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# taz.de -- Demo in Wien nach Strache-Video: Happy Ibiza Day
> Österreich erfährt, dass Regierungsmitglieder ihr Land für Parteispenden
> an russische Oligarchen verscherbeln würden. Was macht man da – als Volk?
Bild: Nicht Ibiza, sondern der Ballhausplatz in Wien
Wien taz | Was ist eigentlich diese Demokratie, diese Macht des Volkes? Ein
Pappschild? „Kurz Schluss“ steht da so drauf, mit weißer Tusche auf Pappe
gemalt. Doofer Witz. Wer sich daran vorbeidrängt, erfreut sich über den
Witz mit dem Namen des österreichischen Kanzlers. Das passiert oft.
Die Macht des Volkes, sind das viele Pappschilder? „Wirkliche Patrioten
verkaufen die Krone an österreichische Oligarchen“; „Glock you know?“;
„Nein“
Das österreichische Volk ist an diesem Samstag auf den Wiener Ballhausplatz
gezogen, um über Demokratie zu reden, vielleicht auch zu streiten, zu
toben, so genau weiß das noch niemand. Es sind erst Stunden vergangen, seit
dieses Video auftaucht, das den kleineren Koalitionspartner der Regierung
diskreditiert. Hans-Christian Strache ist darauf zu sehen, der als junger
Mann mal Neonazi war, zum Zeitpunkt der Videoaufnahme aber schon Politiker
der Freiheitlichen Partei Österreichs, FPÖ. Mit ihm dabei: Johann Gudenus
aus seiner Partei. Der wiederum nutzt auch schon mal nationalsozialistische
Begriffe wie „Umvolkung“ und reist auf die Krim.
In dem Video sitzen die beiden Männer in einer Villa auf Ibiza und
versprechen einer russischen Oligarchin Deals, mit denen sie sich in
Österreich einkaufen kann, wenn sie nur ihrer Partei, der FPÖ, Geld spende.
Infrastruktur, Medien, alles möglich. Das war 2017.
## Eine „b'soffene Geschichte“
Heute stellt sich heraus: Die Frau war gar keine Oligarchin sondern ein
Lockvogel. Dafür ist Strache heute Vize-Kanzler, Gudenus Klubobmann, also
Fraktionsvorsitzender. Und weil sich das falsch anfühlt, stehen diese
Menschen hier. Sie sind dem Kanzleramt zugewandt, würde Regierungschef
Sebastian Kurz ans Fenster treten, könnte er zum Volk hinabschauen. Oder
herüber zur Hofburg, zur alten Kaiserresidenz, die dem Volke im Rücken
steht. Seine Vorhänge sind zugezogen.
Was bisher geschehen ist:
Freitag, 18 Uhr: Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung und der Falter
veröffentlichen das Video.
Samstag, 10.16 Uhr: Ein Sprecher des Kanzleramtes schickt eine SMS. Darin
der Text einer Nachrichtenagentur, Strache werde 11 Uhr beim Kanzler
eintreffen, der Kanzler sich später erklären. Aber das sagt die
Nachrichtenagentur und nicht der Sprecher.
Samstag, Vormittag: Journalisten berichten aus Kreisen der Kanzler-Partei,
es solle Neuwahlen geben. Oder doch nicht?
Samstag, 12.24 Uhr: Der Ballhausplatz ist gut gefüllt. Die Menschen stehen
in Grüppchen, gebeugt, die Ohren einander zugewandt. Selten ist eine Menge
so still. Nur einer murmelt. Hans-Christian Strache, aus den Lautsprechern
der Telefone heraus. Er ist der erste Volksvertreter an diesem Tag, der
sagt, dass er zurücktreten wird.
Er sagt: „Ja, es war eine b'soffene Geschichte.“
„Es war ein typisch alkoholbedingtes Macho-Gehabe.“
„Der einzige strafrechtliche Verstoß, der vorliegt, ist diese
geheimdienstlich inszeniert Lockfalle mit illegalen Aufzeichnung.“
„Wir wollen das Regierungsprogramm ja weiter umsetzen. Meine Person darf
aber nicht der Grund dafür sein, das zu verunmöglichen und vielleicht einen
Vorwand zu liefern, diese Regierung zu sprengen, denn das war das Ziel
dieser rechtswidrig angelegten akkordierten Schmutzkübelaktion.“
## Es tauchen weitere Videos auf
Jubel bricht aus, richtiger Jubel, echte Freude über einen politischen Akt.
Ist das Demokratie? Eine Kutsche spaltet die Jubelnden und fährt durch die
Menge hindurch.
Es tauchen noch mehr Videos auf, auf Twitter über einen Account verbreitet,
der erst am Freitagabend angelegt wurde. Dieses Mal sind es Gerüchte, die
die FPÖ-Männer streuen, über Bundeskanzler Sebastian Kurz, über Sexparties.
Johann Gudenus reicht schriftlich seinen Rücktritt ein.
Und Bundeskanzler Sebastian Kurz? Der muss zu diesem Zeitpunkt noch
nachdenken.
Die Enthüllung trifft das Land nicht ohne Vorwarnung. Schon im April hatte
Jan Böhmermann auf einer Preisverleihung einen Witz darüber gemacht,
Strache und Gudenus hätten es wissen können. Einen Tag vor der
Veröffentlichung hatten die Journalisten um Stellung gebeten. Auch das wäre
eine Gelegenheit gewesen, um den Fall offenzulegen. Und dann fragten auch
noch die Parlamentarier in dieser Woche Sebastian Kurz: Was weiß er über
Versuche Russlands, den EU-Wahlkampf zu beeinflussen? Die FPÖ ist doch gut
befreundet mit Putin, und dann soll es keine Versuche der Einflussnahme
geben? Nimmt auch seine Partei, die Österreichische Volkspartei ÖVP,
Spenden von dort an? Sebastian Kurz antwortete nicht.
Wo ist eigentlich die Opposition?
Strache schlug im Video den russischen Gesprächsprtnern vor, das
einflussreichste Boulevardblatt des Landes, die Kronen-Zeitung zu kaufen.
„Zack, zack, zack“, sagte er. Die FPÖ versucht ständig, Pressefreiheit
einzuschränken, das Land ist auf dem weltweiten Ranking von Reporter ohne
Grenzen erst kürzlich von Platz 11 auf Platz 16 abgerutscht. Ein
FPÖ-Funktionär aus dem Stiftungsrat des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks
sagte daraufhin: „Im Fußball wäre ich froh, wenn wir nur auf Platz 16
zurückfallen.“ Pressefreiheit ist ein Menschenrecht – und manchen in der
FPÖ scheinbar nicht so wichtig.
Die Presse wiederum arbeitet sich an den Skandalen ab, allein in dieser
Woche waren das: Ein Leak, das Passwörter der Sozialdemokraten
veröffentlichte, anscheinend von jemandem aus der Partei heraus. Die
Erkenntnis, das die Polizei beim Chef der Identitären höflich klopfte, als
sie seine Wohnung wegen seinen Verbindungen zum Christchurch-Terroristen
untersuchen wollte, und ganze zwölf Minuten wartete, bis er die Tür
öffnete. Das Verbot, an Grundschulen Kopftücher zu tragen.
Wie soll man sich da noch empören?
Mit roten Trillerpfeifen. Einer Trommelgruppe, die diesen Demo-Rhythmus
trommelt. Oder einem Buch, das den Titel „Haltung“ trägt.
Mark Vollmann hält es in die Höhe. Acht Stunden lang, wird er am Abend
zusammenzählen, weil er Sorge hat, dass der Herr Kurz, er sagt wirklich
„der Herr Kurz“, auch noch von der Situation profitieren werde. Dabei sei
dieser Tag doch nur die logische Konsequenz dessen, was der Herr Kurz vor
zwei Jahren losgetreten hat.
Damals, als Kurz in seiner ÖVP wegdrängte, wer immer auch ihm im Weg stand.
Den Ex-Parteichef zum Beispiel, der inzwischen ein Buch geschrieben hat,
das „Haltung“ heißt und das Mark Vollmann nun in die Höhe hält, obwohl er
die ÖVP nicht einmal wählt. Mark Vollmann steht da im Trenchcoat und mit
Aktentasche, er wirkt aufgeregt, beschwingt, wie viele hier auf dem Platz.
Gibt es ein Wort, das den Tag beschreibt? „Fassungslosigkeit“. Später sagt
er auch „kafkaesk“.
Vielleicht beschreibt das diesen Zwischenmoment: kafkaesk-beschwingte
Fassungslosigkeit.
## Über dem Volk kreist ein Polizeihubschrauber
Sebastian Kurz denkt bis 19.45 Uhr nach. Dann tritt er vor die Presse. Über
dem Volk kreist jetzt ein Polizeihubschrauber. Ein Grauhaariger ist auf dem
Weg in das berühmte Burgtheater. Er bleibt stehen, als er einen
Demonstranten sieht mit diesem Sticker. „Wien hasst die ÖVP“ steht darauf.
„Siehst du“, sagt der Grauhaarige zu seiner Grauhaarigen, „das hat
Eskalationspotential. Die Polizei hat jetzt Angst, dass das auch auf das
Kanzleramt geht.“
Aber sollte es nicht auch auf das ÖVP-Kanzleramt gehen und nicht nur auf
die FPÖ? Gehören nicht auch zu einer Regierung der Skandale zwei
Koalitionsparteien?
Sebastian Kurz sagt: „Wir haben in den letzten zwei Jahren inhaltlich genau
das umgesetzt, was wir im Wahlkampf versprochen haben.“ Weiter: „Und ich
möchte heute trotz aller Vorkommnisse ganz aufrichtig allen
Regierungsmitgliedern für diese Umsetzungsarbeit danken“ Schließlich: „Und
trotzdem: Genug ist genug.“ Dann bricht die Liveübertragung auf den
Smartphones ab. Es ist wie Silvester. Ist schon Mitternacht? Und jetzt?
## „Niiiiiiiie mehr, niiiiie mehr FPÖ!“
Jubel, Konfetti dort, wo das Internet noch funktioniert. Der Kanzler hat
Neuwahlen zum schnellstmöglichen Zeitpunkt verkündet. „Echt jetzt?“,
dringen Gesprächsfetzen aus der Menge. „Das hätte ich nicht gedacht.“ „…
sagt er? Neuwahlen?“ So geht das minutenlang.
Demokratie ist an diesem Tag: Selfies in Siegerpose, High-Five-Gesten,
Sprechchöre, die erst klingen wie minderjährigen Fußballfans nach dem
ersten Dosenbier und später dann den ganzen Ballhausplatz übertönen wie im
Festgesang. „Niiiiiiiie mehr, niiiiie mehr FPÖ!“
Oder ist das die Ohnmacht des Volkes?
Eine Frau mit bekanntem Gesicht kommt auf den Platz. In Deutschland ist sie
Köchin, in Österreich Spitzenkandidatin der Grünen für die Europa-Wahl,
Sarah Wiener. Sie erzählt vom Friedensfest und der Europaveranstaltung, die
sie heute besucht hat. Vom Klimawandel, Artenvielfalt, Massentierhaltung,
all diesen riesigen Themen, wegen denen es sie in die Politik zieht, wenn
alles gut geht, und so sehen die Umfragen zur Europawahl aus.
Doch die wirkt unendlich fern. Auf dem Ballhausplatz geht es um morgen und
heute und auf den Asphalt vor dem Kanzleramt hat jemand mit weißer Kreide
geschrieben: „Happy Ibiza Day“.
19 May 2019
## AUTOREN
Christina Schmidt
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