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# taz.de -- Obama-Berater über US-Politik in Nahost: „Wir waren damals zu un…
> Ben Rhodes, einst Obamas außenpolitischer Berater, spricht über den
> Arabischen Frühling, Fehler der USA in Syrien und Donald Trump.
Bild: Rhodes fürchtet Trumps Wiederwahl: „Man kann in acht Jahren so viel me…
Ben Rhodes ist mit einem Flug aus Paris gekommen, jetzt sitzt er in der
Lounge eines Hamburger Hotels. Er kaut Kaugummi, etwas trinken möchte er
nicht. Rhodes, 41 Jahre, ist auf Europa-Reise, um sein Buch vorzustellen.
Am nächsten Tag wird er weiter nach Berlin reisen, dann nach München zur
[1][Sicherheitskonferenz]. Im Gespräch ist er sehr konzentriert – und macht
kein Geheimnis daraus, was er von Obamas Nachfolger hält: gar nichts.
taz am wochenende: Herr Rhodes, wie wird man eigentlich mit 31 Jahren
außenpolitischer Berater und Redenschreiber des US-Präsidenten?
Ben Rhodes: Eigentlich wollte ich immer Schriftsteller werden. Ich war 24
Jahre alt und studierte Kreatives Schreiben in New York, als ich am 11.
September 2001 mit eigenen Augen sah, wie die Türme des World Trade Centers
brannten und der erste in sich zusammenfiel. Danach entschied ich, dass
meine Arbeit irgendetwas mit der Antwort auf diese Angriffe zu tun haben
sollte. Wie immer diese Antwort auch aussehen sollte.
Also zogen Sie nach Washington.
Ich bekam dort einen Job als Redenschreiber für einen ehemaligen
Kongressabgeordneten – und der wurde dann Ko-Vorsitzender der Kommission,
die den 11. September untersuchte. Und anschließend auch der Kommission,
die den Irak-Krieg aufarbeitete und quasi eine Autopsie der
Entscheidungsprozesse durchführte. Dabei lernte ich vor allem, was die USA
nach 9/11 alles falsch gemacht hatten. Und dann tauchte Barack Obama auf.
Was faszinierte Sie an ihm?
Er war eine andere Art Politiker, ein entschiedener Gegner des Irak-Kriegs,
und er stand für einen Generationenwechsel, den wir dringend brauchten. Ich
wollte unbedingt für ihn arbeiten. Das Partei-Establishment der Demokraten
hatte damals voll auf Clinton gesetzt, in Obamas Wahlkampfteam engagierten
sich vor allem Junge. Mit 29 Jahren war ich deshalb sogar der Älteste im
Redenschreiberteam.
Und nach dem Wahlsieg wurden Sie einer der jüngsten Mitarbeiter im Weißen
Haus …
Ich erinnere mich, wie ich an meinem ersten Arbeitstag ins Weiße Haus kam.
Man stellt sich das alles glamourös vor, aber mein Büro war im Keller,
winzig und ohne Fenster. Der West Wing, in dem die Mitarbeiter des
Präsidenten arbeiten, ist wirklich überschaubar, circa 30 Büroräume. Dort
arbeiten ziemlich wenige Leute – verglichen mit der Größe der
Entscheidungen, die dort getroffen werden, und die das Leben von so vielen
Millionen Menschen rund um die Welt beeinflussen. Ich empfand das als
Druck, der vom ersten Tag an auf meinen Schultern lastete, und der erst
wieder weggegangen ist, als ich das Weiße Haus nach acht Jahren wieder
verlassen habe.
Obama setzte zu Beginn außenpolitisch stark auf die Kraft seiner Reden.
Sehr viel Aufsehen erregte [2][seine Rede an die islamische Welt in Kairo
im Juni 2009]. Sie haben diese Rede geschrieben.
Obama wollte nach acht Jahren Georg W. Bush, nach Folter, Abu Ghraib und
Guantanamo, ein neues Verhältnis zur islamischen Welt. Kairo sollte dieses
Signal senden – und dann ging es in der Rede natürlich auch um die
einzelnen Politikfelder: die Kriege in Afghanistan und im Irak, die
Israel-Palästina-Frage, die Iran-Atom-Frage.
Wie bereitet man eine so wichtige Rede eigentlich vor?
Es hat Vor- und Nachteile, Redenschreiber des Präsidenten zu sein. Zu den
Vorteilen zählt: Man hat unbegrenzten Zugriff auf Informationen, sämtliche
Analysen des Außenministeriums und der Geheimdienste. Und in den
Ministerien gibt es viele Experten, die man fragen kann. Bei der Kairo-Rede
habe ich auch mit vielen Muslimen gesprochen, die für die Regierung
arbeiten. Man fühlt sich mächtig, wenn man nur mal kurz um ein
Background-Briefing bittet – zu welcher Frage auch immer – und sofort
kümmert sich jemand, der sich richtig gut auskennt.
Und die Nachteile?
Minister, Sicherheitsberater, Experten – alle haben ihre Punkte, die der
Präsident in einer wichtigen Rede ansprechen soll. Und oft widersprechen
die sich untereinander. In der Regierung gibt es ja oft sehr
unterschiedliche Einschätzungen. Vor einer Rede bekam ich deshalb Hunderte
von E-Mails. Obama hatte aber selber oft sehr klare Ideen, was in die Rede
sollte und was nicht. Vor Kairo habe wir stundenlang im Oval Office
gesprochen.
Was ist das Schwierigste beim Redenschreiben?
Als Redenschreiber des Präsidenten haben Sie so viele unterschiedliche
Zuhörer und Leser. Vor der Kairo-Rede wissen Sie vorher: Die Amerikaner
werden sie lesen, christliche ebenso wie muslimische und jüdische
Amerikaner, die Ägypter werden sie lesen, die Muslime rund um die Welt,
auch die Taliban, die Hamas – eines meiner Lieblingsfotos zeigt
Hamas-Mitglieder, die sich im Fernseher die Rede anschauen. Da will man
echt keinen Fehler machen. Und man will auch niemanden durch eine falsche
Formulierung beleidigen. Das heißt aber nicht, dass man nicht trotzdem
Dinge anspricht, die Leute aufregen. Wenn man nur darauf achtet, dass sich
am Ende keiner aufregt, kommt eine völlig leere Rede dabei heraus.
Obama sprach in Kairo auch [3][über Demokratie in der islamischen Welt].
Manche ziehen eine gerade Linie von dieser Rede zum Arabischen Frühling.
Viele Jahre später, nachdem Obama schon nicht mehr Präsident war, sprach
ich mit einer palästinensischen Frau, die ich flüchtig kannte. Sie sagte,
sie habe die Kairo-Rede nie vergessen, die habe Muslimen so viel Hoffnung
gegeben und zum Arabischen Frühling geführt. Ich sagte: „Das glaube ich
nicht. Es gibt nichts in der Rede, das einen Arabischen Frühling nahelegt.“
Aber sie antwortete: „Es war nicht das, was Obama sagte. Es war die
Tatsache, dass da ein Schwarzer als amerikanischer Präsident sprach.“ Das
habe viele junge Menschen dazu gebracht, sich zu fragen: „Wenn dieser Mann
US-Präsident sein kann, warum können sich unsere Länder dann nicht
verändern?“
Als in Ägypten 2011 die Proteste gegen Präsident Mubarak begannen, änderten
sich auch die US-Beziehungen zu Ägypten.
Da gab es einen Generationenkonflikt im Weißen Haus. Die Älteren um
Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates
hatten viele Jahre mit Mubarak zusammengearbeitet. Sie hatten viel in ihn
investiert und sahen das bedroht. Es ging nicht nur um die Frage der
Demokratie. Das Hauptargument der Mubarak-Verteidiger war Stabilität, die
Menschen auf der Straße stünden für Instabilität. Wir Jüngeren, die wir auf
mehr Demokratie drängten, argumentierten: Die Situation ist im Moment mit
Mubarak nicht stabil, und sie wird es auch nicht wieder werden, solange
Mubarak im Amt bleibt. Ich fand unser Argument sehr pragmatisch.
Der Arabische Frühling in Ägypten endete in einer großen Enttäuschung.
Woran lag das?
Es gab diesen kurzen Moment der Hoffnung, ja. Ich hatte dann aber bald den
Eindruck, dass die US-Regierung ihren Fokus nie wirklich Richtung mehr
Demokratie in Ägypten verschoben hat. Im Nachhinein denke ich, dass das
ägyptische Militär es gezielt darauf angelegt hat, eine
Entweder-oder-Entscheidung herbeizuführen: entweder die Muslimbruderschaft
oder eine Militärregierung. Und das hat funktioniert.
Wenn Sie sagen, die US-Regierung insgesamt hat ihren Fokus nicht verschoben
– woran lag das? War der Regierungsapparat zu stark oder der Präsident zu
schwach?
Für die Leute im Verteidigungsministerium waren die ägyptischen Militärs
und Geheimdienste seit Jahrzehnten die Ansprechpartner, man kannte sich und
arbeitete zusammen. Sie drängten darauf, die Leute zu unterstützen, die sie
kannten. Und Obama hat sich dieser Ansicht schließlich gebeugt. Ich hatte
da einige Diskussionen mit ihm, aber er war von Anfang an auch skeptischer,
was den Arabischen Frühling betraf. Er verstand besser als ich, dass die
Fähigkeiten der USA, die Entwicklung in diesen Ländern zu beeinflussen,
sehr begrenzt sind.
Wie groß ist der amerikanische Einfluss denn? In Syrien hat Obama sich
zurückgehalten.
Einige der Leute, die zu Beginn des Arabischen Frühlings sehr laute
Skeptiker waren, dass man in Ägypten überhaupt etwas verändern könnte,
haben dann im Fall von Syrien behauptet, hier könnten die USA alles
richten. In Ägypten hatten wir zumindest einen Hebel, da waren wir der
militärische Verbündete – in Syrien ist das Russland. Aus Obamas Sicht war
es deshalb im syrischen Bürgerkrieg noch viel weniger möglich, die Dinge zu
beeinflussen.
In Syrien hatte Obama eine rote Linie gezogen. Wenn das Regime Giftgas
einsetzen würde, würden die USA militärisch eingreifen. Als im August 2013
Hunderte Menschen, darunter viele Kinder, [4][mit dem Nervengift Sarin aus
Beständen des Regimes getötet wurden], kündigte Obama eine militärische
Reaktion an. Die blieb dann aber aus. War das nicht ein Riesenfehler?
Wenn wir Syrien heute anschauen, kann ich natürlich nicht hier sitzen und
sagen: Wir haben alles richtig gemacht. Das wäre absurd. Die Möglichkeiten,
die die USA da hatten, werden aber gnadenlos überschätzt. Ich hatte lange
vor dem August 2013 für Luftschläge argumentiert, um das Gemetzel zu
stoppen. Aber ich begann auch zu zweifeln. Zum einen ist da die jüngere
Geschichte der US-Interventionen in Afghanistan, im Irak und in Libyen. In
drei Ländern haben die USA Diktatoren gestürzt – und in allen drei Ländern
hat das in keiner Weise die Probleme gelöst. Dazu kam noch etwas anderes:
Ich saß in diesen Meetings und plädierte dafür, die Startbahnen für Assads
Flugzeuge zu bombardieren. Obama sagte zu mir: „Was machen wir, wenn Assad
die wieder repariert?“ Er meinte, dass wir uns was vormachten, wenn wir
glaubten, in Syrien würden begrenzte Luftschläge eine Lösung bringen. Der
einzige Weg, Assad davon abzuhalten, sein eigenes Volk umzubringen, wäre
ihn von der Macht zu entfernen. Wissen Sie, was das bedeutet hätte? Boots
on the ground.
Aber eine rote Linie zu ziehen, und sie dann nicht durchzusetzen führt doch
dazu, dass Diktatoren denken, sie können sich alles erlauben.
Es ging nicht darum, nur ein paar Cruise Missiles auf syrische Militärbasen
abzufeuern. Das ändert nichts, das hat Trump ja vergangenen April
vorgemacht. Obama war überzeugt, dass man wenn, dann größer eingreifen
müsste. Das britische Parlament stimmte aber 2013 gegen jede britische
Beteiligung. Außer Frankreich wollte sich international niemand beteiligen.
Der republikanisch dominierte Kongress warnte Obama, keine Militärschläge
ohne Zustimmung des Kongresses zu unternehmen. Und die amerikanische
Öffentlichkeit war kriegsmüde.
Hätte die Entscheidung ohne den Irak-Krieg anders ausgesehen?
Ich bin ziemlich sicher, dass wir dann interveniert hätten. Aber wir hatten
bereits ein Jahrzehnt Kriege in Afghanistan und dem Irak geführt. Wir
hatten unvorstellbare Summen ausgegeben, Billionen von Dollar, wir hatten
Tausende Soldaten verloren. Und ab einem bestimmten Punkt kann man das
nicht mehr aufrechterhalten. Die Kritik an der Rote-Linie-Entscheidung
verstellt aber die Sicht auf eine entscheidendere Frage: Hätten wir früher
etwas anders machen können? Im Sommer 2011, als der Konflikt begann?
Was zum Beispiel?
Obama forderte Assad damals zum Rücktritt auf. War das richtig? Hätten wir
ihn gleich 2011 von der Macht entfernen sollen? Oder hätten wir auf mehr
Diplomatie setzen sollen? Ich habe keine Antwort auf diese Fragen.
Möglicherweise aber hätte eine stärkere diplomatische Intervention der USA
zu diesem Zeitpunkt noch etwas ändern können. Im Nachhinein würde ich
sagen: Wir waren damals zu unentschieden. Im Amerikanischen gibt es diesen
Ausdruck „halbschwanger“. Wir haben Assad aufgefordert, abzutreten. Wir
haben der Opposition etwas militärische Unterstützung gegeben – wir waren
also involviert und haben Erwartungen geweckt, dass Assad irgendwann fallen
würde, wollten ihn aber nicht selbst stürzen. Halb drinnen und halb draußen
zu sein – das ist eine gefährliche Position in der internationalen Politik.
Das sollte man unbedingt vermeiden.
Im Irak haben die USA voll interveniert – ein Desaster. In Libyen haben sie
eine Flugverbotszone eingerichtet und begrenzt interveniert – ein Desaster.
In Syrien haben sie nicht interveniert – ebenfalls ein Desaster. Was lässt
sich daraus lernen?
Die Lektion ist klar: Amerikanische Kriege für einen Regime Change
funktionieren nicht, besonders im Nahen Osten nicht, aber auch weltweit
nicht. Man kann das Militär für bestimmte eng definierte Aufgaben nutzen,
um ein Terror-Camp zu zerstören oder ein bestimmtes Massaker zu verhindern.
Aber einen Diktator zu stürzen, in einem Land, das man nicht besonders gut
versteht? Dann muss man sich auf ein jahrelanges, aufwendiges Engagement
einstellen. Und die US-Innenpolitik lässt das praktisch nicht zu.
In Ihrem Buch beschreiben Sie Begegnungen mit Streubomben-Opfern in Laos.
Dort werden heute noch Kinder von Blindgängern getötet oder verstümmelt,
die die USA vor 40 Jahren über dem Land abgeworfen haben. Hat das Ihren
Blick auf Militärschläge verändert?
Das hat meine bereits vorhandene Skepsis gegenüber militärischer Gewalt
noch verstärkt. Auf Laos haben wir mehr Bomben geworfen als im Zweiten
Weltkrieg auf Deutschland und Japan zusammen. Wahrscheinlich waren die
Menschen, die damals diese Bomben abwarfen, überzeugt, dass sie das
Richtige tun. Es gibt aber keine bessere Metapher für die unbeabsichtigten
Folgen eines Krieges als Kinder, die auch im Jahr 2019 noch durch Bomben
sterben, die wir in den 70ern abgeworfen haben. Und ich musste daran
denken, als gegen Ende von Obamas Amtszeit ein politischer Kommentator zu
mir sagte: „Obama ist der erste Präsident, der die moralische Autorität der
USA geopfert hat, weil er nicht in Syrien interveniert hat.“
Eine ziemlich absurde Behauptung.
Völlig absurd. Mir schossen sofort zwei Fragen durch den Kopf: Wie haben es
die US-Präsidenten, die für den Tod von Millionen Menschen in Südostasien
verantwortlich waren, geschafft, ihre moralische Autorität zu wahren? Und:
Wieso soll man seine moralische Autorität nur wahren können, indem man
Bomben wirft? Das ist doch eine bizarre Vorstellung.
Jetzt klingen Sie wie ein Pazifist …
Das bin ich nicht. Manchmal muss man in den Krieg ziehen, manchmal ist es
gerechtfertigt. Aber in den USA hängen wir zu sehr an der Idee, dass wir
unsere Ideale beweisen, indem wir andere Länder bombardieren.
Obama hat als Präsident viel von der Herrschaft des Rechts gesprochen.
Gleichzeitig ist die [5][Zahl gezielter Tötungen mit Drohnen] während
seiner Präsidentschaft stark gestiegen. Wie haben Sie das mit Ihren Idealen
zusammenbekommen?
Bei den Drohnen habe ich sehr gemischte Gefühle. Ich glaube, dass es Fälle
gibt, in denen ihr Einsatz angemessen ist. Erst mal sind sie ja nur eine
andere Form der Kriegsführung. Ob man ein Terroristen-Camp mit einer Drohne
oder einer Cruise Missile angreift, macht keinen Unterschied.
Gerade bei Drohnenangriffen wurden viele Zivilisten getötet.
Das Risiko gibt es aber bei jeder Form von Gewaltanwendung. Deshalb ist die
Frage auch nicht: Ist der Einsatz einer Drohne gerechtfertigt, sondern: Ist
Gewaltanwendung gerechtfertigt? Und da würde ich sagen, bei vielen
Drohneneinsätzen war das der Fall, wenn es zum Beispiel darum ging,
Al-Qaida zu bekämpfen. Aber: Drohnen werden zu oft eingesetzt. Die
Drohnenkritik hat damit Recht, dass es sich zu einfach anfühlt, Drohnen
loszuschicken. US-Regierungen neigen dazu, eine neu erworbene Fähigkeit oft
zu nutzen. Das wird schnell kontraproduktiv – wenn Zivilisten getötet
werden, ist das ja nicht nur ein moralisches Versagen. Es bringt auch die
lokale Bevölkerung gegen die USA auf.
Sie haben sehr viel Arbeit in das Iran-Abkommen gesteckt und dafür gesorgt,
dass es im Kongress nach seiner Unterzeichnung nicht blockiert wurde.
[6][Vergangenen Mai hat Donald Trump es einseitig gekündigt] und neue
Sanktionen in Kraft gesetzt. Der Frust muss groß sein.
Nachdem wir so lange daran gearbeitet hatten und ich dafür sehr viel Kritik
eingesteckt habe, ist das wahnsinnig schmerzhaft. Es ist deprimierend, vor
allem weil es ein Rückzug ohne jede logische Begründung ist. Der Iran hält
sich an die Abmachungen, und die Trump-Regierung hat überhaupt keinen
alternativen Plan – wenn Trump hier sitzen würde, könnte er uns bestimmt
nicht mal erklären, was in dem Abkommen drinsteht. Für ihn reicht es, dass
Obama es abgeschlossen hat.
Also war die ganze Arbeit vergeblich?
Nein. Es ist seit der iranischen Revolution das erste Beispiel, dass man
mit dem Iran zu substanziellen Ergebnissen kommen kann, wenn man
verhandelt. Und vielleicht gelingt es den Europäern auch, das Abkommen für
die nächsten zwei Jahre am Leben zu erhalten.
Die Trump-Regierung macht enormen Druck auf europäische Firmen, die weiter
mit dem Iran Geschäfte machen wollen.
Das wird sehr schwer für Europa. Meine Hoffnung ist, dass der nächste
US-Präsident – hoffentlich in zwei Jahren – zu etwas Ähnlichem wie dem
jetzigen Abkommen zurückkehren wird. Wir haben eine Vorlage geschaffen.
Klar wird aber einmal wieder, dass Trump keine Probleme löst, sondern neue
schafft. Das Risiko eines Kriegs mit dem Iran wird in den kommenden Jahren
noch steigen. Trump kann zu Hause keine Gesetze mehr durchsetzen, weil das
Repräsentantenhaus jetzt den Demokraten gehört. Er hat den Skandal mit den
Russland-Ermittlungen im Nacken – da könnte er versucht sein, nach einem
Feld zu suchen, auf dem er sich behaupten kann. Und das könnte der Konflikt
mit dem Iran sein.
Anfang Februar hat die US-Regierung den Austritt aus dem
INF-Abrüstungsvertrag erklärt, der landgestützte nukleare
Mittelstreckenraketen verbietet. Das weckt in Deutschland Erinnerungen an
den Kalten Krieg.
Das ist eine genauso dumme Entscheidung. Die Obama-Regierung hatte Russland
ebenfalls wegen Verletzung des Vertrags kritisiert, aber wir haben ihn
nicht gekündigt. Nur weil man bei der Durchsetzung Probleme hat, wirft man
ihn doch nicht gleich weg. Die Gefahr jetzt ist, dass das Wettrüsten wieder
voll losgeht. Mit dem Vertrag hatte man zumindest eine Grundlage, auf der
man die Russen auf Vertragsverletzungen hinweisen konnte. Ohne Vertrag hat
man nichts.
In den vergangenen zwei Jahren wurde viel darüber gesprochen, wie sich die
transatlantische Partnerschaft verändert hat. Kann die sich jemals von
Trump erholen?
Das hängt von der nächsten Präsidentschaftswahl ab. Wenn Trump
wiedergewählt wird, wird das die transatlantische Partnerschaft für immer
verändern. Man kann in acht Jahren so viel mehr zerstören als in vier. Wenn
2020 ein Demokrat gewählt wird, könnte die transatlantische Partnerschaft
wieder ein zentraler Baustein der internationalen Ordnung werden. Aber auch
das würde dauern. Wenn ich nach Europa oder Asien komme, höre ich viele
besorgte Stimmen, die noch immer nicht darüber hinweg sind, dass Trump
überhaupt Präsident werden konnte. Wie konnten die US-Bürger jemanden
wählen, der so ungeeignet für dieses Amt ist? Diese Zweifel an der
amerikanischen Demokratie werden noch lange nach Trump bleiben.
16 Feb 2019
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Jan Pfaff
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