# taz.de -- Regierungskrise in Österreich: Ich, ich, ich | |
> Bundeskanzler Sebastian Kurz strickt weiter an seiner Legende als großer | |
> Modernisierer. Ausflüge nach Rechtsaußen gehören zu seinem Profil. | |
Bild: Ein Rechtspopulist, dem kein demagogischer Kniff zu peinlich ist: Sebasti… | |
WIEN taz | „Ich glaube fest daran, dass es in unserem Land, wenn es | |
regierbar sein soll, klare Verhältnisse und somit auch einen klaren | |
Wählerauftrag für eine Person geben sollte, die das Land führen möchte.“ | |
[1][In seiner knapp siebenminütigen Erklärung] hat Bundeskanzler Sebastian | |
Kurz Samstagabend nicht weniger als 32 Mal das Wörtchen „ich“ in den Mund | |
genommen, nur etwa halb so oft sprach er von „wir“, und seine Partei, die | |
ÖVP, erwähnte er überhaupt nur ein einziges Mal: „Nur wenn die Volkspartei, | |
nur wenn wir nach der Wahl die Möglichkeit haben, auch wirklich eindeutig | |
den Ton anzugeben, dann können wir die Veränderungen, die wir begonnen | |
haben, auch zu Ende bringen.“ | |
Sebastian Kurz hat die ÖVP, die vor zwei Jahren in den Umfragen unter 20 | |
Prozent zu gleiten drohte, wieder zu einer politischen Kraft mit | |
Führungsanspruch gemacht. 31,5 Prozent fuhr er bei den Nationalratswahlen | |
2017 ein, seine persönlichen Popularitätswerte liegen bei 40 Prozent. Die | |
Partei liegt ihm deshalb zu Füßen und Kritik an seinen populistischen | |
Wendungen kommt höchstens von Stimmen aus dem politischen Ausgedinge. | |
Leute, wie der ehemalige EU-Agrarkommissar Franz Fischler oder der | |
Ex-Vizekanzler Erhard Busek haben keine Posten mehr zu verteidigen und | |
können sagen, was sie sich denken. | |
Der Erfolg des jüngsten Kanzlers der Republik (32) liegt darin, dass er der | |
FPÖ die Themen weggenommen hat und sie verträglicher verpackt. Die Message | |
Control, wir PR-Fachleute es nennen, funktioniert. Die Regierungsarbeit | |
wird mediengerecht verkauft, die Kontrolle über Fotos funktioniert, ebenso | |
die Themensetzung. | |
Meist ist Kurz im Ausland unterwegs und gibt den weltgewandten Staatsmann, | |
der mit Donald Trump, Wladimir Putin und Xi Jin-Ping auf Du und Du ist. | |
Wenn er sich aber einmal in die Niederungen der Innenpolitik begibt, lässt | |
er einen Rechtspopulisten erkennen, dem kein demagogischer Kniff zu | |
peinlich ist. Wie zuletzt die Forderung, Österreich solle sich von der EU | |
nicht vorschreiben lassen, wie Schnitzel und Pommes zu frittieren sind. | |
## Kurz setzt auf Sieg | |
Und selbst antisemitische Codes werden bedient. So durfte bei seiner | |
Beurteilung des Skandalvideos die Anspielung auf den für sein Dirty | |
Campaigning berüchtigten früheren Wahlkampfmanager der SPÖ, [2][Tal | |
Silberstein], nicht fehlen. Kurz fühlte sich an dessen Methoden erinnert. | |
Silberstein wurde in seinem Heimatland Israel wegen Korruptionsverdachts | |
vor Gericht gestellt und ist schon lange nicht mehr für die SPÖ tätig. | |
Dennoch taucht sein Name immer wieder auf, wenn einem Regierungsmitglied | |
eine Kritik der SPÖ missfällt. Die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak sieht | |
in den Kampfansagen gegen Silberstein bewusst gesetzte antisemitische | |
Botschaften, die eine bestimmte Wirkung erzielen sollen, die „bei einigen | |
Menschen, vor allem jenen mit historischem Wissen, große Irritationen | |
verursacht“. | |
Die Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl meint in einem | |
[3][Twitter-Thread], dass es legitim sei, Silberstein und dessen Methoden | |
zu kritisieren: „Aber der Punkt ist: es geht überhaupt nicht mehr darum, | |
was er persönlich getan hat. Er ist nur noch eine Chiffre für die ominöse | |
destruktive Kraft im Hintergrund der Sozialdemokratie.“ Und Sebastian Kurz, | |
der sonst nicht durch antisemitische Äußerungen auffällt, bedient – bewusst | |
oder unbewusst – diese Chiffre. | |
Der letzte Teil seines Statements, nach dem Kurz keine Fragen beantworten | |
wollte, war bereits eine Wahlkampfrede, in der er um die Stimmen all jener | |
warb, die zuletzt die FPÖ, die Grünen oder die Neos gewählt hatten. Denn | |
nur mit einem starken Mandat könne er seine erfolgreiche Politik | |
fortsetzen, also den neokonservativen Umbau der Republik vollenden. | |
## Nach der Selbstzerfleischung von 27 auf 42 Prozent | |
Kurz will offenbar das Kunststück von Wolfgang Schüssel wiederholen, der | |
die ÖVP nach der Selbstzerfleischung der FPÖ durch interne Konflikte von 27 | |
auf 42 Prozent hievte. Schüssel konnte sich dann seinen Koalitionspartner | |
aussuchen, verhandelte längere Zeit mit den Grünen und nahm dann doch | |
wieder die FPÖ, die besonders billig zu haben war. | |
Ob Kurz im kommenden Herbst auch mehrere Optionen haben wird, hängt von der | |
Mobilisierungskraft der anderen Parteien ab und ob er selbst unbeschädigt | |
aus dem nach Meinung der Opposition selbst verschuldeten Debakel | |
hervorgeht. | |
20 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Strache-Ruecktritt-in-Oesterreich/!5596355 | |
[2] /Berater-von-Oesterreichs-Kanzler-in-Haft/!5434122 | |
[3] https://twitter.com/Natascha_Strobl/status/1129817678057824256 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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