# taz.de -- Debatte Enteignungen von Immobilien: Wie Wien Spekulanten ausbremst | |
> Immobilienkonzerne enteignen ist das eine. Noch besser wäre eine | |
> ordentliche Wohnungsbaupolitik. Wie das geht, zeigt die Stadt Wien. | |
Bild: Kaum zu glauben: In Wien kann man noch günstig wohnen | |
Enteignungen im öffentlichen Interesse? Ja, unbedingt. Es ist schon | |
seltsam, dass sich genau jene politischen Kreise über eine solche Idee | |
empören, die keine Scheu vor Zwangsenteignungen haben, wenn es um | |
Geschäftsinteressen geht. Für ungezählte Megaprojekte in allen Teilen der | |
Welt werden Menschen im besten Fall enteignet und umgesiedelt, im | |
schlechtesten Fall vertrieben oder ermordet. Man möge also bitte nicht über | |
„steinzeitkommunistische Methoden“ klagen, sondern überlegen, warum | |
[1][Zwangsmaßnahmen, wie sie in Berlin diskutiert werden], notwendig sind. | |
Man kann es nämlich auch anders machen. In Wien gibt es einen großen | |
Immobilieneigner, der 220.000 Wohnungen in seinem Bestand hat und weitere | |
erwerben will. [2][Er heißt Gemeinde Wien und vermietet diese Wohnungen zu | |
sozialen Tarifen]. Nicht zuletzt deswegen gilt die österreichische | |
Bundeshauptstadt seit Jahren als eine der lebenswertesten Städte der Welt. | |
In den 1990ern und den Nullerjahren war Privatisierung die große Mode. Man | |
verscherbelte Staatsunternehmen, kommunale Wohnungen, selbst so | |
[3][sensible Bereiche wie die Wasserversorgung] sahen Politiker damals in | |
privaten Händen besser aufgehoben. Sogar in Wien hielt es die damals als | |
Juniorpartner mitregierende bürgerliche ÖVP für eine gute Idee, vom Konzept | |
der Gemeindewohnungen abzugehen und sich dem Trend der Zeit anzuschließen. | |
Es ist vor allem den Grünen zu verdanken, dass die SPÖ dem Druck damals | |
nicht nachgab und darauf verzichtete, mit dem Verkauf kommunalen Wohnraums | |
schnelles Cash zu machen. | |
Heute brüstet sich die SPÖ wieder mit dem Bestand an Gemeindewohnungen, der | |
nicht nur erhalten, sondern noch ausgebaut werden soll. Das Rote Wien, das | |
vor hundert Jahren eine lebendige Arbeiterkultur entwickelte, gilt heute | |
als eine Art immaterielles Kulturerbe. Die während der Gründerzeit und nach | |
dem Ersten Weltkrieg enorm gewachsene Stadt bot damals den meisten ihrer | |
Einwohner absolut elende Wohnbedingungen. Wohnraum war knapp und musste | |
geschaffen werden. | |
Die sozialdemokratischen Stadtväter setzten aber nicht auf billige | |
Plattenbauten, sondern Gemeindekomplexe, die einen ästhetischen Anspruch | |
mit Funktionalität verbanden. Auch als die Arbeiterkultur schon auf dem | |
Rückzug war, baute die Stadt weiter für die Geringverdiener und konnte | |
dadurch die Wohnkosten auch im privaten Sektor vergleichsweise gering | |
halten. Ein weitgehender Mieterschutz verärgerte Immobilienspekulanten. | |
Zwar ist diese Gesetzgebung längst aufgeweicht worden und auch Wien ist von | |
Gentrifizierung und explodierenden Mietkosten nicht verschont geblieben. | |
Davon kann jeder ein Lied singen, der kurzfristig eine Wohnung sucht. Denn | |
den Anspruch auf eine Gemeindewohnung muss man sich durch jahrelange | |
Anwartschaft auf einer Liste gleichsam ersitzen. Und geförderte | |
Genossenschaftsprojekte sind lange vor Baubeginn schon ausgebucht. | |
Doch verglichen mit anderen europäischen Metropolen vergleichbarer Größe | |
halten sich die durchschnittlichen Kosten pro Quadratmeter Mietfläche immer | |
noch in Grenzen. Angesichts der Zustände auf dem Immobilienmarkt anderer | |
europäischer Großstädte schätzt man sich in Wien glücklich, den Modetrend | |
nicht mitgemacht zu haben. | |
Allerdings hat sich die Jahrzehnte lang geübte Praxis, zwei Drittel der | |
Neubauten preislich reguliert zu halten, umgedreht: Jetzt werden zwei | |
Drittel frei finanziert. Die steigenden Grundkosten haben dazu beigetragen, | |
dass neuer Wohnraum für viele nicht mehr leistbar ist. Durch die | |
Finanzkrise hat sich das noch verschärft, da Finanzinvestoren zunehmend | |
Immobilien als sichere Anlage suchen. Deswegen hat sich auch die Stadt Wien | |
aus dem Hausbau zurückgezogen. 15 Jahre lang sind keine Gemeindebauten mehr | |
errichtet worden. Das Argument: Die Stadt könne bei den herrschenden | |
Grundstückspreisen keine bezahlbaren Wohnungen mehr errichten. | |
## Gebaut wird an der Peripherie | |
Das wird sich aber jetzt ändern. Wien hat mehrere neue Projekte in Auftrag | |
gegeben, und im vergangenen November hat der Stadtrat eine neue Bauordnung | |
beschlossen, die die Stadt vor der Berliner Debatte über Enteignungen | |
bewahren soll. Gebaut wird heute großteils an der Peripherie, wo noch | |
Erdäpfel, Rüben oder Gerste angebaut werden oder Industriebrachen auf eine | |
neue Bestimmung warten. | |
Damit dort Wohnbau betrieben werden kann, bedarf es eines bürokratischen | |
Akts, einer Umwidmung des Geländes, mit der eine explosionsartige | |
Wertsteigerung einhergeht. Die Umwidmung ist jetzt mit einer Auflage | |
versehen: Wenn der Grund zu Bauzwecken verkauft wird, darf der Preis zur | |
Hälfte nicht 250 Euro pro Quadratmeter übersteigen. Der Marktpreis pro | |
Quadratmeter Boden sollte sich damit selbst am Stadtrand zwischen 800 und | |
1.000 Euro einpendeln, wie Experten schätzen. Auch das entspricht einer | |
Wertsteigerung um mehr als das Zwanzigfache. | |
Die Eltern des Gesetzes zeigen sich daher zuversichtlich, dass ihr Werk | |
auch bei einer allfälligen Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof halten | |
wird. Schon in einer früheren Entscheidung haben die Höchstrichter „zur | |
Aufrechterhaltung des sozialen Friedens und leistbaren Wohnraums maßvolle | |
Eingriffe“ gebilligt. Dem Bauern wird der Acker nicht weggenommen. Aber | |
wenn er eine Bauwidmung haben will, kriegt er sie nur, wenn er bezahlbares | |
Wohnen ermöglicht. | |
Zwar wettert man in der konservativen ÖVP erwartungsgemäß gegen die | |
„retrosozialistische Kampfansage“, und die Bundesregierung versucht sich | |
durch ein Gesetz, das den Kauf von gemeinnützigen Wohnungen erleichtert, in | |
Querschüssen. Doch solange Mieten günstig ist, wird Eigentum in Wien wenig | |
populär bleiben und Spekulation mit Wohnraum kein gutes Geschäft sein. Was | |
passiert, wenn die öffentliche Hand die Kontrolle über den Wohnraum | |
verliert, zeigt sich schließlich in Berlin. | |
28 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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