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# taz.de -- Polizeiaufgabengesetz in Brandenburg: Im Namen der gefühlten Siche…
> Wie in nahezu allen Bundesländern verschärft auch Brandenburg sein
> Polizeiaufgabengesetz. Die mitregierende Linkspartei trägt das mit.
Bild: Machen alles sicherer? Spezialeinsatzkräfte bei einer Anti-Terror-Übung
Potsdam taz | In Brandenburg protestiert die mitregierende Linke gegen sich
selbst. Jedenfalls jene Genossen, die sich dem Bündnis gegen das
beabsichtigte neue Polizeigesetz angeschlossen haben, darunter vier
Kreisverbände. Zu den Kritikern zählt auch ihr ehemaliger Justizminister
Volkmar Schöneburg. Und auch nebenan in Sachsen organisiert die Linke Foren
und Proteste gegen die dort geplante Verschärfung des
Landespolizeigesetzes, während ihre Genossen in der Brandenburger
Landtagsfraktion den SPD-Gesetzentwurf bestenfalls abzumildern versuchen.
Die Sozis bieten im Ländervergleich ein ähnlich schizophrenes Bild. Während
die SPD als Juniorpartner in Sachsen ein bisschen Kosmetik am
CDU-Polizeigesetz durchsetzen will, legt ihr Parteifreund, Innenminister
Karl-Heinz Schröter, in Brandenburg einen der schärfsten Gesetzentwürfe
dieser Art vor.
„Brandenburg ist sicherer geworden“, hatte Innenminister Schröter noch im
Frühjahr 2018 verkündet. Wie in der Bundesrepublik insgesamt geht die
Kriminalität auch in Brandenburg [1][seit zehn Jahren zurück]. Nur bei
Gewaltdelikten gibt es seit 2016 einen leichten Wiederanstieg. Dem
niedrigen Kriminalitätsstand steht die beste Aufklärungsquote im
vergangenen Jahrzehnt gegenüber. „Brandenburg ist nicht Kalabrien“, hieß …
auch bei einer Landtagsanhörung zum Gesetzentwurf im Januar. Experten
versuchten die realen Bedrohungen einzuschätzen und bewerteten das Gesetz
größtenteils als unverhältnismäßig.
Dennoch behauptet das Innenministerium auf seiner Seite zur Novelle des
Polizeiaufgabengesetzes, dass die Terror- und Gefährdungslage angespannt
sei. „Zum Schutz der Bevölkerung ist es zwingend erforderlich,
Sicherheitslücken zu schließen“, erklärt das Ministerium den Bürgern.
Deshalb folgt auch Brandenburg jener Welle von [2][Verschärfungen der
Polizeigesetze], die durch die meisten Bundesländer rollt. Denn die
gefühlte Sicherheitslage ist eine andere. Eine Umfrage der Zeitung
Märkische Allgemeine ergab eine deutliche Mehrheit für die Verschärfung des
Polizeigesetzes. „Es gibt eine stark symbolische Betrachtung, fast
Hysterie“, konstatiert Hans-Jürgen Scharfenberg, innenpolitischer Sprecher
der Linksfraktion im Potsdamer Landtag.
## „Balance zwischen Sicherheit und Freiheit“
Böse gesagt könnte den 64-jährigen promovierten Staatsrechtler seine
frühere Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit der DDR für sein
sicherheitspolitisches Amt prädestinieren. Aber im Gespräch wird sein
Dilemma deutlich. Es ist auch das Dilemma der bürgerrechtlich orientierten
Grünen in Regierungsverantwortung, wenn sie beispielsweise [3][den
Staatstrojaner] oder [4][die elektronische Fußfessel] wie in Hessen oder
Rheinland-Pfalz mittragen.
Innenpolitiker Scharfenberg möchte auch gern wie die Mehrheit seiner
Linken, bekennt sich aber auch zur Verantwortung gegenüber einer
Bevölkerungsmehrheit. Für Sicherheit oder genauer gefühlte Sicherheit sind
ja viele bereit, Persönlichkeits- und Freiheitsrechte zu opfern. „Es gilt
jetzt, auf eine Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu achten“, mahnt
er quasi sich selbst und seine Partei.
Was will nun das SPD-geführte Innenministerium ins Gesetz schreiben? „Die
Koalition wird das Polizeigesetz für eine noch wirksamere Bekämpfung von
Straftaten fortentwickeln“, steht im 2014 zwischen SPD und Linken
geschlossenen Koalitionsvertrag. Spezifiziert wird diese Weiterentwicklung
nicht. Vorbehaltlich einer erfolgreichen Evaluation des bestehenden
Gesetzes wird nur auf die automatische Kennzeichenfahndung und die
Videoüberwachung verwiesen. Der Änderungsentwurf der Landesregierung sieht
nun eine Erweiterung der Polizeibefugnisse, den Einsatz moderner
technischer Mittel und einen besseren Schutz der Polizisten vor.
Die erweiterten Eingriffsmöglichkeiten der Polizei sind überwiegend
präventiver Art und sollen in erster Linie der Terrorabwehr dienen. Ein
Terrorverdächtiger kann bis zu vier Wochen inhaftiert werden.
Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ermöglicht den Mitschnitt durch
Behörden. Beide Maßnahmen stehen allerdings unter Richtervorbehalt, eine
Datenspeicherung ist unzulässig. Potenzielle Straftäter können zum Verbleib
an ihrem Wohnsitz verpflichtet, bestimmte Kontakte können ihnen untersagt
werden. Schleierfahndung wird im ganzen Bundesland möglich. Die
Speicherfrist für Überwachungsvideos wird auf zwei Wochen erhöht.
Polizisten dürfen in öffentlichen Räumen zu ihrem Schutz Bodycams tragen.
Im Ernstfall ist zur Terrorabwehr der Einsatz von Sprengstoff oder
Handgranaten erlaubt.
## Unkalkulierbares Risiko
„Da haben wir schon die Hälfte aus dem SPD-Entwurf rausgestrichen“, bemerkt
bemüht humorvoll der Linke Hans-Jürgen Scharfenberg. Er reagiert damit auf
eine Äußerung seiner Landesvorsitzenden Anja Mayer, die Linke setze sich
„für die Stärkung der Bürgerrechte ein und schärft so deutlich unser Prof…
als Bürgerrechtspartei“. In Sondierungsgesprächen mit der SPD noch in der
Entwurfsphase wurde auf Verlangen der Linken etwa die Online-Durchsuchung
gekippt. Aber auch für die von der Linken erstmals grummelnd mitgetragene
Quellen-TKÜ ist ein sogenannter Staatstrojaner erforderlich.
Sogar Fredrik Roggan von der Fachhochschule der Brandenburger Polizei
mahnte, die Verknüpfung der Quellen-TKÜ mit dem Recht auf heimliche
Wohnungsdurchsuchung sei ein Verstoß gegen das im Grundgesetzartikel 13
verankerte Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Eine Beschränkung auf
„laufende Verfahren“ sei praktisch nicht sauber zu gewährleisten. Diesen
Einsatz lehnt auch die Landesdatenschutzbeauftragte Dagmar Hartge ab. Mit
der Infiltration von Computern oder Smartphones sei „die entscheidende
Hürde genommen, um das System insgesamt auszuspähen“.
Ulf Burmeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) befürchtet eine
„Kultur der kalkulierten IT-Unsicherheit“. Polizeipraktiker aus anderen
Bundesländern bezeichneten in der Anhörung das Gesetzesvorhaben hingegen
als ausgewogen und zwingend erforderlich. Der bis 2013 amtierende linke
Landesjustizminister Volkmar Schöneburg würdigte zwar die „Bewahrung vor
dem Schlimmsten“ im Gesetzentwurf. Im schwammigen Begriff der „drohenden
Gefahr“ sieht er aber ein unkalkulierbares Risiko. Schöneburg bezweifelt
die Notwendigkeit einer eher symbolpolitischen Gesetzesverschärfung
Richtung Sicherheitsgesellschaft. Auch die netzpolitische Sprecherin der
Linken-Bundestagsfraktion, Anke Domscheit-Berg, attackiert den geplanten
Einsatz des Staatstrojaners.
Das Bündnis gegen das neue Brandenburger Polizeigesetz hat schon im
November demonstriert. Im März soll der Innenausschuss des Landtages
abschließend beraten, spätestens im April das Plenum. Denn die Legislatur
endet im Sommer und so oder so wird die innere Sicherheit auch ein Thema
der Landtagswahlen am 1. September sein. Bleibt Innenpolitiker Scharfenberg
bei der Schaukelartistik seiner Partei in Sachen Polizeigesetz nur der
vergleichende Trost: „Brandenburg ist nicht Bayern!“
12 Feb 2019
## LINKS
[1] /Rechte-Gewalt-in-Berlin-und-Brandenburg/!5488362
[2] /Protest-gegen-Landespolizeigesetze/!5557598
[3] /Neues-Polizeigesetz-in-Hessen/!5511982
[4] /Verschaerfung-der-Polizeigesetze/!5503486
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Polizei
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