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# taz.de -- Nato-Übung „Defender“ in Deutschland: Krieg und Frieden
> 37.000 Soldaten und 22.000 Stück Material müssen bewegt werden – eine
> große Aufgabe für General Denk. Und eine Herausforderung für
> Friedensbewegte.
Bild: Ankunft von US-Panzern in Bremerhaven
Garlstedt/Bremen taz | Die Autobahn ist weit weg, von einem fahrenden
Trecker weht Stroh auf den Weg, und Kühe liegen auf einer Weide. Friedlich
ist das Landleben, und doch geschieht hier, in der niedersächsischen
Provinz, Weltpolitik. Zweimal schon war Garlstedt mit seinen gut 400
Einwohnern in den Schlagzeilen: 1980, als die Nato mit ihrer Alarmrotte in
den Himmel stieg, um ein vermeintliches Ufo zu identifizieren, und 1996,
als der Hamburger Erbe Jan Philipp Reemtsma während seiner Entführung einen
Monat in dem Dorf verbringen musste, eingesperrt in einem Keller. Jetzt
passiert wieder etwas: [1][US Defender Europe 2020].
Neben den freistehenden Backsteinhäusern gibt es in Garlstedt zurzeit eine
militärische Zeltstadt zu bestaunen. Gastgeber ist hier Brigadegeneral
André Erich Denk, Kommandeur der Logistikschule der Bundeswehr in
Garlstedt. Seine Stiefel sind fest geschnürt und beim Reden gestikuliert er
mit seinen tarnfarbenen Handschuhen. Er wäre nur schwer zu erkennen in
seinem Anzug in grün-braunem Fleckmuster, hätte er kein rotes Barett auf
dem Kopf. Denn Denk steht vor einer extra errichteten Skulptur in Form
eines Siegestores, die in Tarnnetze gehüllt ist. Darauf zu lesen: „Welcome
US Troups to Garlstedt“.
Seit letzter Woche kommen sie: „Die echten Amerikaner zum Anfassen und zum
Komisch- Sprechen“, wie Kommandeur Denk sie nennt. Rund 2.000 werden hier
in den nächsten Wochen auf ihrem Weg nach Osten übernachten. „Aufregung
pur!“, heißt es in den Lokalmedien.
## Die Protestler: Männer mit schütterem Haar
Auch 30 Kilometer weiter, in der Fußgängerzone Bremens, wird aufgerüstet,
auch wenn die Beteiligten das nie so nennen würden. Eine kleine Gruppe von
Personen mit schütterem Haar verschanzt sich hinter ihren großen Plakaten
mit gut lesbaren Buchstaben und vielen Ausrufezeichen. Es ist kalt an
diesem Abend und auch bei der Demonstration in Bremerhaven am vergangenen
Samstag. Immer dabei die gehisste blaue Flagge mit Picassos weißem Vogel.
Ekkehard Lentz ist Sprecher der Bremer [2][Friedensbewegung], er ist es
seit fast 40 Jahren. Menschen wie Lentz stehen entschlossen hier und
drücken PassantInnen Flugblätter mit kleinen und großen Tauben in die Hand.
Darauf zu lesen: Stopp Defender 2020.
Bald schon will Lentz selbst in Garlstedt mitmischen, Demos und
Straßensperren sind geplant. Er will im Auftrag des Friedens kommen,
dorthin, wo man nach seiner Ansicht Russland provoziert und die Geschichte
vergisst.
In der Zwischenzeit ist in Garlstedt vom dritten Weltkrieg noch nicht viel
zu spüren. An einem sonnigen Tag haben bei dem Pressetermin alle gute
Laune, und es gibt Schnittchen: mit Mett, Salami, Kochschinken, Mortadella
und, etwas blass daneben, Käse. Kein Schießen, keine Panzer und kein
Brüllen. Denn jetzt stehen hier bei zehn Grad Celsius viele der
BesucherInnen in schneefester Kleidung. Sie hatten sich auf mehr
vorbereitet, denn in der Einladung hatte es geheißen: „Festes Schuhwerk
wird empfohlen“.
Der Termin ist gut organisiert. Trotzdem wirkt der Kommandeur Denk ein
wenig nervös. Etwas zu schnell eilt er mit seinen langen Beinen zwischen
den Zelten auf der großen Wiese voraus. „Wir nennen sie offiziell ‚Life
Support Area‘“, sagt er. Immer wieder sucht der Kommandeur nickende
Zustimmung, wenn er stolz die Faltstraße, die Stromgeneratoren und die
WLAN-Schilder an den Zelten präsentiert. Drinnen gäbe es „für jeden
Soldaten eine eigene Steckdose“, sagt André Erich Denk, für die iPhones und
iPads der Soldaten. Ganz vergessen hätte er beinahe den Kiosk. Hier wird es
Burger geben, die sogar mit US-Dollar und Kreditkarte bezahlt werden
können. Während dieser Ansage schwindet die Aufmerksamkeit der Anwesenden.
Im Hintergrund passiert etwas: „Da ist die Frau!“
Die Frau fährt Traktor. Er ist groß und gelb und tuckert zwischen der
Zuschauergruppe vorbei. Alle Kameras versuchen die Frau einzufangen, die in
ihrem Traktor sehr ernst schaut. „Sie können sie ruhig in Ihren Beiträgen
promoten, weil bei der Bundeswehr gibt es auch Frauen, das ist uns
wichtig“, sagt Pressesprecher Oberstleutnant Schwarm.
Die Frau ist an diesem Vormittag das eine, die Technik das andere. In einem
Zelt werden Glühbirnen eingeschraubt. Dafür steht ein junger Soldat auf
einer Leiter, er hat eine Glühbirne in der Hand, vor ihm ein Kronleuchter.
Oberstleutnant Schwarm schaut sich um, als der Soldat, der die Glühbirne
einschraubt, für die Kameras gefragt wird: „Was machen Sie da?“ Der Soldat,
der die Glühbirne einschraubt, antwortet: „Ich schraube hier Glühbirnen
ein.“ Oberstleutnant Schwarm kratzt sich am Kopf: „Aber erklären Sie mal,
wieso ist das so wichtig?“ Während er weiter die Glühbirne einschraubt,
ringt der Soldat nach Worten: „Ja, also, es ist wichtig, diese Glühbirnen
hier einzuschrauben, damit das Zelt beleuchtet ist.“ Abschließendes Nicken
von Herrn Schwarm in Richtung der Gäste. Die Glühbirne ist eingeschraubt.
Die Glühbirnen, die Steckdosen und vielleicht auch die Schnittchen werden
in Garlstedt von den USA finanziert. Die US Army ist Initiator und auch
Hauptfinanzierer des [3][Nato-Großmanövers]. 340 Millionen Dollar soll die
US Army für die Militärübung ausgeben, die voraussichtlich bis Juni läuft.
Insgesamt sind 37.000 SoldatInnen aus 18 Nato-Staaten involviert. Damit ist
es das größte Militärmanöver der Nato seit 25 Jahren. Der Generalsekretär
der Nato, Jens Stoltenberg, erklärte, dass Defender 2020 eine Übung sei, um
„die Fähigkeit der USA zu beweisen, Europa zu verteidigen, wenn nötig“.
Die eigentlichen Militärübungen finden an Standorten vor allem in Polen und
den baltischen Staaten statt. Deutschland ist bei dem Manöver vor allem
Transitland, neben den 20.000 amerikanischen SoldatInnen werden ca. 22.000
Stückgüter über deutsche Häfen und Bahnhöfe transportiert. Stückgüter, d…
sind Waffen, Kampffahrzeuge und andere Kriegsmaterialien.
In Garlstedt braucht die moderne Kriegsführung iPhones, iPads und WlAN.
Auch die Friedensbewegung kämpft online, am liebsten mit der akademischen
Avantgarde. [4][Rudolph Bauer] war von 1972 bis 2002 Professor an der
Universität Bremen. Zu seinen Werken zählt neben „Heimerziehung in der DDR�…
und „Wohlfahrtsverbände in der Bundespolitik“ das Videogedicht „Gegen
Defender 2020“. Seit einem Monat ist das fünfminütige Video online.
Mittlerweile hat es 16 Likes und ein Dislike. Das könnte vielleicht an dem
strengen Blick des Vortragenden liegen, den langgezogenen Vokalen oder auch
an dem verregneten Industriegebiet, das im Hintergrund zu sehen ist.
Alles reimt sich: „Defender zwanzig-zwanzig im Osten / geht auf unsere
Kosten“, deklamiert Bauer. Die Kamera, geführt von Sönke Hundt, ebenfalls
Professor emeritus, verharrt unbewegt auf Bauers faltendurchzogenem
Gesicht, wenn er spricht: „Den Nato-Militärstrategen“, Bauer macht eine
Pause, „kommt Russland als Erzfeind gelegen.“ Später reimen sich auch die
Weltregionen Palästina und Kina, Bauer ist Ostbayer. Die Botschaft am Ende
ist klar: „Nie wieder Kriege, Ulrike“.
In Garlstedt wird Kommandeur Denk zwischen Sonne und Schnittchen noch
einmal sehr ruhig. Er atmet tief ein, bevor er die, aus Sicht der
Bundeswehr, wahren Gründe für Defender 2020 nennt: „Zu glauben, dass
Frieden und Freiheit in Deutschland und Europa von nichts kommt, ist aus
meiner Sicht ein Irrglaube.“ Die jüngste Vergangenheit und die Annexion der
Krim hätten gezeigt, wie akut die Bedrohung von Osten sei. Und deswegen
muss, laut Denk, geübt werden, unter Realbedingungen. Zuletzt im Jahr 2018
hatte die Nato mit 50.000 SoldatInnen „geübt“, auch damals unweit der
russischen Grenze in Norwegen und Finnland.
## Frieden – mit dem russischen Generakonsul
„27 Millionen russische Tote“, diese Zahl wird an diesem Abend oft
wiederholt, auf einer Vernissage mit dem Titel: „Meinst du, die Russen
wollen Krieg?“ Der Saal des Bremer Gewerkschaftshauses ist voll, auf
Plakaten sind Tauben gezeichnet, sie haben einen Blumenstrauß in den Farben
Russlands im Schnabel. Auch Rudolph Bauer ist da, er hat sich einen der
begehrten Sitzplätze erkämpft. Ekkehard Lentz muss wie viele auf weißen
Tischen am Rand sitzen. In den Abend führt eine vierköpfige Band ein, die
ihre Lieder „schon damals bei der Nachrüstung in den 80ern“ gespielt hat.
Der Moderator begrüßt die Gäste auf Russisch.
Besonders herzlich den Ehrengast an diesem Abend: den russische
Generalkonsul [5][Andrei Sharashkin]. In seiner Rede zitiert er seinen
Präsidenten Wladimir Putin: „Wie kann ein Volk mit 27 Millionen Toten den
Krieg wollen?“ Es gibt Beifall. Für Sharashkin ist Defender 2020 eine
Beleidigung und Provokation: „Wer ist vor 75 Jahren in Auschwitz
einmarschiert und hat die Opfer des Faschismus befreit, wer?“ Und es
stimmt, es war die Rote Armee. An anderer Stelle sind die
Geschichtskenntnisse des Diplomaten weniger ausgeprägt, wenn er verkündet:
„Ob Napoleon oder der Zweite Weltkrieg, mein Land hat nie offensiv
attackiert.“ Er hat die Invasion in Afghanistan oder die Kämpfe in der
Ostukraine an diesem Abend womöglich vergessen. Auch der Russisch-Polnische
Krieg von 1792 oder der Krimkrieg von 1853 spielen für Sharashkin heute
keine Rolle.
Im Publikum scheint das niemanden zu stören. Für die Zukunft hat er eine
finale Friedensbotschaft: „Wenn es zu einem Krieg kommt, wird es der letzte
sein“, selbst sein Dolmetscher zögert beim Übersetzen, „und das meine ich
in keinster Weise positiv.“
29 Feb 2020
## LINKS
[1] /Nato-und-USA-ueben-Transport-nach-Osten/!5652487/
[2] https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/nein-zum-nato-krie…
[3] https://www.bundeswehr.de/de/organisation/streitkraeftebasis/uebungen/defen…
[4] http://www.rudolph-bauer.de/author/rudolph/
[5] https://deutsch-russische-friedenstage.de/2019/11/fuer-kooperation-und-frie…
## AUTOREN
Sophie Lahusen
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