| # taz.de -- Regierungskrise in Österreich: Straches Sturz | |
| > Heimlich aufgenommene Videos führen zum Rücktritt von Österreichs | |
| > Vizekanzler. Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. | |
| Bild: Die sogenannte Ibiza-Affäre hat eine Regierungskrise in Österreich ausg… | |
| Wien taz/dpa | Die Menschen vor dem österreichischen Kanzleramt schweigen. | |
| Aus den Lautsprechern hunderter Smartphones murmelt Heinz-Christian | |
| Strache, in Grüppchen beugen sich die Menschen darüber. „Der will ja gar | |
| nicht gehen“, sagt eine Frau. „Tritt der nicht zurück“, murmelt ein Mann. | |
| Dann brechen hunderte Menschen auf dem Wiener Ballhausplatz in Jubel aus. | |
| Der österreichische Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat | |
| soeben seinen Rücktritt von allen Funktionen erklärt. | |
| Flankiert von mehreren MinisterInnen der österreichischen Regierung, | |
| darunter Innenminister Herbert Kickl und Verkehrsminister Norbert Hofer, | |
| hat Strache am Samstagmittag vor vielen Kameraleuten und Reportern zunächst | |
| eine Erklärung zu den [1][am Freitagabend veröffentlichten | |
| kompromittierenden Videos] abgegeben. Strache selbst stellte sich dabei als | |
| Opfer einer schmutzigen Intrige dar, Fragen wollte er keine beantworten. | |
| Bei den veröffentlichten Videos handelt es sich um heimlich aufgenommenes | |
| Material, das der Süddeutschen Zeitung sowie dem Spiegel zugespielt und von | |
| diesen Medien am Freitagabend veröffentlicht wurde. Zu sehen ist dort ein | |
| Abend aus dem Sommer 2017, wenige Monate vor den österreichischen | |
| Nationalratswahlen. In einer Villa auf Ibiza treffen sich Strache und der | |
| FPÖ-Fraktionsvorsitzende Johann Gudenus mit einer vermeintlichen russischen | |
| Oligarchin. Als Gegenleistung für Unterstützung im Wahlkampf versprechen | |
| die FPÖ-Politiker der Frau, ihr nach der Wahl öffentliche Aufträge | |
| zuzuschanzen. | |
| Konkret geht es auch um eine Übernahme der Kronen Zeitung durch die Frau. | |
| Das Medium erreicht in Österreich Millionen von Menschen. „Wenn sie die | |
| Kronen Zeitung übernimmt drei Wochen vor der Wahl und uns zum Platz eins | |
| bringt, dann können wir über alles reden“, sagt Strache im Video. Bei der | |
| Krone müsse man dann auch „zack, zack, drei, vier Leute abservieren“. Als | |
| Gegenleistung stellt er Aufträge im Straßenbau in Aussicht: „Dann soll sie | |
| eine Firma wie die Strabag gründen. Alle staatlichen Aufträge, die jetzt | |
| die Strabag kriegt, kriegt sie dann.“ | |
| ## Strache spricht von „politischem Attentat“ | |
| Dass das Schuldbewusstsein Straches gering ist, zeigt die Inszenierung | |
| seines Auftritts am Samstagmittag. Bevor er zugibt, „wie ein Teenager | |
| geprahlt“ zu haben und unter Alkoholeinfluss unbedachte Äußerungen gemacht | |
| zu haben, kleidet er sich in die Opferrolle. Man habe „schon des Öfteren | |
| versucht, mich zu Fall zu bringen“, durch falsche Gerüchte über seinen | |
| Drogenkonsum und „Versuche, mich ins rechtsextreme Eck zu drängen“. Aber | |
| was da vor zwei Jahren inszeniert worden sei, habe eine völlig neue | |
| Dimension: Eine „Schmutzkübel- und Desinformationskampagne, „die an | |
| Perfidie und Niederträchtigkeit nicht zu übertreffen ist“. | |
| Ein Geheimdienst habe einen Lockvogel eingesetzt, um ihm und seiner Partei | |
| zu schaden, sagt Strache: „Ja, das war ein gezieltes politisches Attentat“. | |
| Dennoch habe er dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seinen | |
| Rücktritt angeboten: „Meine Person darf kein Vorwand sein, diese Koalition | |
| zu sprengen, denn das war das Ziel dieser illegalen Schmutzkübelkampagne“, | |
| sagt Strache. Kurz habe seinen Rücktritt angenommen, eine Äußerung des | |
| Kanzlers selbst wurde danach erwartet. Auch Johann Gudenus trat am Samstag | |
| von allen Ämtern zurück. | |
| Ob es in Österreich Neuwahlen geben könnte, ist am Samstagnachmittag | |
| zunächst noch unklar. Wenn es nach Strache geht, übernimmt der bisherige | |
| Infrastrukturminister Norbert Hofer seine Ämter und führt die Koalition mit | |
| Sebastian Kurzens ÖVP fort. Schließlich habe diese Regierung großartige | |
| Arbeit geleistet: von der Steuerreform bis zum schärferen Asylrecht und der | |
| Bekämpfung des politischen Islams. | |
| Wer das Video aufgenommen und den Medien zugespielt hat, ist nicht bekannt. | |
| Spiegel und SZ geben an, die Aufnahmen – insgesamt handele es sich um | |
| sieben Stunden Videomaterial – überprüft und für authentisch befunden zu | |
| haben. Die Medienstrategie der FPÖ skizziert Strache in den Aufnahmen mit | |
| dem Satz: [2][„Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán | |
| aufbauen“]. Außerdem spricht er von einem gemeinnützigen Verein, über den | |
| Parteispenden an die FPÖ verschleiert werden könnten, und nennt mehrere | |
| angebliche Großspender der Partei namentlich. | |
| ## Böhmermann wusste wohl Bescheid | |
| Bisher war über keinen von ihnen bekannt, an die FPÖ gespendet zu haben. | |
| Der Glücksspielkonzern Novomatic, der Waffenfabrikant Glock, die | |
| Kaufhaus-Erbin Heide Horten und der Immobilienmilliardär René Benko, die | |
| Strache als heimliche Unterstützer seiner Partei nannte, haben allesamt | |
| dementiert, direkt oder indirekt an die FPÖ gespendet zu haben. | |
| In seiner Erklärung spricht Strache von Netzwerken, die ihn zu Fall bringen | |
| wollen würden. „Ich frage mich, wer diese Netzwerke sind und [3][welche | |
| Rolle der Herr Böhmermann darin spielt].“ Der deutsche Satiriker und | |
| Fernsehmoderator Jan Böhmermann hatte bereits vor einem Monat in einem | |
| Grußwort für die Verleihung des österreichischen Fernsehpreises | |
| Anspielungen gemacht, die auf den Inhalt des Videos zutreffen. Laut SZ war | |
| das Video zu diesem Zeitpunkt schon einer Reihe von Personen bekannt, die | |
| davon nicht durch die SZ erfahren hätten. Dazu gehöre auch Jan Böhmermann. | |
| Die AfD hält trotz der Videoaffäre zur FPÖ. „Die FPÖ ist uns ein enger | |
| Partner“, sagte AfD-Chef Jörg Meuthen am Rande einer [4][Kundgebung | |
| europäischer Rechtsparteien] in Mailand. Er werde der österreichischen | |
| Partei nun nicht „in den Rücken fallen“ auf Grund einer „singulären | |
| Angelegenheit“. | |
| Die Verbindungen der AfD zu den Protagonisten des Skandals sind eng: | |
| [5][Als „natürlichen Verbündeten“] hatte Meuthen Strache mit Blick auf den | |
| Europawahlkampf bezeichnet. Am 3. Mai waren Meuthen und die | |
| AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel zusammen mit Johann Gudenus in | |
| Pforzheim aufgetreten, die Veranstaltung war ein Höhepunkt des | |
| AfD-Europawahlkampfs. | |
| Der Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, hatte am | |
| Freitagabend auf Twitter kommentiert, die aktuelle Berichterstattung sei | |
| ein Versuch, aus Nichts einen „Pseudoskandal zu kreiieren“. Am Samstag | |
| wurde der Tweet gelöscht. | |
| ## „Ein schöner Feiertag“ | |
| In der Menschenmenge vor dem österreichischen Kanzleramt werden nach der | |
| Rücktrittserklärung Straches Sektflaschen geöffnet. „Das ist ein schöner | |
| Feiertag, den uns die FPÖ heute beschert hat“, sagt Lies Malin, eine | |
| Wienerin. „Die Regierung hat stets betont, wie korrekt sie sind“, fällt | |
| ihre Begleitung Thomas Flicek ins Wort. „Das waren immer alles nur | |
| Einzelfälle“, sagt Malin, „jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo er nicht | |
| mehr rauskommt.“ | |
| Beate Meinl-Reisinger, Vorsitzende der liberalen Oppositonspartei Neos, | |
| schlängelt sich durch die Menge. Seit das Strache-Video kursiert, forderten | |
| alle Parteien einvernehmlich den Rücktritt des FPÖ-Vizekanzlers. | |
| Verhaltener hingegen, dass auch Kanzler Sebastian Kurz von der ÖVP | |
| Konsequenzen ziehen muss. | |
| Meinl-Reisinger spricht von „Gefahr im Verzug“, fürchtet, dass die FPÖ nun | |
| versuchen könnte, zu vertuschen. Sie fordert die Regierung auf, | |
| unverzüglich sicher zu stellen, dass in den FPÖ geführten Ministerien keine | |
| Daten verschwinden, die zur Aufklärungen des Affäre beitragen. Sie fordert, | |
| den Nachrichtendienst BVT, dem das FPÖ geführten Innenministerium | |
| weisungsbefugt ist, dem Parlament zu unterstellen, um deren Arbeit nicht zu | |
| gefährden. | |
| 18 May 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.spiegel.de/video/fpoe-chef-heinz-christian-strache-die-videofal… | |
| [2] /Medienpolitik-in-Oesterreich/!5536511 | |
| [3] /Kolumne-Flimmern-und-Rauschen/!5593494 | |
| [4] /Wahlkampf-rechter-Parteien-in-Mailand/!5596342 | |
| [5] /Europawahlkampf-der-AfD/!5583120 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
| Malene Gürgen | |
| Christina Schmidt | |
| ## TAGS | |
| Heinz-Christian Strache | |
| Österreich | |
| FPÖ | |
| ÖVP | |
| Sebastian Kurz | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Österreich | |
| Alexander Van der Bellen | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Österreich | |
| Wahl Österreich | |
| Heinz-Christian Strache | |
| Österreich | |
| Heinz-Christian Strache | |
| Schwerpunkt Europe's Far Right | |
| EU-Verordnung | |
| Kolumne Flimmern und Rauschen | |
| ORF | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ibiza-Affäre vor der Aufklärung: Die Drahtzieher fliegen auf | |
| Die „SOKO Ibiza“ nimmt drei mutmaßliche Initiatoren des Strache-Videos | |
| fest. Ihr Motiv war wohl nicht, einen korrupten Politiker zu enttarnen. | |
| Regierungskrise in Österreich: Die SPÖ taktiert | |
| Ein Mißtrauensvotum könnte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sein Amt | |
| kosten. Wie die Sozialdemokraten abstimmen werden, ist noch unklar. | |
| Die AfD und der FPÖ-Korruptionsskandal: Schweigen, dann herunterspielen | |
| Zum FPÖ-Skandal in Österreich reagiert die AfD verhalten. Wenn sich AfDler | |
| melden, dann abwiegelnd und verschwörungstheoretisch. | |
| Regierungskrise in Österreich: Klientelpolitik im großen Stil | |
| Herbert Kickl arbeitete im Asyl- und Fremdenrecht den Wunschzettel der FPÖ | |
| ab. Was hinterlässt die geplatzte Rechtsregierung? | |
| Neuwahlen in Österreich: Aus der Alptraum | |
| Die Ultrarechts-Koalition in Österreich ist kollabiert. Bundeskanzler | |
| Sebastian Kurz versucht nun, sich als Retter aus der Krise zu inszenieren. | |
| Demo in Wien nach Strache-Video: Happy Ibiza Day | |
| Österreich erfährt, dass Regierungsmitglieder ihr Land für Parteispenden an | |
| russische Oligarchen verscherbeln würden. Was macht man da – als Volk? | |
| Nach Strache-Rücktritt in Österreich: Schurkenstaat oder Lachnummer? | |
| Wegen des geleakten Videos mit Österreichs Vizekanzler Strache hat die | |
| Koalition nur 516 Tage gehalten. Anfang September soll es Neuwahlen geben. | |
| Kommentar Regierungskrise Österreich: Der Staatsumbau nebenan | |
| Das Ibiza-Video enthüllt, wohin Bündnisse neoliberaler und autoritärer | |
| Emporkömmlinge streben. Hält Straches Sturz diese Bewegung auf? | |
| Wahlkampf rechter Parteien in Mailand: Österreichs Krise dämpft die Laune | |
| Rechte Parteien schließen in Italien ihren EU-Wahlkampf ab. Das Treffen ist | |
| überschattet von Österreichs zurückgetretenem Vize Strache. | |
| Österreichs Kanzler Sebastian Kurz: Die Bräune eines Schnitzels | |
| Kurz ist in den Chor der Rechtspopulisten gegen den Brüsseler | |
| Regulierungswahn eingefallen. Was ihm dazu einfiel? Ziemlich altes Fett. | |
| Kolumne Flimmern und Rauschen: Vorauseilender Gehorsam | |
| Jan Böhmermann kritisiert im ORF die österreichische Regierung. Der Sender | |
| distanziert sich von seinen Äußerungen. | |
| Bedrohte Pressefreiheit in Österreich: Rechten-Feindbild Wolf | |
| Der österreichische TV-Moderator Armin Wolf wird von der rechten FPÖ | |
| angegriffen. Das ist mittlerweile mehr als bloße Rhetorik. |