
den Senatsbeschluss im März war ein verfassungsrechtliches Gutachten, das
die SPD-Fraktion in Auftrag gegeben hat. Dieses Gutachten haben wir
sorgfältig geprüft und wir halten es für tragfähig. Mit der
Föderalismusreform von 2006 und der Überführung des Wohnungswesens vom Bund
auf die Länder besteht demnach die Möglichkeit, dass die Länder Regelungen
erlassen können, die auch Miethöhen einschließen.
Einige Genossenschaften laufen Sturm gegen den Mietendeckel, weil sie
glauben, dass sie dann Modernisierung und Neubauten nicht mehr stemmen
können.
Natürlich müssen wir mit dem Problem drohender Unwirtschaftlichkeit bei
vergleichsweise niedrigen und moderaten Mieten vernünftig umgehen. Dazu
werden wir auch eine Lösung finden. Zudem werden wir die Bauträger, die in
diesem Segment Wohnungen bauen wollen, künftig noch besser unterstützen –
durch die Bereitstellung von Grundstücken und die Ausweitung der
Wohnraumförderung.
Vermieter drohen in Zukunft vermehrt normale Mietwohnungen in
Eigentumswohnungen umzuwandeln.
Auch das halte ich für eine reflexartige Reaktion. Der neuste
Immobilienmarktbericht zeigt, dass die Zahl der Umwandlungen in letzter
Zeit stetig abgenommen hat. Wenn wir bestimmten Geschäftsmodellen die
Attraktivität entziehen, haben wir schon etwas Wesentliches erreicht.
Höhere Mieten haben auch eine Lenkungswirkung. Inzwischen ziehen jüngere
Leute oft lieber nach Leipzig als nach Berlin, weil dort die Mieten
günstiger sind. Wenn die Mieten niedrig bleiben, bleibt der Zuwachs an
Einwohnern in Berlin auf demselben Niveau oder wird sogar höher.
Berlin erlebt seit zehn Jahren einen sehr dynamischen Bevölkerungszuwachs.
Jetzt beobachten wir ein leicht abgeschwächtes Wachstum. Dennoch: Die
Attraktivität Berlins ist ungebrochen. Deshalb gehe ich davon aus, dass
Berlin auch in Zukunft eine sehr attraktive Stadt sein wird mit hoffentlich
tragbaren Miethöhen. Dass andere Städte auch attraktiver werden, ist aus
meiner Sicht kein Nachteil.
Sie erleichtern es mit niedrigen Mieten auch – solche Fälle kenne ich aus
meinem Bekanntenkreis – etwa Londonern, ihre Eigentumswohnungen dort zu
vermieten oder zu verkaufen und mit dem eingenommenen Geld billig in Berlin
zu wohnen.
Bisher waren die niedrigen Lebenshaltungs- und Wohnkosten der Motor für die
Anziehungskraft Berlins, für kreative und junge Leute. Was soll daran
schlecht sein, wenn man versucht, diese Anziehungskraft aufrechtzuerhalten
gegen einen Markttrend, der eine ganz andere Entwicklung vorprogrammiert?
Sie müssten höhere Neubauzahlen einplanen, wenn wegen des Mietendeckels die
Lenkungswirkung höherer Mieten wegfällt – oder wenn Investoren abspringen,
weil sie woanders mehr Geld verdienen können.
Dass wir in der Stadt Potenziale für zusätzlichen Wohnungsneubau haben,
steht außer Frage. Dass wir unsere Prozesse optimieren müssen, um schneller
zu Genehmigungen und Bauplänen zu kommen, ist auch klar. Und wenn weniger
private Investoren bauen sollten – was ich noch nicht sehe, weil Neubau
explizit vom Mietendeckel ausgenommen ist –, müssten wir andere
gemeinwohlorientierte Bauherren stärken.
Müssen Sie das jetzt nicht schon einpreisen? Wenn Sie die Entwicklung
abwarten, vergrößert sich die Neubaulücke und das Thema fliegt Ihnen im
Wahlkampf 2021 um die Ohren.
Stadtplanung ist ein langfristiger Prozess. Wir fokussieren uns schon seit
längerer Zeit auf den Neubau: Seit 2014 gibt es wieder eine
Wohnungsbauförderung. Es gibt eine mit den städtischen Gesellschaften
vereinbarte Roadmap. Es gibt Vereinbarungen mit den Bezirken. Wir haben vor
einem knappen Jahr ein Programm zur Beschleunigung des Wohnungsbaus
beschlossen. Das wird alles mit großer Energie und Zielstrebigkeit
umgesetzt.
Der Senat hat beschlossen, bis 2021 jährlich 6.000 landeseigene Wohnungen
zu bauen. Die Investitionsbank IBB sagt, pro Jahr bräuchte Berlin 20.000
neue Wohnungen. Viele in der Linkspartei haben Wien als Vorbild, wo 60
Prozent öffentlicher oder öffentlich geförderter Wohnungsbau sind. Da sind
Sie noch deutlich drunter – 6.000 von 20.000 ist nicht mal ein Drittel.
Wir brauchen neben städtischen auch weitere gemeinwohlorientierte
Bauträger, weil städtische Wohnungsbaugesellschaften den notwendigen
Wohnungsbau für die Entwicklung dieser Stadt auf keinen Fall alleine
stemmen können. Bei dem Neubauziel sollen die städtischen Gesellschaften
schon deutlich mehr bauen, als ihr Anteil am Wohnungssektor derzeit mit 17
Prozent beträgt.
Unser Ziel ist, in der gesamten Legislatur 30.000 Wohnungen durch die
städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu errichten. Wir werden in diesem
Jahr um die 5.000 Fertigstellungen erreichen; die höchste
Fertigstellungszahl in dieser Legislatur liegt im Jahr 2021. Bauvorhaben
muss man entsprechend vorbereiten, und die Pipeline von Projekten für die
Zukunft ist jetzt schon gut gefüllt.
Wenn das alles so gut läuft: Wie kommt Ihr Ruf als
Bauverhinderungssenatorin zustande, den Sie bei politischen Gegnern haben?
Es gibt eine interessengeleitete Verstärkung von Vorurteilen. Die Fakten
erklären es nicht. Deshalb lese ich solche Vorwürfe inzwischen mit einer
gewissen Gelassenheit.
In Berlin kämpft mit der Unterstützung Ihrer Partei ein Bündnis für die
Enteignung der Deutschen Wohnen und anderer Wohnungskonzerne. Wozu braucht
es noch die Enteignung, wenn die Mieten doch schon gedeckelt sind?
Das Volksbegehren will auf provokante Weise die Sozialpflichtigkeit des
Eigentums sicherstellen. Gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes unterliegt
Eigentum einer Gemeinwohlverpflichtung. Artikel 15 ermöglicht die
Vergesellschaftung für den Fall, dass dies nicht gegeben ist.
Ich sehe in dieser Initiative die Aufforderung an die Politik, dafür zu
sorgen, dass große Wohnungseigentümer mit diesem Eigentum im Sinne des
Wohls der Allgemeinheit umgehen. Dass unser Mietendeckel dazu führt, dass
eine solche Diskussion verebbt, glaube ich nicht. Mit den Mechanismen der
kapitalmarktorientierten Wohnungseigentümer werden wir es trotz
Mietendeckel weiterhin zu tun haben.
Ihre Partei war 2004 beteiligt, als die landeseigene GSW privatisiert
wurde. Die Wohnungen gehören heute der Deutschen Wohnen, die die Linke nun
enteignen will. Ist das ein Umgang mit Eigentumsrechten je nach Zeitgeist?
Die Linke hat heute eine selbstkritische Position zum Umgang mit kommunalem
Wohneigentum in diesen Haushaltskrisenjahren. Damals haben sich alle
Parteien, egal ob in der Regierung oder in der Opposition, mit
Privatisierungsvorschlägen überboten. Wir haben inzwischen gelernt, dass
man den öffentlichen Einfluss im Wohnungssektor auf keinen Fall verkleinern
darf.
Wir haben heute eine breite gesellschaftliche Mehrheit dafür, einerseits
den städtischen Wohnungsbestand auszuweiten, andererseits vor allem
gemeinwohlorientierte Bauträger zu privilegieren. Wir wissen, dass wir ohne
diesen öffentlichen Einfluss das Wesen unserer Stadt nicht erhalten können.
23 Jul 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Martin Reeh
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