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# taz.de -- Nato-Gipfel in Großbritannien: Sprengkraft geht nicht aus
> Die Drei von der Zankstelle: Die Irrlichter Trump, Macron und Erdoğan
> überschatten den Gipfel zur Feier von 70 Jahren Nato.
Bild: Zwei von drei Präsidenten, die der Nato derzeit Probleme bereiten, am Di…
Watford/London taz | Der Winterhimmel war blau und wolkenlos, die Luft
frostig. Als hätten die britischen Gastgeber das Wetter bestellt,
zelebrierte die Nato ihren 70. Geburtstag in einem Luxus-Golfressort am
Ende der englischen Kleinstadt Watford am Mittwoch mit Bekenntnissen zur
Geschlossenheit, aber auch mit tiefen und ungelösten Differenzen.
„Die Rhetorik ist nicht immer gut, aber die Substanz schon“, fasste
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Abschluss die Befindlichkeit des
westlichen Militärbündnisses zusammen. „Die Nato bleibt der einzige Ort, wo
Europa und Nordamerika miteinander diskutieren, entscheiden und handeln.“
Wenn das alles ist, hat die Nato ein Problem. Das
„Drei-Präsidenten-Problem“ nannte das Kori Schake, die US-amerikanische
Vizedirektorin des Internationalen Instituts für Strategische Studien
(IISS), auf einer Fachtagung zu 70 Jahren Nato in London vorab. Die drei
Präsidenten sind: Trump, Erdoğan und Macron. Jeder der drei ist aus
Nato-Sicht völlig unberechenbar.
Trump stellt die finanziellen Grundlagen des Bündnisses an sich infrage.
Erdoğan kauft moderne russische Luftabwehr und zieht gegen kurdische
Nato-Partner in Syrien in den Krieg. Macron nennt nicht nur diesen Zustand
„hirntot“, [1][sondern will auch ein Ende der Konfrontation mit Moskau],
damit Europa unabhängig von den USA wird. All das ist geeignet, die
Fundamente der Nato nach 70 Jahren zu sprengen.
## Trump: Macrons Äußerungen seien „sehr, sehr böse“
In London geht es munter weiter. Trump nennt nach seiner Ankunft am
Dienstag Macrons Äußerungen „sehr, sehr böse“ und „respektlos“. Auf …
Empfang bei der Queen am Dienstagabend sollen Macron und der Kanadier
Justin Trudeau sich über Trump lustig gemacht haben.
Trump kontert am Mittwoch beim Gipfel, indem er seine eigene
Pressekonferenz absagt, parallel zum Auftritt des Nato-Generalsekretärs vor
US-Journalisten tritt, Trudeau als „doppelzüngig“ beschimpft und verkünde…
er habe genug gesagt und werde jetzt gehen. Nato-Generalsekretär
Stoltenberg bleibt nichts anderes übrig, als bei seiner
Abschlusspressekonferenz solche Differenzen zum Ausdruck einer
freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft zu erklären. Das Treffen
beginnt zwanzig Minuten früher als geplant, die Gipfelerklärung ist kurz
und belanglos.
Auf der großen Nato-Sicherheitskonferenz im Regierungsviertel Londons am
Dienstag war Stoltenberg deutlicher geworden. „Ich stimme ihm nicht zu“,
sagte er zu Macrons Hirntod-Bemerkung vor Hunderten Militärexperten und
Politikern aus allen Nato-Staaten – Deutschland allerdings so gut wie
unsichtbar – und wies zugleich die Trump-Sicht zurück. Die
Verteidigungsausgaben der Nato-Mitglieder wüchsen, die US-Militärpräsenz in
Europa auch. Auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace fand
klare Worte: „Wir müssen zusammenhalten. Keine Nebengeschäfte, keine
ausscherenden Stimmen.“
Doch angereiste Experten aus Frankreich und der Türkei sonnten sich
geradezu in der negativen Aufmerksamkeit, die ihren Ländern zuteil wird.
Eine Präsidentenberaterin aus Ankara antwortete auf die Frage nach Erdoğans
Junktim zwischen aktiverer Nato-Tätigkeit im Baltikum und einer
Nato-Einstufung der syrisch-kurdischen YPG als Terrororganisation: „Das ist
eine interne Nato-Angelegenheit und wir sollten darüber hier nicht
sprechen.“
## Stoltenberg: Über YPG sei nicht geredet worden
Nicht einmal unter Nato-Nerds? Ein französischer Militärexperte wurde von
einer Polin gefragt, ob Macron wisse, dass seine Forderung nach einer neuen
europäischen Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands genau die
Forderung Putins sei: „Ja, das weiß er.“
Auf dem Gipfel sei über die YPG nicht geredet worden, sagt Stoltenberg am
Mittwoch. Aber alle Nato-Mitglieder – implizit also auch die Türkei –
hätten die neue Osteuropastrategie gebilligt, die der Nato-Generalsekretär
als „die größte Stärkung unserer kollektiven Verteidigung seit einer
Generation“ preist. Es geht um die „Bereitschaftsinitiative“ der Nato, die
an ihrer Ostflanke innerhalb von 30 Tagen 30 Armeebataillone, 30
Luftgeschwader und 30 Kampfschiffe in den Einsatz schicken können will –
eine tatsächlich beispiellose Schlagkraft.
Nur vor dem Hintergrund verstärkter Abschreckung mache verstärkter Dialog
mit Russland Sinn, heißt es dazu. Damit haben sich die osteuropäischen
Nato-Mitglieder durchgesetzt. Sie sind im Umfeld des Gipfels am
präsentesten.
Besonders gefeiert wird der neueste Nato-Zuwachs: Nordmazedonien, ab dem
kommenden Jahr Nato-Mitglied Nummer 30. Der Premierminister ist aus Skopje
mit einer großen Delegation angereist. Die mazedonische Flagge ist die
erste, die man auf der von allen Nato-Flaggen gesäumte Londoner
Prachtstraße vom Trafalgar Square zum Buckingham Palace zu sehen bekommt.
Die Mazedonier fühlen sich wohl, auch weil hier Macron – der die Aufnahme
von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien blockiert hat – sowieso
Buhmann ist. „Wir sind gut genug für die Nato, aber nicht gut genug für die
EU“, lästert eine Mazedonierin.
## China ist erstmals offiziell Thema eines Nato-Gipfels
Die Militärexperten sorgen sich weniger um politische Fragen als um neue
Herausforderungen: hybride Kriegführung, die mit nichtmilitärischen Mitteln
wie Desinformation in sozialen Netzwerken Gegner zu schwächen versucht; der
Weltraum als neues Konfliktgebiet, wo satellitengestützte globale
Kommunikationsnetzwerke anfällig für elektronische Kriegführung sind.
[2][Und um China, das hier zum ersten Mal offiziell Thema eines
Nato-Gipfels ist]. Stoltenberg spricht von der Notwendigkeit von
Abrüstungsverhandlungen mit China. Der britische Premierminister Boris
Johnson stellt einen „strategischen Dialog“ in Aussicht.
Ist also die Zukunft der Nato gesichert? „Die Nato“, fasst
IISS-Vizedirektorin Schake zusammen, „ist der Ort, wo wir über die Dinge
reden, die uns nervös machen.“ Die werden auch in den nächsten 70 Jahren
nicht ausgehen.
4 Dec 2019
## LINKS
[1] /Experte-ueber-Russlands-Rolle-in-der-Welt/!5645798
[2] /China-ist-der-falsche-Nato-Gegner/!5647201
## AUTOREN
Dominic Johnson
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