# taz.de -- Racial Profiling in Berlin: Alexanderplatz abschaffen | |
> Die Polizei darf an „kriminalitätsbelasteten Orten“ verdachtsunabhängig | |
> kontrollieren. Ein Rechtsgutachten hält das für unrechtmäßig. | |
Bild: Dürfen hier verdachtsunabhängig kontrollieren: Polizist*innen am Alex | |
BERLIN taz | Die Abschaffung von Sonderrechtszonen für die Polizei fordert | |
die Berliner Kampagne „Ban! Racial Profiling“. Ein am Montag | |
veröffentlichtes Rechtsgutachten der zivilgesellschaftlichen Initiative | |
kommt zu dem Schluss, dass die polizeiliche Definition und Ausweisung | |
sogenannter kriminalitätsbelasteter Orte rechtlich auf wackligen Füßen | |
stehen. Laut Gutachten bestehen „ernsthafte Zweifel an der | |
Verfassungsmäßigkeit“ der entsprechenden Abschnitte des Berliner | |
Polizeigesetzes (ASOG). Die Regelung verletze unter anderem die | |
informationelle Selbstbestimmung, also das Recht, selbst über persönliche | |
Informationen zu bestimmen, und das Diskriminierungsverbot. | |
In Berlin darf die Polizei an selbst definierten „kriminalitätsbelasteten | |
Orten“ wie Alexanderplatz, Kottbusser Damm oder Görlitzer Park bisher | |
anlasslos und verdachtsunabhängig Personen kontrollieren. Die Regelung | |
zieht aus Sicht des Bündnisses [1][zwangsläufig Racial Profiling, also | |
rassistische Polizeiarbeit], nach sich. | |
Im Koalitionsvertrag hat Rot-Rot-Grün zwar vereinbart, rassistische | |
Kontrollen einzudämmen und bestimmte Paragrafen zu streichen – passiert ist | |
seither allerdings noch nichts. Die Grünen sind [2][gegen | |
verdachtsunabhängige Kontrollen] und haben kürzlich vorgeschlagen, [3][eine | |
Art Ticketsystem einzuführen], mit dem Betroffene übermäßige Kontrollen | |
nachweisen können sollen. Die Linke ist sogar ganz für die Abschaffung der | |
Sonderrechtszonen und bemängelt, dass entsprechende Forderungen der SPD in | |
Verhandlungen um das neue Polizeigesetz gebremst würden. Die SPD sprach | |
sich gegenüber der taz allerdings für die Beibehaltung der | |
verdachtsunabhängigen Polizeibefugnisse an „kriminalitätsbelasteten Orten“ | |
aus. | |
Unterdessen „berichten Schwarze und Menschen mit Migrationshintergrund von | |
häufigen Kontrollen an diesen Orten aufgrund rassistischer Zuschreiben“, | |
sagt Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt. | |
Man habe das Gutachten beauftragt, weil es noch immer weder Dokumentation | |
von Identitätsfeststellungen noch einen Klageweg gegen Racial Profiling | |
gebe. Finanziert hat das Gutachten die sich als [4][ethisches Unternehmen | |
vermarktende Kosmetikfirma Lush]. | |
## Rassismus gesetzlich festgeschrieben | |
Die Knackpunkte liegen laut Gutachten [5][im Paragraf 21 des Berliner | |
Polizeigesetzes (ASOG)]. Problematisch, so Rechtsanwältin Maren Burkhardt | |
und Rechtswissenschaftler Cengiz Barskanmaz vom Max-Planck-Institut, seien | |
insbesondere eine intransparente Definition der „kriminalitätsbelasteten | |
Orte“ und dass die Polizei laut ASOG dafür auch aufenthaltsrechtliche | |
Kriterien heranziehen könne – damit seien Kontrollen anhand äußerlicher | |
Merkmale gesetzlich festgeschrieben. | |
„Die anlasslose Kontrolle ist ein juristischer Fremdkörper, deren | |
faktischer Nutzen wenig erwiesen ist“, sagt Burkhardt, die angibt, als im | |
Strafrecht tätige Rechtsanwältin sehr häufig mit Racial Profiling in | |
Kontakt gekommen zu sein. Nur wenige Betroffene gingen gegen konkrete | |
Maßnahmen vor, weil anlasslose Kontrollen nicht dokumentiert würden und | |
Racial Profiling häufig vor Gericht schwer beweisbar sei – zumal der | |
Rechtsweg teuer sei. | |
Besonders problematisch ist aus ihrer Sicht, dass Betroffene von Racial | |
Profiling nicht grundsätzlich gegen eine Einstufung von | |
kriminalitätsbelasteten Orten klagen können. Die Sonderrechtszonen der | |
Polizei verstießen somit gegen das verfassungsrechtliche Gebot des | |
Gesetzesvorbehalts. Zwar wurden verdachtsunabhängige Kontrollen in | |
Polizeigesetzen seit Anfang der 90er Jahre länderübergreifend eingeführt | |
und sind anerkannt, dennoch sei juristisch völlig unklar, wer eigentlich | |
zum Ausweisen einer solchen bürgerrechtsfreien Zone befugt sei. Die | |
Ausweisung dieser Zonen sei ein intransparentes und rein internes | |
polizeibehördliches Verfahren, so Burkhardt. | |
## GdP: Berliner Polizei betreibt kein Racial Profiling | |
Tatsächlich definiert die Polizei sich [6][ihre Sonderrechtszonen selbst]. | |
Die zuständige Direktion bewertet die Lage im eigenen | |
Verantwortungsbereich, bevor sie mit LKA, Justitiariat und der | |
Polizeipräsidentin eine Entscheidung über eine Einstufung trifft. „Viele | |
schwere Straftaten“ sind laut Polizei dafür maßgeblich, wobei die Grenzen | |
sich an der aktuellen Kriminalitätslage ausrichteten. | |
„Kriminalitäsbelastete Orte“ könnten zudem „bei Bedarf“ vergrößert … | |
auch verkleinert werden. | |
Aus Sicht des Rechtswissenschaftlers Cengiz Barskanmaz verstößt das | |
Berliner Polizeigesetz zudem gegen das grundgesetzlich festgeschriebene | |
Diskriminierungsverbot. Besonders deutlich werde dies, weil die Polizei | |
explizit jene Plätze zu kriminalitätsbelasteten Orten machen kann, wo es | |
den Verdacht gebe, dass „sich dort Personen treffen, die gegen | |
aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen“ (ASOG). Dies wiederum | |
machten Polizist*innen am Aussehen fest. Das habe eine stigmatisierende | |
Wirkung, so Barskanmaz. Entsprechend würden hauptsächlich Nichtweiße | |
kontrolliert – entgegen etwa der Behauptung der Gewerkschaft der Polizei | |
(GdP), dass die Polizei Racial Profiling in Berlin nicht betreibe, hält der | |
Grünen-nahe Lobby-Verein Polizei Grün vor allem den | |
Aufenthaltsrechts-Passus für „einen Freibrief für Racial Profiling“. | |
Während die generelle Abschaffung von kriminalitätsbelasteten Orten derzeit | |
unwahrscheinlich ist, dürfte letzterer Passus in Kürze abgeschafft werden. | |
Zumindest das ist wohl in den Verhandlungen um das neue Polizeigesetz | |
unstrittig. | |
13 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Wochenkommentar-I/!5510763 | |
[2] https://gruene-fraktion.berlin/wp-content/uploads/2019/04/Freiheitsrechtest… | |
[3] /Massnahmen-gegen-Racial-Profiling/!5574682 | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Lush_Retail | |
[5] http://gesetze.berlin.de/jportal/portal/t/1265/page/bsbeprod.psml/action/po… | |
[6] https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/fakten-hintergruende/artikel… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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