| # taz.de -- Neuwahlen in Österreich: Aus der Alptraum | |
| > Die Ultrarechts-Koalition in Österreich ist kollabiert. Bundeskanzler | |
| > Sebastian Kurz versucht nun, sich als Retter aus der Krise zu | |
| > inszenieren. | |
| Bild: Am Samstag in Wien: Hakenkreuze fachgerecht entsorgen | |
| Wien taz | Und mit einem Mal fühlte es sich an, als wäre man aus einem | |
| Albtraum erwacht. Als am Samstag Abend Sebastian Kurz „genug ist genug“ | |
| sagte, die Koalition mit der rechtsextremen FPÖ für beendet erklärte und | |
| Neuwahlen ankündigte, ging das Treiben vor dem historischen Kanzleramt in | |
| Wien, in dem schon der 1848 gestürzte Fürst Metternich residierte, [1][in | |
| eine ausgelassene Party über]. | |
| „Ibiza, Ibiza“, riefen lachende Teenagergruppen. Später wurde zu Michael | |
| Jackson getanzt. Schon den ganzen Tag über hatten bis zu 10.000 Menschen | |
| den Regierungssitz belagert, während hinter den Gemäuern die | |
| Rechts-Ultrarechts-Koalition von Sebastian Kurz in einer unkontrollierten | |
| Kernschmelze kollabierte. | |
| Erwartet hatte das niemand. Seit Monaten regierte die Koalition stabil, war | |
| [2][trotz Eskapaden und rechtsradikaler „Einzelfälle“] – ein | |
| österreichischer Euphemismus für endlose Skandalabfolgen – im Umfragen | |
| unangefochten und spulte ihr Programm ab: Aufganselung der Bürger und | |
| Bürgerinnen, autoritärer Umbau des Staates, zunehmende Kontrolle über die | |
| Medien, Diskreditierung von Zivilgesellschaft und Opposition. | |
| Als nächstes hatte sie sich vorgenommen, [3][den öffentlich-rechtlichen | |
| Rundfunk] mit einem neuen ORF-Gesetz an die Kandare nehmen zu wollen. In | |
| all diesen Plänen gab es im Grunde keine Differenz zwischen Sebastian Kurz, | |
| dem rechtspopulistischen Kanzler, und der FPÖ, seinem extremistischen | |
| Koalitionspartner. Allenfalls im Stil unterschied man sich. Dass das noch | |
| länger so weiter geht, damit hatten die meisten fix gerechnet. Nein, | |
| korrekter: dass all das schleichend immer schlimmer wird. | |
| Und mit einem Male ist das alles vorbei. Seitdem am Freitag Abend, Punkt 18 | |
| Uhr, „Der Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ das [4][skandalöse V… | |
| aus dem Jahr 2017] veröffentlichten, in denen Vizekanzler und FPÖ-Chef | |
| Heinz-Christian Strache und sein Fraktionschef im Parlament, Johann | |
| Gudenus, einer vorgeblichen russischen Oligarchentochter versprachen, das | |
| halbe Land zu verscherbeln, wenn sie es schaffe, die mächtige | |
| „Kronen-Zeitung“ zu erwerben, baute sich eine Tsunami-Welle auf, die die | |
| Regierung innerhalb wenig mehr als 24 Stunden unter sich begrub. | |
| ## Gescheiterte Existenzen | |
| So skandalös und enthüllend dieses Video ist – die beiden gerieren sich | |
| teils wie besoffene Halbstarke, teils wie Zuhältertypen, teils wie | |
| gescheiterte Existenzen -, so ist das eigentlich Erhellende aber, dass man | |
| hier sieht, was man eigentlich weiß: sie sprechen unverschämt über all das, | |
| was seither ja passiert. Orbanisierung des Landes, der Staat als Beute. Im | |
| Grunde beschreiben sie nur in Pöbelsprache das, was die | |
| Kurz-Strache-Regierung in 17 Monaten so ähnlich abhakte. | |
| Was auf diesem Video zu hören ist, ist so ungeheuerlich, dass die Frage, | |
| wie es zustande kam, letztendlich weit zurück tritt. Dennoch ist das | |
| natürlich ein Thema, das alle interessiert. Das Video wurde wenige Monate | |
| vor der letzten Nationalratswahl aufgenommen. Wer immer es erstellte, hat | |
| viel Zeit und Geld investiert: eine offenkundige Schauspielerin wurde auf | |
| Oligarchin getrimmt, sie machte sich an Johann Gudenus heran, was sicher | |
| einige Wochen brauchte. Es wurde eine Villa auf Ibiza gemietet und mit | |
| Video- und Überwachungstechnologie ausgestattet. All das ist nicht mit ein | |
| paar zehntausend Euro zu finanzieren, zumal, wenn du den Lebensstil einer | |
| Milliardärin imitieren musst. Wer war's? | |
| Ein Geheimdienst, Politsöldner der politischen Konkurrenz, Leute, die auf | |
| eigene Rechnung agierten? Warum haben sie das Video dann nicht schon im | |
| Vorfeld der Nationalratswahl benutzt? Hinzu kommt: Diejenigen, die dieses | |
| Video produzierten müssen nicht identisch mit jenen sein, die es jetzt | |
| benutzten. Vielleicht wollte jemand den Wahlkampf 2017 beeinflussen, hat | |
| aber dann vorgezogen, das Zeug später an interessierte Stellen zu | |
| verkaufen. Im Wahlkampf 2017 haben sich genug zwielichtige Figuren sowohl | |
| im Umfeld der SPÖ als auch im Umfeld von Sebastian Kurz und seiner ÖVP | |
| bewegt, denen man ein Investment auf Halde und sogar auf eigene Rechnung | |
| zutrauen kann. | |
| ## Kommunikationstalent Kurz | |
| Klar ist: Mit dem Umbau des Landes [5][zu einem rechten, autoritärem Regime | |
| à la Orban] ist es jetzt vorbei. Die FPÖ wird lange nicht mehr in eine | |
| Regierung einziehen. Selbst ein Kollaps der Partei ist nicht völlig | |
| undenkbar. Vieles deutet darauf hin, dass sie binnen weniger Tage auch aus | |
| der Landesregierung des Burgenlandes fliegt (hier regiert sie mit der SPÖ). | |
| Dann gibt es noch eine ÖVP-FPÖ-Koalition in Oberösterreich. | |
| [6][Sebastian Kurz] wird, wenn er Kanzler bleibt, mit anderen Partnern | |
| regieren – sei es mit der SPÖ, sei es mit den Grünen, sei es mit den | |
| rechtsliberalen Neos. In solchen Konstellationen ist im schlimmsten Fall | |
| eine Art „Thatcherismus light“ möglich, aber kein weiterer autoritärer | |
| Totalumbau des Landes. Sebastian Kurz versucht jetzt, aus der Krise | |
| gestärkt hervor zu gehen. Er habe es mit der FPÖ versucht, er habe einen | |
| Plan, er habe vieles runter geschluckt, aber es habe sich erwiesen, dass | |
| mit dieser Partei eben nicht zu regieren ist – das war seine | |
| Kommunikationsstrategie, mit der er die Regierung kündigte und zugleich den | |
| Wahlkampf eröffnete. | |
| Gut möglich, dass das aufgeht, und Kurz sehr viele Wähler von der FPÖ | |
| gewinnt. Er ist schließlich ein Kommunikationstalent und geschickt darin, | |
| sich als Retter aus Krisen zu inszenieren, die er letztendlich selbst | |
| verursacht hat. | |
| ## Erfinder der „Ibizakoalition“ | |
| Aber welche Verheerungen eine solche Tsunamiwelle anrichtet, die gerade | |
| über dieser Regierung nieder geht, ist nie exakt vorauszusagen. Auch der | |
| Erfinder der „Ibizakoalition“ steht jetzt im Sturm: schließlich hat Kurz | |
| zwei Regierungskrisen inklusive Neuwahlen innerhalb von 24 Monaten zu | |
| verantworten, weshalb wohl auch der Ruf stärker werden wird, dass er selbst | |
| den Weg frei macht zu einem Neuanfang in der österreichischen Innenpolitik. | |
| Wie auch immer das ausgeht, eines ist klar: Das Schlimmste, was Österreich | |
| noch blühen kann, ist ein konservativer Kanzler mit liberalem oder linkem | |
| Koalitionspartner. Das Abenteuer „Rechtsextremismus und Niedertracht an der | |
| Macht“ hat das Land nach 17 Monaten überstanden – schneller, als das die | |
| unverbesserlichsten Optimisten erwartet hätten. | |
| 19 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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