| # taz.de -- Münchner Sicherheitskonferenz: „Wuhuu!“ | |
| > Die transatlantischen Beziehungen – im Eimer. Multilateralismus – am | |
| > Ende. Wie weit der Westen auf den Hund gekommen ist, zeigt sich jetzt. | |
| Bild: Eine Stimme für internationale Kooperation: Angela Merkel in München | |
| München taz | Der erste Konflikt bricht aus, bevor die Konferenz überhaupt | |
| begonnen hat. Es ist ein Konflikt zwischen der Bundeswehr und Rumänien. Der | |
| Streit ist verfahren, die Front liegt starr, ein Kompromiss ist nicht in | |
| Sicht. Ein junger Leutnant in Dienstuniform steht am Freitagmittag vor dem | |
| Münchner Hotel Bayerischer Hof. Die Bundeswehr hat ihn zur | |
| Teilnehmerbetreuung abgestellt, und deswegen muss er sich jetzt mit dem | |
| rumänischen Botschafter herumschlagen, der seit Minuten auf ihn einredet. | |
| „Das kann nicht sein! Die Dame muss ihn doch begleiten!“, schleudert ihm | |
| der Mann entgegen. | |
| Der rumänische Europaminister nimmt nämlich an der Sicherheitskonferenz | |
| teil und es stehen zig Gespräche in seinem Kalender. Wäre praktisch, wenn | |
| er seine Assistentin dabeihätte. Aber wer ins Hotel will, der braucht eine | |
| Plakette, entweder in Blau für „Access All Areas“ oder zumindest in Grün | |
| für „Lobby und Flure“. | |
| Weil bei der Anmeldung etwas schiefgelaufen ist, hat die Assistentin weder | |
| den einen noch den anderen, und deswegen redet der rumänische Botschafter | |
| jetzt auf den jungen Leutnant ein. „Mir sind die Hände gebunden“, sagt der | |
| Soldat, aber der Botschafter redet weiter. „Herr Botschafter Ischinger hat | |
| Nein gesagt“, sagt der Soldat, aber der Botschafter redet weiter. „Wenn | |
| überhaupt, dann müssen sie es bei Major Franke versuchen“, sagt der Soldat, | |
| aber der Botschafter redet weiter. | |
| Er bettelt noch immer, als drinnen im Hotel die deutsche | |
| Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Konferenz eröffnet. Aber | |
| es hilft nichts. Die Assistentin bleibt draußen. | |
| ## Die Stimmung ist konfrontativ | |
| So ist die Stimmung im Jahr 2019: konfrontativ, im Kleinen, aber auch im | |
| Großen. Wenn Menschen ohne Plakette an einem Wochenende im Februar kaum | |
| mehr durch die Münchner Innenstadt kommen, wenn die Polizei den | |
| Promenadenplatz weiträumig absperrt, weil im Bayerischen Hof die | |
| Sicherheitskonferenz steigt, zu der Regierungsvertreter aus Dutzenden | |
| Staaten anreisen, dann ist die Atmosphäre selten harmonisch. [1][Nahost], | |
| Freihandel, Spionageaffären: irgendwas ist immer. | |
| Aber so arg wie dieses Jahr war es schon lange nicht. In sechs Wochen | |
| werden die Briten wohl aus der EU schlittern. Die transatlantischen | |
| Beziehungen sind im Eimer. Donald Trump gefährdet mit seinen Strafzöllen | |
| den Welthandel. Der Nukleardeal mit dem Iran ist so gut wie tot. Und jetzt | |
| beerdigen die USA und Russland auch noch den INF-Vertrag, der in den | |
| letzten dreißig Jahren geholfen hat, einen Atomkrieg in Europa zu | |
| vermeiden. | |
| Vom Multilateralismus reden die Experten in München an diesem Wochenende | |
| gerne. Der sei nämlich am Ende. Multilateralismus? Was das heißt, erklärt | |
| am Samstag am anschaulichsten eine Frau, die normalerweise nicht für | |
| plastische Auftritte bekannt ist: Angela Merkel. „Es ist nach meiner festen | |
| Überzeugung besser, sich einmal in die Schuhe des anderen zu versetzen, | |
| einmal über den eigenen Tellerrand zu schauen und zu schauen, ob man | |
| gemeinsame Win-win-Lösungen erreicht, als die Meinung zu haben, alle Dinge | |
| allein lösen zu können“, sagt sie am Ende ihrer halbstündigen Rede am | |
| Vormittag. | |
| Der Multilateralismus, die Zusammenarbeit in der internationalen Politik | |
| also, die Suche nach Kompromissen und gemeinsamen Interessen, sei zwar | |
| manchmal schwierig, langsam und kompliziert. „Aber er ist besser, als | |
| allein zu Hause zu sein.“ Merkel, die vielleicht zum letzten Mal als | |
| Kanzlerin zur Konferenz kommt, ist hier der Star. Der große Saal des | |
| Fünfsternehotels, in 16 Reihen bestuhlt und mit zusätzlichen Plätzen auf | |
| einer zweistöckigen Galerie, ist bei manchen Reden nicht einmal zur Hälfte | |
| gefüllt. Als Merkel spricht, stehen die Zuhörer sogar auf der Treppe. | |
| ## Merkels Lektion in Sachen Weltpolitik | |
| Die Kanzlerin erteilt in ihrer halben Stunde eine Lektion in Sachen | |
| Weltpolitik, galoppiert durch sämtliche Konflikte ihrer Amtszeit und hält | |
| dabei eine wahre Ode an die internationale Zusammenarbeit. Die | |
| Flüchtlingspolitik? Gehe nur europäisch. Die Beziehungen zu den | |
| afrikanischen Staaten? Unbedingt ausbauen. Die Pipeline Nord Stream 2? | |
| Ändere nicht viel, weil das Gas auch heute schon aus Russland nach | |
| Deutschland komme, nur mit einem Umweg über die Ukraine. Und die | |
| Strafzölle, mit denen die USA drohen? BMW baue in South Carolina Autos für | |
| den chinesischen Markt, sagt Merkel. Und wenn diese Autos „plötzlich eine | |
| Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika | |
| sind, dann erschreckt uns das“. | |
| Am Ende der Rede werden die Zuhörer reihenweise aufstehen, „Wuhuu!“ rufen | |
| und so lange applaudieren, bis sich Konferenzleiter Wolfgang Ischinger zu | |
| Merkel hinüberlehnt und ihr etwas zumurmelt. Sein Ansteckmikrofon ist | |
| offen. Er sagt: „Das hat’s hier in dieser Form auch noch nie gegeben“. F�… | |
| die Mehrheit hier, für die, die sich als Vertreter des alten Westens und | |
| der alten Ordnung sehen, ist die Kanzlerin die Anführerin. | |
| Es gibt aber auch noch eine Minderheit im Saal, die nicht so laut klatscht. | |
| In Reihe vier zum Beispiel sitzt Ivanka Trump, die Tochter des | |
| US-Präsidenten, die sich während Merkels Rede den Kopfhörer des | |
| Übersetzungsgeräts nicht überzieht, sondern nur ans rechte Ohr hält, der | |
| Frisur wegen. Sie ist als Teil der US-amerikanischen Regierungsdelegation | |
| hier. Sie gehört zu Merkels Gegenspielern, den Unilateralisten und | |
| Vertretern der neuen Ordnung. | |
| Nun sollte man die Bundeskanzlerin nicht romantisieren. Sie ist keine | |
| Mutter Teresa der internationalen Politik. Auch die deutsche Regierung | |
| orientiert sich zuerst an dem, was sie für deutsche Interessen hält, und | |
| die versucht sie dann in ihren Bündnissen durchzusetzen. In ihrer Rede | |
| fordert Merkel nicht nur mehr Entwicklungshilfe, sondern auch mehr | |
| Rüstungsexporte. Dass die USA den INF-Vertrag mit Russland aufkündigen, | |
| verteidigt sie. Den Flüchtlingsdeal der EU mit Erdoğans Türkei auch. | |
| Was ihre Außenpolitik von der der Trump-Regierung dann doch unterscheidet, | |
| wird aber deutlich, als nicht einmal eine Stunde nach ihr US-Vizepräsident | |
| Mike Pence spricht. | |
| ## Pence' überschwänglicher Lob für Donald Trump | |
| Der Saal hat sich schon ein wenig geleert, sodass Ivanka Trump aus der | |
| vierten Reihe in die erste aufrücken konnte. Mike Pence trägt vor, was er | |
| für die größten außenpolitischen Erfolge der bisherigen Trump-Jahre hält. | |
| Die neuen US-Sanktionen gegen den Iran zum Beispiel, denen sich Europa | |
| jetzt gefälligst anzuschließen habe. Oder die US-amerikanischen | |
| Verteidigungsausgaben, die endlich wieder so hoch sind wie zu Zeiten Ronald | |
| Reagans. Die Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland? Mache | |
| die Bündnispartner vom Osten abhängig. Internationale Zusammenarbeit? Finde | |
| seine Regierung super. In der Nato habe es Donald Trump zum Beispiel | |
| geschafft, die Alliierten dazu zu bewegen, ihre Verteidigungsausgaben | |
| ebenfalls zu erhöhen. „That’s what we call being leader of the free | |
| world!“, sagt Pence. Auf diese Weise führe man die freie Welt an. | |
| Für das, was Pence hier macht, haben die Experten einen Begriff: | |
| „instrumentellen Multilateralismus“. Die US-Regierung hat tatsächlich | |
| nichts gegen internationale Bündnisse – solange sie dort durch ihre | |
| Dominanz die eigenen Wünsche durchdrücken kann. Wenn das nicht geht, sucht | |
| sie sich eben andere Partner. Oder macht es gleich allein. | |
| Diese Strategie hat die neue US-Regierung nicht erfunden. Die Amerikaner | |
| sind schon früher ähnlich gefahren, auch unter Barack Obama. Donald Trump | |
| aber treibt es auf die Spitze – und lässt das alte Amerika damit viel | |
| heller erscheinen, als es in Wirklichkeit war. | |
| ## Das Wichtigste wird nicht im großen Saal besprochen | |
| Versteckt im Inneren des Bayerischen Hofes liegt ein Wintergarten, in dem | |
| sich am Freitagmittag eine Vorhut dieses alten Amerika bei Hühnchen auf | |
| Mais trifft. Das Thema: die großen globalen Bedrohungen. Mit in der Runde | |
| ist John Kerry, der demokratische Ex-Außenminister. Er wirbt dafür, den | |
| Fokus zu verschieben „Wir sind auf einer Selbstmordmission, wir sind außer | |
| Kontrolle, Leute“, sagt er mit sorgenvoller Miene. Nichts sei so bedrohlich | |
| wie der Klimawandel. Zu Hause hat er einen Klimawandelleugner im Weißen | |
| Haus sitzen. Einen „President by accident“ wie Kerry sagt, einen | |
| Präsidenten aus Versehen. Also muss er eben andernorts Verbündete | |
| zusammenbringen. „Beginnen wir hier, in München“, sagt Kerry. | |
| Der entscheidende Teil der Sicherheitskonferenz findet nicht im großen Saal | |
| statt, sondern im Schatten des offiziellen Programms – im Wintergarten | |
| eben, in den Suiten der Obergeschosse, oder im Café im ersten Stock. Der | |
| Andrang hier ist so groß, dass minutenlang warten muss, wer sich an der | |
| Theke auch nur eine Espresso bestellen möchte. Wer danach einen Sitzplatz | |
| ergattert, sollte sich Mühe geben, ausreichend wichtig dreinzuschauen. | |
| Ansonsten besteht die Gefahr, von irgendeinem libyschen Minister wieder | |
| vertrieben zu werden. | |
| In diesen Nebenräumen treffen sich drei Tage lang kleinere Gruppen zu | |
| informellen Gesprächen. Das Interesse daran ist groß wie selten zuvor. Aus | |
| den USA ist John Kerry nicht der Einzige, der neben der | |
| Regierungsdelegation angereist ist: Aus dem Kongress sind so viele | |
| Abgeordnete da wie noch nie. Sie wollen ihre Kontakte nach Europa | |
| aufrechterhalten – für die Zeit nach Trump. Auf diesen Tag X hoffen viele | |
| an diesem Wochenende. | |
| ## Und dann noch: Der einsame Kampf gegen Atomwaffen | |
| Es gibt aber auch noch ein paar Teilnehmer, die nicht nur zurück zum | |
| Business as usual wollen, sondern an einem Schritt nach vorne arbeiten. | |
| Beatrice Fihn ist eine von ihnen. In ihrem Twitter-Profil schreibt sie, | |
| dass sie gern Air Jordan’s trägt, die Turnschuhe von Nike. Zur | |
| Sicherheitskonferenz kommt sie zwar im Business-Outfit, trotzdem hebt sie | |
| sich von den anderen Teilnehmern ab. „Hier fehlt es an Kreativität. Von den | |
| meisten hier höre ich keine Visionen“, sagt Fihn. | |
| Sie ist Direktorin von Ican, der Internationalen Kampagne für die | |
| Abschaffung von Atomwaffen. Nachdem ihre Organisation den | |
| Friedensnobelpreis bekam, darf sie zum zweiten Mal an der | |
| Sicherheitskonferenz teilnehmen. Den ganzen Tag über hetzt sie schon durch | |
| die Gänge: hier ein Interview, dort ein Panel mit Thinktanks, zwischendurch | |
| ein Gespräch mit der Delegation aus Bangladesch. | |
| Fihn setzt auf die Staaten, die selten auf der großen Bühne auftauchen. Vor | |
| anderthalb Jahren haben 70 von ihnen einen Vertrag unterschrieben, der die | |
| Abschaffung aller Atomwaffen fordert. 21 haben ihn auch schon ratifiziert | |
| und die entsprechenden Urkunden bei der UN abgegeben. 29 fehlen noch, damit | |
| der Vertrag völkerrechtlich wirksam wird. Der Weg dorthin ist holprig. Ein | |
| Staatschef, erzählt Fihn, wollte die Unterlagen persönlich in New York | |
| vorbeibringen, hat sie dann aber im Flugzeug vergessen. Er musste noch mal | |
| nach Hause und kam mit den vollständigen Unterlagen erst zwei Wochen später | |
| wieder. In anderen Ländern ist das Abkommen im Gesetzgebungsverfahren auf | |
| irgendwelchen Schreibtischen liegen geblieben. | |
| In ihren Gesprächen wirbt Fihn dafür, dass die Unterzeichnerstaaten einen | |
| Gang zulegen. Ihr Kalkül: Je mehr kleine Staaten den Vertrag verabschieden, | |
| desto stärkeren Druck werden sie auf die größeren ausüben. Und am Ende | |
| würden dann vielleicht auch die Regierungen in Berlin, Moskau oder | |
| Washington unterschreiben. Das wäre weit mehr, als der alte Westen mit | |
| Merkel, Kerry und all den anderen jemals geschafft hat. | |
| ## Demo-Organisator Schreer: „Purer Etikettenschwindel“ | |
| An diesem Wochenende wirkt es aber nicht so, als ob daraus jemals etwas | |
| wird. Zumindest die öffentliche Meinung ist in München noch lange nicht so | |
| weit. 500 Meter vom Bayrischen Hof entfernt spielt am Samstagnachmittag die | |
| in die Jahre gekommene oberpfälzische Musikcombo „De Ruam“ ihre letzten | |
| Lieder. Der Marienplatz hat sich bereits ziemlich geleert. Es ist das Ende | |
| der diesjährigen Demonstration des „Aktionsbündnisses gegen die | |
| Nato-Sicherheitskonferenz“. Neben der Bühne steht Claus Schreer und raucht | |
| eine Selbstgedrehte. Etwas erschöpft sieht er aus, aber auch zufrieden. | |
| Eine Mittfünfzigerin kommt auf Schreer zu und umarmt ihn. „Das hast du | |
| wieder gut gemacht“, sagt sie zu ihm. | |
| Der 80-jährige Schreer ist so etwas wie eine Institution der | |
| Friedensbewegung. Bereits als junger Kriegsdienstverweigerer war er beim | |
| ersten Münchner Ostermarsch 1961 dabei, beim Kampf gegen die | |
| Pershing-Raketen in den Achtzigern und später bei den Protesten gegen den | |
| Jugoslawien- und den Irakkrieg selbstverständlich auch. Seit 2002 | |
| organisiert Schreer die Demonstration gegen das Spektakel im Bayerischen | |
| Hof. Rund 4.000 TeilnehmerInnen sind es dieses Mal. Nicht ganz wenige. Aber | |
| sicher keine kritische Masse. Claus Scheer ist nur noch bei der Auftakt- | |
| und der Abschlusskundgebung dabei. Bei der Demonstration mitzulaufen ist | |
| ihm zu beschwerlich geworden. Das Alter hat seine Spuren hinterlassen. | |
| Ob er nicht langsam genug hat? „Müde bin ich manchmal schon“, sagt er. | |
| „Aber die Wut und die Empörung treiben mich immer wieder an.“ Schließlich | |
| würden die Verhältnisse ja nicht besser, sondern eher schlimmer. Vor allem | |
| werde die Kriegsgefahr wieder größer. „Was hier nebenan im Bayrischen Hof | |
| unter dem Namen Sicherheitskonferenz veranstaltet wird, ist purer | |
| Etikettenschwindel“, davon ist Schreer überzeugt. „Dort geht es nicht um | |
| den Frieden auf der Welt, nicht um die Interessen der Menschen, sondern um | |
| die Interessen der Mächtigen und der Kriegsprofiteure.“ | |
| Tagungsleiter Wolfgang Ischinger gibt sich alle Mühe, die Konferenz in | |
| einem besseren Licht erscheinen zu lassen. So verweist er gern darauf, dass | |
| inzwischen auch zivilgesellschaftliche Organisationen dabei sind. Deswegen | |
| darf Beatrice Fihn von Ican mit ins Hotel. | |
| Doch Schreer und seine MitstreiterInnen haben daran kein Interesse. „Wir | |
| lehnen das ab, weil wir nicht das Feigenblatt für diese | |
| Militärveranstaltung spielen wollen.“ Denn was könnten sie da schon | |
| ausrichten? „Zu glauben, man könnte aus dieser Konferenz eine | |
| Friedenskonferenz machen, ist eine große Illusion.“ | |
| 17 Feb 2019 | |
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