# taz.de -- Münchner Sicherheitskonferenz: West- und Ratlosigkeit | |
> Die Münchner Sicherheitskonferenz beginnt. Der Westen sieht sich mit | |
> China und Russland konfrontiert – und von innerer Zersetzung bedroht. | |
Bild: Während der Sicherheitskonferenz herrscht in der Münchner Innenstadt Au… | |
MÜNCHEN taz | Auf der Suche nach ihrem diesjährigen Motto ist die Münchner | |
Sicherheitskonferenz (SiKo) auf dem Wortspielplatz fündig geworden. | |
„Westlessness“ lautet der Kunstbegriff, unter den ihr Leiter, Wolfgang | |
Ischinger, die an diesem Freitag beginnende Großtagung gestellt hat. | |
Die englischsprachige Wortkreation, ins Deutsche etwas holperig mit | |
„Westlosigkeit“ übersetzt, soll die tiefe Verunsicherung über die Erosion | |
alter geostrategischer Gewissheiten ausdrücken. Von einem „doppelten | |
Phänomen“ spricht Topdiplomat Ischinger: In einer Welt, die immer weniger | |
westlich geprägt werde, sei der Westen im Begriff, immer weniger westlich | |
zu sein. | |
Angefangen am Freitagnachmittag mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier | |
über den französischen Präsidenten Emmanuel Macron bis zum kanadischen | |
Premier Justin Trudeau werden mehr als 35 Staats- und Regierungschef:innen | |
sowie über 100 Außen- und Verteidigungsminister:innen bis Sonntag über den | |
Bedeutungsverlust jenes transatlantischen Machtbündnisses sprechen, das | |
gemeinhin als der „Westen“ bezeichnet wird. | |
Die vermeintliche Werte- und Sicherheitsgemeinschaft sieht sich sowohl mit | |
einem immer selbstbewusster agierenden China und einem wiedererstarkten | |
Russland konfrontiert als auch bedroht von einer inneren Zersetzung. | |
Das alte Koordinatensystem gilt nicht mehr | |
Auf der [1][SiKo] versammeln sich zwar Vertreter:innen der politischen und | |
militärischen Nomenklatura aus aller Welt, in diesem Jahr sind unter | |
anderem die Außenminister Chinas, Russlands, Indiens oder auch des Irans | |
dabei. Aber im Wesentlichen ist es immer noch ein „Familientreffen“ der | |
Nato-Staaten. | |
Spätestens seit der Präsidentschaft Donald Trumps in den USA – für die in | |
München unter anderem Außenminister Mike Pompeo und Verteidigungsminister | |
Mark Esper dabei sein werden – ist unübersehbar, dass das alte | |
Koordinatensystem so nicht mehr gilt. Dem „liberalen Westen“ steht ein | |
„illiberaler Gegen-Westen“ auch in den eigenen Reihen gegenüber, | |
konstatiert der pünktlich zur SiKo veröffentlichte Munich Security Report | |
2020. | |
Wer sich die politischen Verhältnisse in Ländern wie Ungarn oder Polen | |
anschaut, erkennt schnell, dass Demokratie, Liberalität, | |
Rechtsstaatlichkeit und Weltoffenheit nicht einmal mehr vom Anspruch her | |
als verbindende Werte definiert werden können. | |
Ist die Nato „der wichtigste Pfeiler der Sicherheit Europas“ (Macron) oder | |
„hirntot“ (ebenfalls Macron) – und ist das überhaupt ein Widerspruch? | |
[2][Gemeinsame Antworten auf die weltweiten Krisenerscheinungen], von den | |
Kriegen im Nahen Osten und Nordafrika bis hin zum menschengemachten | |
Klimawandel, lassen sich kaum mehr finden. Wird den auf der Konferenz | |
traditionell dominierenden Repräsentant:innen der Nato-Staaten dazu mehr | |
einfallen, als die dramatische Erhöhung der Militärausgaben zu propagieren | |
– als kleinsten gemeinsamen Nenner? | |
Es geht auch ums Geschäft | |
Die SiKo ist das weltweit größte Event für außenpolitische und militärische | |
Fragen. Für dieses Jahr rechnen die Veranstalter:innen mit „über 500 | |
hochrangigen internationalen Entscheidungsträgern“. Die | |
Sicherheitsvorkehrungen rund um den weiträumig abgesperrten Tagungsort | |
Bayerischer Hof sind entsprechend hoch. Die Münchner Innenstadt befindet | |
sich das ganze Wochenende über im Ausnahmezustand. Rund 3.900 | |
Polizist:innen aus ganz Bayern sowie dem gesamten Bundesgebiet sind im | |
Einsatz. | |
Zwar werden die mehr als 150 führenden Regierungsvertreter:innen aus aller | |
Welt das mediale Bild der Konferenz prägen. Hinzu kommen indes wieder | |
zahlreiche hochrangige Militärs sowie mehrere Dutzend Vorstandschefs großer | |
Konzerne. Denn bei dem Event geht es abseits des offiziellen Programms auch | |
stets um gute Geschäfte. | |
Gerade für die Rüstungsindustrie ist die SiKo ein hervorragender Ort zur | |
Geschäftsanbahnung. Das lässt sie sich auch etwas kosten: Waffenschmieden | |
wie Krauss-Maffei Wegmann, Rheinmetall, MBDA, Raytheon, Hensoldt oder | |
Lockheed Martin gehören auch in diesem Jahr zu den Sponsoren der | |
Veranstaltung. | |
Die SiKo bezeichnet sich selbst als „politisch unabhängige internationale | |
Dialogplattform“. Allerdings wird ein Großteil der Kosten von der | |
Bundesregierung getragen, die seit diesem Jahr über die Stiftung Münchner | |
Sicherheitskonferenz auch institutionell mit der SiKo verbunden ist. | |
Von der Bundeswehr gesponsert | |
Zwei Millionen Euro zahlte das Verteidigungsministerium dafür als | |
„einmalige Zustiftung“. Hinzu kommen 600.000 Euro Projektförderung für das | |
aktuelle Event – 100.000 Euro mehr als im Vorjahr. Das geht aus der Antwort | |
des Verteidigungsministeriums auf eine schriftliche Anfrage der | |
Linksparteiabgeordneten Ulla Jelpke hervor, die der taz vorliegt. | |
Aufgeführt sind in dem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs | |
Peter Tauber (CDU) zudem die großzügigen Unterstützungsleistungen, die das | |
Verteidigungsministerium ansonsten der SiKo zukommen lässt. So stellt die | |
Bundeswehr 250 Angehörige ab, die bei der Organisation der Konferenz, der | |
Transportorganisation, im Sanitätsdienst sowie als Dolmetscher:innen im | |
Einsatz sind. Hinzu kommen noch rund 50 Feldjäger:innen zur Sicherstellung | |
des Personen- und Begleitschutzes für hochrangige Militärs. | |
„Weitere Unterstützungsleistungen der Bundeswehr werden im Rahmen der | |
Amtshilfe erbracht“, teilt Tauber ferner mit. Dazu gehöre „die | |
Unterstützung der bayerischen Landespolizei bei der Überwachung eines | |
Flugbeschränkungsgebietes über dem Veranstaltungsort“. | |
„Die Münchner Sicherheitskonferenz wird auch in diesem Jahr in erheblichem | |
Umfang von der Bundeswehr gesponsert“, kritisiert Ulla Jelpke. „Aus meiner | |
Sicht ist das eine pure Verschwendung von Steuermitteln“, sagt die | |
innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Dieses Treffen von | |
Kriegsministern und Rüstungsfirmen verdient keinen einzigen Cent an | |
Steuergeldern.“ Deswegen stehe sie „auf der Seite jener | |
antimilitaristischen Kräfte, die auch in diesem Jahr gegen diesen | |
Kriegsratschlag demonstrieren werden“, so Jelpke zur taz. | |
Heftige Kritik von der Friedensbewegung | |
Seit 1963 gibt es die Tagung, die sich damals noch „Internationale | |
Wehrkunde-Begegnung“ nannte, in der bayrischen Landeshauptstadt. Nicht nur | |
in ihren Anfangszeiten stark geprägt vom Kalten Krieg, war sie nie | |
unumstritten. Als halboffizielles Forum für westliche geopolitische | |
Großerzähler:innen und Rüstungslobbyist:innen stößt sie bis heute bei | |
Friedensbewegten auf heftige Kritik. | |
„Entgegen den Behauptungen des SiKo-Chefs Ischinger geht es im Bayerischen | |
Hof weder um die friedliche Lösung von Konflikten noch um die Sicherheit | |
für die Menschen auf dem Globus“, sagt Claus Schreer. „Die SiKo ist eine | |
Kriegstagung.“ | |
Der inzwischen 81-jährige Grafiker ist einer der Sprecher des | |
Aktionsbündnisses gegen die Nato-„Sicherheits“konferenz – und so etwas w… | |
eine Institution der [3][Friedensbewegung]. „Statt Sonntagsreden über | |
westliche Werte zu halten, muss Schluss gemacht werden mit deutschen | |
Waffenlieferungen an Aggressorstaaten, die blutige Kriege führen, wie die | |
saudische Kriegskoalition gegen den Jemen oder das Erdoğan-Regime gegen die | |
Kurden“, fordert er. | |
Bereits als junger Kriegsdienstverweigerer war Schreer beim ersten Münchner | |
Ostermarsch 1961 dabei. Seit 2002 organisiert er die zentrale | |
Protestdemonstration gegen das Spektakel im Bayerischen Hof. Schreer ist | |
zuversichtlich, dass auch in diesem Jahr wieder mehrere tausend Menschen | |
dem Aufruf des Aktionsbündnisses folgen und am Samstagmittag unter dem | |
Motto „Alles muss sich ändern! Nein zu Krieg und Umweltzerstörung!“ durch | |
die Münchner Innenstadt ziehen werden. | |
14 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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