| # taz.de -- Deutschlands verkaufte Hauptstadt: How not to be Berlin | |
| > Berlin hat seit 1989 Liegenschaften von der Größe des Bezirks | |
| > Friedrichshain-Kreuzberg verkauft. Eine Ausstellung klärt auf. | |
| Bild: „Die Sprache der Spekulation“: Videostill von Guerilla Architects, Sh… | |
| Auf der Website mit den Förderungsmöglichkeiten für Berliner Künstlerinnen | |
| und Künstler der Senatskulturverwaltung ist ein Foto der Cuvrybrache mit | |
| dem bekannten Fassadenbild des Street-Art-Künstlers Blu zu sehen. | |
| „Kulturbezirk Kreuzberg“, steht auf der Website als Erklärung für das Bil… | |
| dessen luxusuhrenträgerkritisches Motiv Anfang des Jahrzehnts immer wieder | |
| als Ausweis restwiderständiger Kreativität der Stadt galt. | |
| Nicht nur ist das Bild seit 2014 übermalt, sondern die Cuvrybrache ist | |
| mittlerweile (wenn auch noch nicht abschließend) mit dem „Cuvry Campus“ | |
| bebaut. Die Website wird so ungewollt zu einem Sinnbild dafür, wie | |
| (schnell) die Immobilienwirtschaft eine Politik vor sich hertreibt, die mal | |
| mehr, mal weniger verzweifelt an einem Mythos der Kreativität festhält, der | |
| – nichts Neues – die Wirkkraft des Immobilienmarktes erst zu einem | |
| interessanten urbanen Narrativ werden lässt. | |
| Gefördert von ebenjener Senatsverwaltung und konzipiert, um „die | |
| Perspektiven und Mythen der Geschichte, des Marktes und der Kreativität“ zu | |
| reflektieren, will nun eine Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein | |
| (n.b.k.) demonstrieren, wie der Umbau der Stadt seit dem Fall der Mauer | |
| „gestaltet“ wurde: durch Verwaltungsakte, welche die Veräußerung | |
| landeseigenen Besitzes zu Ungunsten vieler ermöglichten, durch zumindest | |
| fragwürdige architektonische Stilverengungen hin zu so zukunftsflüchtigem | |
| wie klassenbewusstem Neo- und Retrohistorismus und durch | |
| kreativwirtschaftliche Stadtrenditeversprechen. Die Ausstellung zeigt, wie | |
| Berlin dadurch statt zu einem „globalen Sehnsuchtsort“ zu einem | |
| „Problemfall“ wurde. | |
| Für seine vergleichsweise kleine Räumlichkeiten hat sich der n.b.k. viel | |
| vorgenommen: „1989–2019: Politik des Raums im Neuen Berlin“ stellt nicht | |
| mehr und nicht weniger als die Frage, wie Berlin zu dem wurde, was es heute | |
| ist. | |
| ## So groß wie ein Bezirk | |
| Künstlerisch geleitet von Marius Babias (n.b.k.) und Anh-Linh Ngo | |
| (Mitherausgeber der Architekturzeitschrift ARCH+) und kuratiert von einem | |
| mehrköpfigen Team von ARCH+-Mitarbeiter/innen, setzt die | |
| Ausstellungsarchitektur auf einen zentralen Schocker: Control Room und | |
| Herzstück ist eine von der Stadtforscherin Florine Schüschke großflächig | |
| auf dem Boden ausgebreitete Karte Berlins. Auf ihr sind, erstmals in dieser | |
| Weise zusammengetragen, alle Liegenschaften verzeichnet, die seit 1989 | |
| privatisiert wurden. | |
| Was hier nach Stückwerk aussieht, ballt und konkretisiert sich auf einer im | |
| Raum hängenden Infoleinwand: Die Gesamtfläche der von 1989 bis 2017 | |
| verkauften Grundstücke betrage etwa 21 Millionen Quadratmeter, was der | |
| Gesamtfläche des Bezirks Friedrichshain-Kreuzbergs entspreche. | |
| ## Der BER hat schon mehr gekostet | |
| Hierbei habe der Senat 5 Milliarden Euro eingenommen – „nur!“, wie Ngo | |
| betont, denn mit diesem Geld könne man heute nicht einmal einen Teil der | |
| Immobilien auf der Karl-Marx-Allee zurückkaufen. | |
| Die Ausstellung bringt die 6,4 Milliarden Euro, die der Bau des BER bisher | |
| gekostet habe, als Vergleichsgröße ein, man könnte aber auch an die 3,5 | |
| Milliarden denken, die alleine die österreichische Signa-Gruppe in | |
| Immobilienvorhaben in Berlin investieren möchte. | |
| Dass Politiken des Raums immer von Sprachpolitik flankiert werden, zeigt | |
| die Ausstellung besonders eindringlich: Ende der 2000er veröffentlichte die | |
| Hauptstadtmarketing-Zentrale „Berlin Partner“ im Auftrag des Senats | |
| Sottisen wie „sei bio, sei fleisch, sei berlin“. | |
| Der in der Ausstellung gezeigte Animationsfilm „How not to be Berlin. Ein | |
| Cut-up zu Berlins Stadtmarketing“ des Duos Schroeter & Berger führt mittels | |
| Materials aus Berliner Image-Kampagnen den sprachlichen Anteil der | |
| Inszenierung der Stadt als „Creative City“ vor. Das Fazit: „We Built This | |
| City On Bullshit Bingo.“ | |
| ## Die Sprache der Spekulation | |
| Dies ist aber nur der Trashfaktor einer Stadt als Unfall, bei dem man nicht | |
| wegschauen kann. Die im Ausstellungsraum ausliegenden Papierstapel mit von | |
| Andrej Holm zusammengestellten Begriffsdefinitionen von A | |
| (Altschuldenhilfe) bis Z (Zwischenerwerber) eines „Glossars der | |
| Privatisierung“ machen neben den sprachlichen auch die weitreichenden | |
| rechtlichen Verankerungen entsprechender Maßnahmen als Werkzeuge für den | |
| Verkauf landeseigener Immobilien und Grundstücke sichtbar. | |
| Ebenfalls von A–Z klärt das Video „Die Sprache der Spekulation“ von | |
| Guerilla Architects, Shahrzad Rahmani und Philine Schneider über Herkunft | |
| und Verwendung jener Begriffe aus Texten von Immobilienentwicklern auf, die | |
| sich in die Alltagssprache einfräsen. | |
| Eingeklemmt zwischen „Asset Deal“ und „Boarding House“ fristet die „B… | |
| längst kein subkulturelles Nischendasein mehr, vielmehr wird sie in | |
| Immobilienprosa als zielgruppenkompatibler Distinktionsgarant gebrandet. | |
| Der „Campus“ (as in Cuvry, as in „Kulturbezirk Kreuzberg“) darf dann do… | |
| wo Wohnen als Dienstleistung vermarktet wird, als Habitat des Neuen | |
| Bohemien auch nicht fehlen. | |
| 24 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Conrads | |
| ## TAGS | |
| Gentrifizierung | |
| Berlin | |
| Kreativwirtschaft | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Architektur | |
| Mietendeckel | |
| Musiktheater | |
| Lesestück Interview | |
| Wien | |
| 4 Blocks | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bebauung am Ernst-Thälmann-Park: Dringender Bedarf | |
| Seit Jahren streiten sich Bezirk und Investor über die Bebauung eines | |
| ehemaligen Güterbahnhofs. Es geht auch um die Frage: Wer gestaltet Berlin? | |
| Das aktuelle Heft der „arch+“: Diskursives Entwerfen | |
| Die Nummer 237 der „Arch+“ ist erschienen. Sie feiert ihren langjährigen | |
| Chefredakteur und Herausgeber Nikolaus Kuhnert. | |
| Mietenwatch legt Zahlen vor: Nachhilfe für die Politik | |
| 80.000 Wohnungsinserate wurden ausgewertet. Was die Zahlen von Mietenwatch | |
| für Mietdendeckel und rot-rot-grüne Koalition bedeuten. Ein | |
| Wochenkommentar. | |
| Musical zur Wohnungsfrage: Das Böse hat ziemlich gute Musik | |
| Mit einem Musical von Christiane Rösinger startete in Berlin das Festival | |
| „Berlin bleibt“ zur Stadt- und Wohnungspolitik. | |
| Entwicklungssenatorin übers Wohnen: „Ich träume nicht von der DDR“ | |
| Berlins linke Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher verteidigt den | |
| Mietendeckel des rot-rot-grünen Senats. Sie erklärt, warum er ein | |
| bundesweites Vorbild ist. | |
| Debatte Enteignungen von Immobilien: Wie Wien Spekulanten ausbremst | |
| Immobilienkonzerne enteignen ist das eine. Noch besser wäre eine | |
| ordentliche Wohnungsbaupolitik. Wie das geht, zeigt die Stadt Wien. | |
| Die Kahlschlagsanierung wird Serienheld: Der Gangster in der Wohnmaschine | |
| Die TV-Serien „Dogs of Berlin“ und „4 Blocks“ zeichnen ein neues | |
| Berlin-Bild. Wann wird sich die erste Serie der Privatisierungspolitik | |
| Sarrazins widmen? |