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# taz.de -- Polizeigewalt bei Klimademo in Wien: Beinahe ein Unglück
> Videos zeigen, wie die Wiener Polizei bei einer Demo einen Mann mit ihrem
> Wagen fast überrollt. Eine Tragödie konnte nur knapp abgewendet werden.
Bild: Ein Demonstrant zwischen Polizisten während der Klimaproteste in Wien
Berlin taz | Schaut man sich ein Video an, das seit einigen Tagen auf
Twitter veröffentlicht ist, so kann man den Eindruck erlangen, dass der
Polizeieinsatz bei den Klimaprotesten am vergangenen Freitag in Wien
beinahe ein Menschenleben gekostet hätte. [1][Das Video zeigt einen Mann,]
der von zwei Beamten der Wiener Landespolizei auf dem Boden fixiert wird.
Der Festgehaltene liegt, niedergedrückt, direkt vor einem Polizeiwagen und
wird mit dem Kopf Richtung Wagen gezogen. Kurze Zeit später rollt der Wagen
los. Im letzten Moment ziehen die Beamten den Körper des Fixierten weg –
die Aufnahmen legen nahe, dass sein Kopf sonst von dem Hinterrad
schlichtweg überrollt worden wäre.
Der Mann, der auf dem Boden liegt, heißt Anselm Schindler. Der 28-Jährige
aus München arbeitet in der Pflege und ist in einer Ökologie-Kampagne für
das kurdische Gebiet Rojava in Nordsyrien aktiv. Er ist auch als Autor und
freier Journalist tätig. Sein Leben ist eines zwischen Aktivismus,
Publizismus und Broterwerb in einem sozialen Job.
Auch in Wien war er an jenem Tag nicht zufällig, sondern habe
„Öffentlichkeitsarbeit“ machen wollen, erklärt er der taz am Telefon. „…
in den sozialen Medien zu transportieren, was passiert“. Am vergangenen
Freitag fand eine Klimademo in Wien statt, bei der Aktivisten unter anderem
eine Sitzblockade auf der Aspernbrücke am Wiener Ring durchgeführt haben.
Die Demo fällt in den Zeitraum des Klimacamps, das von Ende Mai bis Anfang
Juni in Wien stattfand.
Direkt an der Blockadeaktion an diesem Tag am Wiener Ring beteiligt war er
aber nicht, sagt Schindler der taz. Er habe daneben auf dem Bürgersteig
gestanden. Die Polizei habe ihn aufgefordert, sich wegzubewegen – und dann
auf die Nachfrage hin, warum, ihn geschubst, obwohl er sich nach eigenen
Angaben der Aufforderung nachgekommen sei. Das sei so schnell gegangen,
dass er Details nicht mehr wisse. Auf Twitter zitiert er die Worte eines
Polizeibeamten: [2][„Schrei doch, dir glaubt eh keiner“, soll dieser ihm
bekundet haben.]
Schindler erzählt, sein Kopf sei in Richtung des Hinterrads gedreht
gewesen, als sich der Wagen in Gang setzte. „Das Einzige, an das ich mich
erinnere ist der Reifen des Polizeiwagens, der in Richtung meines Gesichts
rollt“, schildert er. Der Wagen sei nur noch wenige Zentimeter von ihm
entfernt gewesen, als er geschrien habe. Auch auf dem Video sind mehrere
Schreie zu hören. Wie die Beamten außer dem Wegziehen reagiert haben, könne
er nicht mehr sagen.
Einen Tag später, am 4. Juni, wurde [3][ein zweites Video veröffentlicht],
ebenfalls von dem Twitter-Account @RADikalAutofrei. Es zeigt den Vorfall
aus einer weiteren Perspektive und veranschaulicht einmal mehr, dass das
Vorgehen der beteiligten Beamten in einer Tragödie hätte enden können.
Schindler ist nach dem Vorfall nach eigenen Angaben nicht unmittelbar
freigelassen worden, sondern mit fixierten Händen in einer
Ein-Personen-Zelle im Polizeiwagen festgehalten worden.
„Tatsächlich gefährlich“
Die Wiener Polizei erklärte [4][am Mittwochmorgen auf Twitter], dass „diese
Videoperspektive tatsächlich eine gefährliche Situation“ zeige. Das „dies…
meint das zweite Video, in dem die Szene mehr von der Rückseite des Wagens
zu sehen ist. Die Polizei schreibt in dem Tweet weiter: „Unabhängig von der
bereits eingeleiteten strafrechtlichen Überprüfung wird dieser Vorfall im
Zuge einer Evaluierung in der Einsatztaktik und das Einsatztraining
einfließen“.
Am Dienstag hatte die Wiener Polizei das Vorgehen der Beamten [5][in einer
Pressemitteilung] noch damit erklärt, dass bei dem Einsatz an der
Aspernbrücke und den 96 Festnahmen die „Anwendung von Körperkraft durch die
einschreitenden Polizeibeamten“ notwendig gewesen sei. Im ORF betonte Wiens
Vizepolizeipräsident, Michael Lepuschitz, am Dienstagabend, dass sich
„Polizisten nicht aussuchen können, unter welchen Umständen sie Menschen
festzunehmen haben“.
## Erhebliches Risiko
Bei Aufnahmen hänge es oft „von der Perspektive“ ab. In der schriftlichen
Behördenmitteilung heißt es, es gebe nur einen Misshandlungsvorwurf, der
gegenüber der Behörde geäußert worden sei. Dieser sei an das Referat
besondere Ermittlungen weitergeleitet worden, die Staatsanwaltschaft per
Anlassbericht in Kenntnis gesetzt.
In der Mitteilung beklagt die Wiener Polizei auch, dass sich die
Darstellung der Ereignisse in den Medien „teilweise dem Grundsatz einer
objektiven und faktenbasierten Berichterstattung“ entbehren würden. Beklagt
werden Darstellungen in den Medien, in dem ein Aktivist von einer
gebrochenen Hand berichte, mutmaßlich durch die Polizei verursacht. Auch
Schindler hat davon gehört. Wer die Person sei, wisse er aber nicht.
Die Vorwürfe gegen die Polizei mehren sich: Bereits am 1. Juni wurde
[6][ein Video auf Twitter veröffentlicht,] das Beamte zeigt, die um einen
am Boden liegenden Demonstranten stehen – und ein Polizist auf diese Person
einprügelt. Auch die taz hatte [7][darüber berichtet].
Die Fixierung unter einem Polizeiwagen birgt ein erhebliches Risiko. Dies
findet auch Oliver von Dobrowolski, Kriminalhauptkommissar in Berlin und
Vorsitzender des Vereins PolizeiGrün, in dem sich Polizisten innerhalb der
Grünen organisieren. [8][Auf Twitter schreibt er:] „Es geht um den
AblageORT. Ich lege bei einer Festnahme auf dem Bahnhof die Person auch
nicht auf dem Gleisbett ab…“ Die Wiener Polizei ließ eine entsprechende
Nachfrage der taz am Mittwoch bislang unbeantwortet.
## Demo am Donnerstag
Die Wiener Staatsanwaltschaft erklärte am späten Mittwochabend, dass im
Nachklang der Klimademos gegen vier Personen ermittelt werde. Drei von
ihnen seien der Behörde bereits namentlich bekannt. In der Mitteilung heißt
es: „Nach den bisher vorliegenden Erhebungsergebnissen besteht der Verdacht
der Körperverletzung und der schweren Körperverletzung unter Ausnützung
einer Amtsstellung sowie der Gefährdung der körperlichen Sicherheit“. Das
Ermittlungsverfahren bezieht sich sogar auf vier Vorfälle.
Die Aktivisten um das Klimacamp nehmen den vergangenen Freitag zum Anlass
für eine nächste Aktion. Das Wiener Klimabündnis „SystemChange not Climate
Change“ will am Donnerstagabend gegen Polizeigewalt in Wien demonstrieren –
auch vor der Landespolizeidirektion.
Transparenzhinweis: Anselm Schindler war im Frühjahr 2016 Praktikant in der
Wochenend-Redaktion der taz [9][und hat auch anschließend zwei Texte in der
taz veröffentlicht.]
5 Jun 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/RADikalAutofrei/status/1135607168881766400
[2] https://twitter.com/AnselmSchindler/status/1136004064276361217
[3] https://twitter.com/RADikalAutofrei/status/1135961440924442624
[4] https://twitter.com/LPDWien/status/1136146066968109056
[5] http://www.polizei.gv.at/wien/presse/aussendungen/presse.aspx?prid=767A4864…
[6] https://twitter.com/Marcus_MoD/status/1134766405184884736
[7] /Video-mit-mutmasslicher-Polizeigewalt/!5596633
[8] https://twitter.com/vonDobrowolski/status/1136017468424671232
[9] /Anselm-Schindler/!a33439/
## AUTOREN
Anna Grieben
## TAGS
Österreich
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