Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Form demokratisch, Gehalt illiberal
> Der Rechtspopulismus betreibt eine „Faschisierung“ neuen Stils. Parteien
> wie die AfD verfolgen eine Politik des „autoritären
> Nationalradikalismus“.
Bild: Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer plädiert für den Begriff „autoritäre…
Bei allem Ärger spricht denn doch wenig dafür, den europäischen, nein den
weltweit zu beobachtenden Rechtsruck als Faschisierung zu bezeichnen,
entspricht er doch den klassischen Eigenschaften der historischen
Faschismen nicht: Weder sind charismatische Führergestalten und
Massenaufmärsche zu beobachten, noch zeigt sich, dass die reaktionärsten
Kräfte des Finanzkapitals antidemokratische Bewegungen offen oder auch nur
verdeckt unterstützen. Denn: Wenn das global agierende, neoliberal
gestimmte Kapital etwas nicht benötigt, sind es geschlossene Grenzen
vermeintlicher Vaterländer.
Tatsächlich tritt derzeit das, was verharmlosend als „Rechtspopulismus“
bezeichnet wird, als demokratischer Verteidiger des christlichen
Abendlandes, der westlichen Werte auf. Etwa im Falle Ungarns, das bei
dieser Entwicklung eine Vorreiterrolle gespielt hat und weiterhin spielt.
Ungarns Premier Orbán propagiert selbstbewusst die illiberale Demokratie.
So beschwört die im April 2011 neu beschlossene ungarische Verfassung in
ihrer Präambel die christliche Nation und die Stefanskrone weit vor der
Würde des Menschen.
In Ländern des globalen Südens, wo von einem christlichen Abendland im
engeren Sinn nicht zu sprechen ist, sind es oft genug evangelikale
Christen, die in Diktion und Auftreten autoritäre Politiker unterstützen:
Etwa die Unterstützung des rechtsradikalen Präsidenten Brasiliens,
Bolsonaro, durch evangelikale Sekten.
## Volkstümlicher Mehrheitswille
Worum es heute geht, ist eine Aufhebung liberaler Strukturen unter
Beibehaltung der formalen Kriterien liberaler Demokratien. Indem diese
Rechte darauf verzichtet, offen für diktatoriale Regierungsformen
einzutreten und anstatt dessen – unter ausdrücklichem Verzicht auf
Grundrechte und Gewaltenteilung – für einen volkstümlichen Mehrheitswillen
eintritt, ist sie derzeit dabei, in Ländern der Europäischen Union zu einem
wesentlichen Einfluss-, wenn nicht Machtfaktor zu werden. Davon zeugen
nicht nur die parlamentarischen Mehrheiten in Ungarn und Polen, sondern
auch der noch immer und trotz Macron wachsende Zuspruch, den in Frankreich
der Front National unter Marine Le Pen gewinnt.
Aber welcher Art sind diese Bewegungen? Ist „Rechtspopulismus“ wirklich der
richtige Begriff, ein Konzept, das vor allem die Unterscheidung von
„korrupten“ Eliten und „genasführtem Volk“ bemüht und doch mehr verde…
als erleuchtet? Daher plädiert Wilhelm Heitmeyer, der den Begriff der
„gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ geprägt hat, in seinem Buch
„Autoritäre Versuchungen“ bei diesen politischen Bewegungen und Parteien
für den Begriff „autoritärer Nationalradikalismus“.
Die AfD etwa sei „autoritär“, weil sie rigide Führung wolle, „national�…
weil sie ungebrochen die Zugehörigkeit zum ethnisch verstandenen deutschen
Volk ins Zentrum aller Politik stelle und schließlich die liberale Ordnung
„grundlegend umbauen wolle“ – wie in Ungarn und Polen. Mit alledem wird
„Deutschsein“ zur Schlüsselkategorie der Politik, ohne deshalb im
klassischen Sinne faschistisch zu sein – sieht man davon ab, dass die
„Gewaltmembranen“, so Heitmeyer, dieser Politik zum gewalttätigen
Rechtsextremismus außerordentlich dünn sind und – siehe Chemnitz – leicht
reißen.
Es handelt sich bei dem, was bisher als „Rechtspopulismus“ bezeichnet
wurde, um eine – wenn man so will – „Faschisierung“ neuen Stils:
demokratisch in der Form, illiberal im Gehalt. Das übrigens war zunächst
auch Programm des bedeutenden Staatsrechtlers Carl Schmitt, der für
plebiszitäre Demokratie und damit für die Willenseinheit von gewähltem
Führer und Wahlvolk plädierte, bevor er zum willfährigen Werkzeug der Nazis
wurde.
Diesem Programm der Einheit des unter starker Führung stehenden Volkes
gegen den Rest der Welt („America First“) dürfte ein tiefsitzendes Gefühl
unter den Wählerinnen und Wählern entsprechender Parteien entsprechen –
„wir“ und „sie“ – das Eigene hier, das Fremde dort: Diese
Grundunterscheidung markiert zudem genau das, was heute Rassismus ist und
„im autoritären Nationalradikalismus seinen zeitgemäßen Ausdruck gefunden
hat“.
4 Jun 2019
## AUTOREN
Micha Brumlik
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Wilhelm Heitmeyer
Faschismus
Rechtspopulismus
Micha Brumlik
Antisemitismus
Carlo Strenger
Heinz-Christian Strache
Sebastian Kurz
Schwerpunkt Grundgesetz
Verfassungspatriotismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ende der Kolumne Gott und die Welt: Zeit, zu kämpfen
Zehn Jahre schreiben für die taz: Unser Autor blickt zurück auf seine Zeit
als Schöpfer der Kolumne „Gott und die Welt“.
Nachruf auf Carlo Strenger: Stimme der aufgeklärten Vernunft
Verteidiger der Freiheit: Zum Tod des großen Psychoanalytikers und
Globalisierungstheoretikers Carlo Strenger.
Kolumne Knapp überm Boulevard: Rohheit mit der feinen Klinge
Nach dem Skandal um HC Straches Ibiza-Video inszeniert der österreichische
Kanzler Kurz den Schulterschluss mit dem empörten Publikum.
Regierungskrise in Österreich: Ich, ich, ich
Bundeskanzler Sebastian Kurz strickt weiter an seiner Legende als großer
Modernisierer. Ausflüge nach Rechtsaußen gehören zu seinem Profil.
Kolumne Gott und die Welt: In anderer Verfassung
Kann es einen europäischen Verfassungspatriotismus in Deutschland geben?
Überlegungen anlässlich dreier wichtiger Daten im Mai.
Kolumne Gott und die Welt: Nationalisten? Verfassungspatrioten!
Sind Militärrabiner in der Bundeswehr ein Rückschritt? Nein, was der
Zentralrat der Juden in Deutschland fordert, ist im Sinne des
Grundgesetzes.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.