# taz.de -- Maßnahmen gegen Racial Profiling: Herantasten an den Rassismus | |
> In Berlin setzt der Senat Maßnahmen gegen rassistische Kontrollen nicht | |
> um. Die Grünen wollen nun eine Studie zu Racial Profiling, die SPD nicht. | |
Bild: Am Görli kontrolliert die Polizei verdachtsunabhängig – zum Leidwesen… | |
Im Koalitionspoker um eine Reform des Polizeigesetzes haben die Grünen den | |
Wetteinsatz erhöht: Die Abgeordneten Sebastian Walter und Benedikt Lux, | |
Sprecher für Antidiskriminierungs- und Innenpolitik, legten kürzlich einen | |
Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Racial Profiling bei der Polizei vor. Der | |
taz sagte Walter: „Während SPD und Innenverwaltung beim Polizeigesetz die | |
Daumenschrauben anziehen, wollen wir die Bürgerrechte stärken.“ | |
Eigentlich gibt es zum Thema rassistische Polizeikontrollen feste | |
Verabredungen im Koalitionsvertrag. Die sehen unter anderem vor, einen | |
umstrittenen Passus im Polizeigesetz, offiziell Allgemeines Sicherheits- | |
und Ordnungsgesetz (Asog), zu streichen. Der Abschnitt im Paragraf 21 | |
erlaubt der Polizei, an kriminalitätsbelasteten Orten Menschen zu | |
kontrollieren, weil sie möglicherweise gegen das Aufenthaltsrecht | |
verstoßen. Ebendieser Passus steht bei Kritikern besonders im Verdacht, | |
rassistischen Kontrollen Vorschub zu leisten. | |
Doch diesen schlichten Federstrich hat Rot-Rot-Grün nach zweieinhalb Jahren | |
Regierungszeit noch nicht hinbekommen. Als Bremser erweist sich – wie beim | |
ebenfalls in der Koalition verabredeten unabhängigen Polizeibeauftragten – | |
die SPD. Sie verknüpft die Umsetzung an weitere (nicht vereinbarte) | |
Veränderungen des Asog. Erst vor einigen Tagen legte die SPD ihren | |
Gesetzentwurf vor, der zwar die Aufhebung des oben genannten Passus | |
beinhaltet, aber der Polizei auch neue, teils weitreichende Befugnisse gibt | |
([1][taz berichtete]). | |
Um etwas zum Pokern in der Hand zu halten, haben die Grünen nun ihrerseits | |
weitergehende Forderungen zur Bekämpfung von Racial Profiling formuliert. | |
Den fraglichen Abschnitt im Asog zu streichen reicht ihnen nicht mehr. „Wir | |
haben mit Betroffenen-Initiativen geredet und das Gefühl gewonnen, dass man | |
weiter gehen muss“, so Walter. | |
## Mit Quittungen gegen rassistische Kontrollen | |
Eine wichtige Maßnahme könnte ihrer Ansicht nach zum Beispiel sein, beim | |
künftigen Polizeibeauftragten eine unabhängige Stelle für | |
Diskriminierungsfälle einzurichten, an die sich von Racial Profiling | |
betroffene BürgerInnen wenden können. „Außerdem sollte der | |
Polizeibeauftragte ein Community-Policing-Konzept entwickeln, damit sich | |
eine Vertrauensbasis entwickelt zwischen Polizei und potenziell von Racial | |
Profiling betroffenen Communitys“, erklärt Walter. „Das würde auch die | |
Polizeiarbeit erleichtern.“ | |
Eine weitere Forderung der Grünen: Mit einer unabhängigen | |
wissenschaftlichen Studie soll überprüft werden, ob und wie Racial | |
Profiling bei verdachtsunabhängigen Kontrollen an kriminalitätsbelasteten | |
Orten vorkommt. Das Asog erlaubt der Polizei an solchen Orten, die sie | |
selbst festlegen kann, jedermann/-frau, also verdachtsunabhängig, zu | |
kontrollieren. | |
Für Initiativen wie die „Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt“ | |
(KOP Berlin) begünstigt schon die schiere Existenz solcher Orte eine | |
polizeiliche Willkür gegenüber bestimmten Personengruppen, etwa People of | |
Colour. Sie fordern daher seit Jahren die komplette Abschaffung der | |
Kategorie kriminalitätsbelasteter Orte – was in der Koalition allerdings | |
nicht zur Debatte steht. | |
Derzeit gibt es sieben solcher Orte in Berlin, darunter Alexanderplatz, | |
Kottbusser Tor und Warschauer Brücke. Die Neuerung unter Rot-Rot-Grün war, | |
dass die Polizei diese Orte nun immerhin öffentlich macht. „Die Studie soll | |
auch untersuchen, ob solche verdachtsunabhängigen Kontrollen überhaupt | |
einen polizeilichen Nutzen haben“, erklärt Walter. Zudem wolle man dort ein | |
„Ticketsystem“ erproben: „Schwarze BerlinerInnen, die in der Nähe solcher | |
Orte leben, werden oft kontrolliert, können das aber nicht beweisen“, sagt | |
der Grüne. Wenn sie Quittungen bekämen, wäre der Nachweis rassistischer | |
Kontrollen leichter. | |
Die SPD-geführte Innenverwaltung zeigt sich nicht sonderlich begeistert von | |
den Vorschlägen. Eine Studie zu Racial Profiling, erklärt Sprecher Martin | |
Pallgen auf taz-Anfrage, halte man „derzeit für nicht erforderlich“, da das | |
Thema bereits Gegenstand zweier Studien gewesen sei. Allerdings ging es in | |
beiden Untersuchungen laut Pallgen nicht explizit um Racial Profiling in | |
der praktischen Polizeiarbeit, sondern allgemein um den „Umgang mit | |
Vielfalt und ihren jeweiligen Dimensionen“ beziehungsweise „Auswirkungen | |
von Zuwanderung“. | |
Dringlich ist das Thema für die Innenverwaltung ohnehin nicht. „Ein | |
strukturelles Problem der Polizei Berlin mit Blick auf Diskriminierung | |
durch die Polizei sehen wir nicht“, erklärt Pallgen – auch wenn es | |
„Einzelfälle von individuellem Fehlverhalten von Polizeikräften im Sinne | |
eines Racial Profiling geben mag“. | |
## Tägliche Kontrollen und Resignation | |
Auch ein Sprecher der Polizei, Thilo Cablitz, erklärt auf taz-Anfrage, | |
seine KollegInnen praktizierten grundsätzlich kein Racial Profiling – auch | |
wenn es im Einzelfall so aussehen könne, als würde ein Mensch aufgrund | |
seiner Hautfarbe willkürlich kontrolliert. „Die Hautfarbe ist kein | |
zentrales Element für Ermittlungen.“ | |
Wenn man etwa im Görlitzer Park verdachtsunabhängig kontrolliere, würden | |
zumeist mehrere Indizien zusammengeführt, um Verdächtige zu identifizieren | |
– etwa klandestines Verhalten, eine Person, die abgesetzt von einer anderen | |
Gruppe Schmiere steht und diese warnt. „Körperliche Merkmale wie zum | |
Beispiel Körpergröße, Statur, aber auch die Hautfarbe dienen grundsätzlich | |
der Täterbeschreibung und damit einem möglichst schnellen Ergreifen“, so | |
Cablitz. | |
Biplab Basu von KOP hält dies für eine Scheinargumentation. „Niemand wird | |
verdachtsunabhängig kontrolliert wegen seiner Körpergröße, das gibt es nur | |
bei der Hautfarbe.“ Seine Organisation bekomme mindestens eine Beschwerde | |
pro Woche von nichtweißen Menschen, die ohne erkennbaren Anlass von der | |
Polizei kontrolliert würden. | |
Viele beschwerten sich erst gar nicht, weil sie schon resigniert hätten. | |
Bei einer Veranstaltung in der Kreuzberger Düttmann-Siedlung an der | |
Urbanstraße habe ihm kürzlich ein Sozialarbeiter erzählt, die | |
arabisch-türkischen Jugendlichen dort würden täglich kontrolliert, so Basu. | |
„Die Polizei soll also nicht ständig mauern. Jeder weiß, dass es Racial | |
Profiling gibt.“ | |
5 Mar 2019 | |
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[1] /Polizeigesetz-in-Berlin/!5572298 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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