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# taz.de -- Nachruf auf Carlo Strenger: Stimme der aufgeklärten Vernunft
> Verteidiger der Freiheit: Zum Tod des großen Psychoanalytikers und
> Globalisierungstheoretikers Carlo Strenger.
Bild: Der Psychoanalytiker der liberalen globalisierten Moderne: Carlo Strenger
Seine Stimme – eine Stimme der aufgeklärten Vernunft – wird in der
gegenwärtigen Situation der israelischen Gesellschaft und der
globalisierten Welt fehlen, sein Tod – [1][Carlo Strenger] starb, ohne zu
leiden, am 25. Oktober – eine schmerzhafte Lücke hinterlassen. Als Sohn
einer orthodox-jüdischen Familie 1958 in Basel geboren, wanderte er als
junger Mann, inzwischen zum säkularen Atheisten geworden, nach Israel aus,
um dort zu studieren und schließlich eine Professur an der Universität Tel
Aviv wahrzunehmen.
Strenger verband in seinem wissenschaftlichen Werk und als Intellektueller
so unterschiedliche Traditionen wie die Psychoanalyse und eine Theorie der
Globalisierung mit dem Erbe der europäischen Aufklärung, die er gegen jede
Form des postkolonialen Kulturrelativismus verteidigte.
Dabei war er keinem Streit abgeneigt – freilich mit einem entscheidenden
Akzent, ging es ihm dabei doch stets um etwas Paradoxes, um „die Fähigkeit,
zu verachten, ohne zu hassen oder zu dehumanisieren“. So der Grundtenor
seines 2015 publizierten Buches „Zivilisierte Verachtung. Eine Anleitung
zur Verteidigung unserer Freiheit“. Darüber wäre trefflich zu streiten:
Lässt sich wirklich die Meinung einer Person verachten, die Person selbst
aber achten? Achten – nicht nur tolerieren!
Für die hierzulande neu anschwellende Debatte um „Israelkritik“
beziehungsweise „israelbezogenen Antisemitismus“ ist sein 2011 auf Deutsch
publiziertes Buch „Israel: Einführung in ein schwieriges Land“ nach wie vor
unerlässlich; nicht zuletzt, weil dieses Buch klarmacht, wie komplex die
gesellschaftliche Lage in diesem Land, das längst nicht mehr von einer
aufgeklärten Bürgerlichkeit geprägt ist, tatsächlich ist.
Strenger, ursprünglich Befürworter einer Zweistaatenlösung, zweifelte in
den letzten Jahren – angesichts der durch die israelische
Siedlungstätigkeit geschaffenen „facts on the ground“ – zunehmend an der
Möglichkeit ihrer Verwirklichung. So verwundert es nicht, dass in seiner
letzten in Deutschland erschienenen Publikation nicht mehr nur Israel,
sondern die Welt im Ganzen zum Thema wird.
## Erforschung negativer Gefühle
In seinem noch 2019 erschienenen Großessay „Diese verdammten liberalen
Eliten. Wer sie sind und warum wir sie brauchen“ geht er dem Leben und der
Haltung der globalistischen, kosmopolitischen „Anywheres“ nach, die von den
zunehmend rechtspopulistisch gestimmten „Nowheres“ verachtet und gehasst
werden.
Negative Gefühle waren neben wissenschaftlicher Forschung Strengers zweites
Arbeitsfeld: Als praktizierender, tiefenpsychologisch vorgehender
Psychotherapeut sah er sich weniger der orthodoxen, freudianischen Theorie
denn dem Konzept der „Daseinsanalyse“ verpflichtet, die er freilich durch
ein offenes Aufnehmen soziologischer und politologischer Einsichten
ergänzte.
Diesem viel zu früh gestorbenen jüdischen Intellektuellen lässt sich nur
ein hebräischer Wunsch nachrufen: „Sikhrono le Brakha“: Möge seine
Erinnerung zum Segen werden!
27 Oct 2019
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## AUTOREN
Micha Brumlik
## TAGS
Carlo Strenger
Psychoanalyse
Israel
Globalisierung
Jürgen Habermas
Schwerpunkt AfD
Boykott
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