# taz.de -- Debatte Hohe Mieten: Bauen, kaufen, deckeln | |
> Die Enteignung von Immobilienkonzernen ist keine Akutmaßnahme gegen den | |
> Mietenwahnsinn. Es braucht anderes. Immerhin: Der Druck wächst. | |
Bild: Wem gehört die Stadt? | |
Man reibt sich verwundert die Augen. 70 Jahre nach der Gründung der | |
marktwirtschaftlich verfassten Bundesrepublik und 30 Jahre nach dem Ende | |
der sozialistischen DDR wird in Deutschland erbittert über die Enteignung | |
von Konzernen gestritten. | |
Die Berliner [1][Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“] hat | |
Wirtschaftsverbände sowie konservative und wirtschaftsliberale Politiker | |
[2][in Schnappatmung versetzt]. Sie wähnen einen Angriff auf die | |
Grundfesten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – und müssen | |
dabei erstaunt bis entsetzt feststellen, dass das Grundgesetz im bislang | |
kaum beachteten Artikel 15 diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht. | |
Wenn es das Ziel der Initiative war, eine große gesellschaftliche Debatte | |
über die sozial verträglichen Grenzen der Eigentumsfreiheit zu entfachen | |
und drastische Maßnahmen gegen die für viele Menschen existenzbedrohende | |
Mietenexplosion einzufordern, dann hat sie das bereits jetzt | |
vollumfänglich erreicht. Das ist ein großer Erfolg für eine im besten Sinne | |
linkspopulistische Kampagne, die an die Ängste und Nöte von Millionen | |
Menschen unmittelbar anknüpft. | |
Doch was den konkreten Inhalt betrifft, lohnt es sich, ein bisschen genauer | |
hinzuschauen. Ziel des Volksbegehrens ist keine Enteignung im Sinne von | |
Vermögensentzug, sondern ein gesetzlich angeordneter Verkauf. Der | |
Kaufpreis, der in diesem Kontext meistens als „Entschädigung“ bezeichnet | |
wird, würde sich entweder am Ertragswert, am Verkehrswert oder am | |
bilanziellen Marktwert orientieren und nach bisherigen Kostenschätzungen | |
zwischen 9 und 35 Milliarden Euro betragen. | |
Es ist leicht auszurechnen, dass für diese Summen nicht nur temporär | |
geförderter sozialer Wohnungsbau, sondern unmittelbarer kommunaler | |
Wohnungsbau in erheblicher Größenordnung finanziert werden könnten. Ohne | |
Rekommunalisierungen durch Ankäufe bagatellisieren zu wollen: Strukturell | |
und nachhaltig kann die Wohnkrise in Berlin und anderen wachsenden Zentren | |
nur durch forcierten Neubau überwunden werden. | |
## „Die Linke“ bremst | |
Und da bekommt die Sache ein politisches Geschmäckle. Denn Die Linke, die | |
die Enteignungskampagne als einzige Partei geschlossen und offensiv | |
unterstützt, steht beim Neubau permanent auf der Bremse. Sie hat in den | |
Koalitionsverhandlungen vor der Bildung des „rot-rot-grünen“ Senats Ende | |
2016 maßgeblich dafür gesorgt, dass das größte bereits geplante | |
Stadtentwicklungsgebiet komplett gestrichen und eine Randbebauung des | |
riesigen Areals am ehemaligen Flughafen Tempelhof quasi tabuisiert wird. | |
Sie hat immer neue „Partizipationsschleifen“ in das Planungsgeschehen | |
implementiert, was zu erheblichen Reduzierungen und Verzögerungen oder gar | |
der Verhinderung von Neubauprojekten führt. Schon jetzt steht fest, dass | |
die ohnehin wenig ambitionierten Neubauziele dieser Koalition verfehlt | |
werden, vor allem im Segment des geförderten sozialen Wohnungsbaus. | |
Und statt alle vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um die | |
Eigentümer baureifer Grundstücke zu zwingen, dort tatsächlich zu bauen, | |
beziehungsweise begonnene Planungsverfahren zu beschleunigen, hat die von | |
einer linken Senatorin geführte Stadtentwicklungsverwaltung bislang hilf- | |
und tatenlos zugeschaut, wie sich dieses „Bauüberhang“ genannte Brachliegen | |
von Bauland in Berlin mittlerweile auf 60.000 potenzielle Wohnungen | |
ausgeweitet hat. Da kommt eine populäre Kampagne, die sich ausschließlich | |
auf einen Teil der Bestandswohnungen bezieht, natürlich wie gerufen, um vom | |
eigenen Versagen abzulenken. | |
## Grobe handwerkliche Fehler | |
Als „Akutmaßnahme“ gegen den Mietenwahnsinn taugt das Volksbegehren eh | |
nicht. Selbst bei erfolgreichem Verlauf wären juristische | |
Auseinandersetzungen bis hin zum Bundesverfassungsgericht oder gar zum | |
Europäischen Gerichtshof zu erwarten, die viele Jahre in Anspruch nehmen | |
würden. Nach der ersten Stufe, der Unterschriftensammlung, wird sich das | |
Landesverfassungsgericht in Berlin mit der Zulässigkeit der Initiative | |
befassen, mit ungewissem Ausgang. | |
Das Volksbegehren weist zudem grobe handwerkliche Fehler auf. Die Grenze | |
von 3.000 Wohnungen, von der an ein Unternehmen enteignet werden soll, ist | |
relativ willkürlich und nicht genauer begründet. Auch die Herausnahme der | |
sechs großen städtischen Wohnungsbaugesellschaften aus der Liste ist nicht | |
stichhaltig, da es sich um Aktiengesellschaften und GmbHs handelt, die sich | |
zwar im Landesbesitz befinden, aber dem Wirtschaftsrecht unterliegen. Diese | |
Gesellschaften sind weder gemeinnützig noch unmittelbar weisungsgebunden. | |
Warum wird nicht die Überführung auch dieser Gesellschaften in öffentliche | |
Trägerschaft, also eine Anstalt öffentlichen Rechts, gefordert? | |
Immerhin: Das Volksbegehren setzt weit über Berlin hinaus die Frage der | |
Sozialbindung des Eigentums auf die politische Tagesordnung und erhöht | |
allgemein den Druck auf die Politik, konkrete Schritte gegen Wohnungsnot | |
und Mietenwahnsinn zu unternehmen – und sei es auch nur, um der | |
unerwünschten Debatte über „Enteignungen“ den Wind aus den Segeln zu nehm… | |
und den sozialen Sprengstoff der Wohnungsfrage ein wenig zu entschärfen. Es | |
wird wohl auf eine Art „Mietendeckel“ hinauslaufen, der befristet den | |
Anstieg der Bestands- und Neuvertragsmieten dämpfen könnte. Um die | |
Ausgestaltung dieses Deckels lohnt es sich erbittert zu streiten, zumal | |
erste Vorschläge in Richtung „Weiße Salbe“ gehen. | |
Die [3][Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“] hat jedenfalls eine | |
große gesellschaftliche Verantwortung übernommen. Ihr Erfolg wird | |
letztendlich nicht an der temporären Mobilisierungsfähigkeit für eine | |
linkspopulistische Forderung zu messen sein. Sondern daran, ob für | |
Wohnungsuchende und Mieter nicht nur bei besonders dreist auftretenden | |
Immobilienkonzernen etwas Greifbares herauskommt – und zwar ein Dreiklang | |
aus öffentlichem Neubau, Rekommunalisierung und Mietenbegrenzung. | |
26 Apr 2019 | |
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[1] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!t5562213 | |
[2] /FDP-Politiker-ueber-Volksbegehren/!5585253 | |
[3] https://www.dwenteignen.de/ | |
## AUTOREN | |
Rainer Balcerowiak | |
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