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# taz.de -- Europäische Verteidigung und Nato: Keine Angst vor Plan B
> Für den amerikanischen Schutz Europas gibt es keine Ewigkeitsgarantie.
> Wir müssen in Deutschland über die Zukunft der Nato diskutieren.
Bild: Frankreichs nuklear bewaffnete U-Boote – reicht das zur Absicherung Eur…
Der Sieger des Nato-Gipfels in London zum 70. Geburtstag des Bündnisses
heißt Emmanuel Macron. Mit seiner Aussage, die Nato sei „hirntot“, hat er
Bemerkenswertes erreicht: ein Bekenntnis des US-Präsidenten Donald Trump
zur Nato. Trump, der die Nato vorher als „obsolet“ gebrandmarkt hatte, wies
Macrons Aussage als „sehr, sehr bösartig“ zurück und sagte, die Nato diene
„großartigen Zielen“.
Dem kruden Diskussionsimpuls Macrons ist es zu verdanken, dass die Nato
einen „Reflexionsprozess unter Ägide des Generalsekretärs“ startet, mit d…
Ziel einer „Stärkung der politischen Dimension“ des Bündnisses. Dies ist
auch ein Erfolg von Außenminister Heiko Maas, der diesen Vorschlag als
Reaktion auf Macron ins Spiel gebracht hatte.
Der französische Präsident will genau diese politische Diskussion. Macron
sucht frische Antworten auf die Fragen: Wie garantieren wir Europas
Sicherheit gegenüber Russland, China und den Gefahren des Terrorismus? Was
sind die Zwecke der Nato? [1][Wie gehen wir im Bündnis miteinander um?]
Für unsere östlichen Nachbarn in Polen und im Baltikum sind die Antworten
klar. Nur die USA können Europas Sicherheit garantieren. Und der Zweck der
Nato ist der Schutz gegenüber einem aggressiven Russland. Macron hat gute
Gründe dafür, dass ihm diese Antworten nicht ausreichen. Der wichtigste
ist, dass es für den amerikanischen Schutz Europas keine Ewigkeitsgarantie
gibt.
## Die Nato als Rundum-sorglos-Paket
Der deutsch-europäische Deal mit Amerika ist historisch einmalig: Eine
bedingungslose Sicherheitsgarantie, kombiniert mit der Freiheit, politisch
Gegenpositionen beziehen zu können und wirtschaftlich in Wettbewerb zu
treten. Kein anderer Hegemon hatte je ein solches Rundum-sorglos-Paket im
Angebot. Und genau deshalb liegt es nahe anzunehmen, dass das Arrangement
mittel-und langfristig nicht halten wird. Auch nach Trump wird es kein
Zurück zum Status quo ante geben.
Auch im US-Mainstream findet ein Umdenken statt, gerade in der jüngeren
Generation. Josh Hawley, Republikaner und jüngstes Mitglied im US-Senat,
brachte dies in einer Rede zur Neujustierung der US-Außenpolitik letzten
Monat auf den Punkt. Die größte Herausforderung für die USA sei der
strategische Wettbewerb mit China. Russland sei eine ernste Bedrohung, aber
Amerika könne nicht alles machen, und da müssten Verbündete einspringen.
Und falls sich die USA je zwischen Europa und dem Indopazifik entscheiden
müssten, würden sie sich auf den Indopazifik fokussieren.
Auch Macron sieht, dass sich die USA von Europa abwenden könnten. Und dafür
muss Europa einen Plan B haben, für seine eigene Sicherheit zu sorgen. Und
um die Diskussion weiter zu befeuern, kündigte Macron für Anfang 2020 eine
Rede zur nuklearen Abschreckung inklusive eines möglichen europäischen
Schutzschirms auf Basis französischer Atomwaffen an.
## Einfache Antworten auf neue Bedrohungen
Deutschland ist für diese Debatte schlecht aufgestellt. Sowohl Die Linke
als auch Traditions-Transatlantiker täuschen einfache Antworten vor. Für
die Linkspartei ist die Sache klar. Selbst Stefan Liebich, der wohl größte
Realo unter ihren Außenpolitikern, hält die Allianz für einen „übrig
gebliebenen Zombie aus dem Kalten Krieg“, den „wirklich keiner mehr
brauche“. Das Ende der US-Schutzgarantie würde von der Linkspartei als Mehr
an Sicherheit für Deutschland verbucht werden. Weder Russland noch China
sind für sie eine Bedrohung, für die man Abschreckungsressourcen braucht.
Traditions-Transatlantiker wiederum verschließen sich der Diskussion, weil
für sie nicht sein darf, was nicht sein soll. Dabei liegt die Entscheidung
darüber nicht in unseren Händen, sondern in denen der USA. Der Aufbau
eigener Fähigkeiten wird auch nicht das Ende der Schutzgarantie der USA
provozieren. Europäische Machtressourcen haben Dual-use-Charakter. Im
schlechtesten Fall muss Europa sie einsetzen, um sich ohne den
US-Schutzschirm zu verteidigen. Im besten Fall kann Europa sie in die
Allianz einbringen. Und trotz gelegentlichen Zähneknirschens wird jede
US-Regierung einen Partner mit eigenen Fähigkeiten larmoyanten
Trittbrettfahrern vorziehen.
Natürlich ist der Aufbau eigener Fähigkeiten und erst recht die Diskussion
über eine europäische nukleare Abschreckung mit innenpolitischen Kosten
verbunden. Die Bundeskanzlerin scheut diese. Sie hat es bei dem auf bestem
Merkel’schen formulierten Bierzeltkommentar auf dem Wahlkampf 2017 bewenden
lassen, dass „die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen
konnten, ein Stück vorbei“ seien. Was das denn in puncto Aufbau eigener
Fähigkeiten heißt, dazu hat sie sich seitdem ausgeschwiegen. Immerhin
scheint die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer weiter gehen zu
wollen.
## Umfrage zeigt erstaunlichen Realitätssinn
Schlechter sind die Spitzen von Grünen und SPD aufgestellt.
Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock fordert das Ende der europäischen
Teilhabe an der nuklearen Abschreckung durch die USA. Und der neue
SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans schoss am Wochenende gegen das
2-Prozent-Ziel und die angebliche „Militarisierung“ der deutschen
Außenpolitik durch Kramp-Karrenbauer. Dies war wohl mehr Folklore für die
Parteiseele als eine wirkliche Formel für Europas Sicherheit in einer Welt
zunehmender Spannungen.
Ein großer Teil der Bevölkerung scheint weiter zu sein. Laut einer
aktuellen [2][Umfrage der Körber-Stiftung] glauben nur 22 Prozent der
Deutschen, dass wir uns weiter auf den nuklearen Schutzschirm der USA
verlassen können. 40 Prozent sagen, Deutschland solle einen europäischen
Schutzschirm anstreben, garantiert durch die Nuklearmächte Frankreich und
Großbritannien. 52 Prozent der Deutschen sind bereit, die
Verteidigungsausgaben zu verdoppeln, wenn dies größere Unabhängigkeit von
den USA garantiere. Darauf lässt sich in der Diskussion aufbauen. Wir
können uns nicht länger davor drücken.
9 Dec 2019
## LINKS
[1] /Streit-um-hoehere-Nato-Ausgaben/!5644956
[2] https://www.koerber-stiftung.de/fileadmin/user_upload/koerber-stiftung/reda…
## AUTOREN
Thorsten Benner
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