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# taz.de -- Zu Besuch beim Black Food Festival: Transhumanismus für Mensch Mei…
> Es ist aktivkohlegefärbt, instagrammable und schmeckt gar nicht speziell:
> schwarzes Essen. Was sagt der Trend über unsere Gesellschaft aus?
Bild: Schwarz, durch und durch: schwarze Bagels beim Black Food Festival
Jeder Essenstrend lässt sich mit dem Wiegemesser der kritischen Theorie
zerlegen. Die immer neu „entdeckten“ Länderküchen, die [1][auf
Thaifoodmärkten] und in georgischen Klausen zelebriert werden, Essen statt
Urlaub. Superfoods, Quinoa und Moringa-Pulver, die den Körper funktional
stärken sollen, ihn in letzter Konsequenz jedoch als bloßen
Input-Output-Facilitator begreifen. Dann Tech-Essen, Astrofood und
[2][künstliches Fleisch aus Stammzellen], das, anstatt die Welt zu einem
besseren Ort zu machen, doch bloß den Konsum fetischisiert.
Black Food aber, schwarzes Essen also: Das ist nicht gesünder als etwa
lilanes oder gelbes. Es kommt nicht aus dem Labor, es verklärt nichts und
verhilft auch nichts und niemandem zur Emanzipation. Es ist einfach nur
schwarz. Oder?
Im Vorfeld des Berliner „Black Food Festival“ sind auf Facebook über 30.000
Menschen „interessiert“. Vorm „Badehaus“, wo sich einst die Arbeiter ei…
Reichsbahn-Ausbesserungswerks womöglich schwarzen Ruß vom Körper wuschen,
stehen immerhin gut hundert Menschen an. Zwölf Euro Eintritt zahlen sie,
ohne Essen. Als Handreichung gibt es vier Ein-Euro-Probiergutscheine und
einen Lolli, der die Zunge schwarz färbt.
Drinnen fläzt sich Marc Alan Gray, ein New Yorker
„Food-und-Drink-Enthusiast“, auf einer kleinen Bühne. Gray gibt hier den
Impresario. Immer mehr Foodies, denen der Enthusiasmus ganz und gar nicht
ins Gesicht geschrieben steht, schieben sich durch die kleinen Räume und
stellen sich verlegen irgendwo an. An den zwölf Ständen gibt es schwarze
Brötchen für sieben Euro, immerhin opulent belegt, Macarons in Anthrazit
und Reis in Algen.
## „Hier gab’s auch nichts Cooles mehr, oder?“
Videoreporter*innen von RBB und WeltN24 huschen umher, fragen Mampfende, ob
es denn schmecke – und ob man das mal filmen könne, wie man da in den
schwarzen Bagel beiße. In einem Nebenraum werden schwarze Cocktails
gerührt, an der Türschwelle neigt sich eine junge Frau zu ihrer Freundin:
„Hier gab’s auch nichts Cooles mehr, oder?“
Manche Lebensmittel sind beim Verzehr ohnehin schwarz: Kaviar, Kaffee,
Brombeeren, Auberginen etwa. In Pflanzen sorgen Anthocyane für die schwarze
Farbe. Dann gibt es Oliven. Schwarz werden die entweder mit zunehmender
Reife oder mithilfe von Eisengluconat. Laut „World Olive Encyclopedia“ soll
dieses Schwärzen durch Oxidation erstmals in Kalifornien angewendet worden
sein, zu Beginn des 20. Jahrhunderts – um Bitterstoffe zu reduzieren; auch
wenn manche behaupten, geschwärzte Oliven würden im Grunde gleich schmecken
wie grüne. Was schon deshalb nicht stimmt, weil den grünen Supermarktoliven
Milchsäure zugesetzt wird, sie sind saurer und spürbar fester.
Durchgesetzt haben sich jedenfalls die geschwärzten. Schwarzes Essen ist
definitiv kein neues Phänomen. Schon in den Neunzigern wurden gerne
schwarze Linguine aus dem Supermarktregal gezogen. 2013 versetzte dann eine
Hotdog-Kette in Tokio ihre Brötchen und Würstchen mit Aktivkohle.„Um uns
von anderen Fast-Food-Läden abzusetzen“, wie ein Verkäufer [3][in einem
Beitrag] der Pro-7-Sendung „Galileo“ offenbarte, und: „Schmeckt nach
schwarzem Pfeffer.“
So weit der Gründungsmythos. Seit einigen Jahren geistert der
Black-Food-Trend nun durch Blogs und Instagram, erst in Asien, irgendwann
auch hier: Im Ewigsommer 2018 wurden vermehrt pechschwarze Waffeln an
deutschen Eisdielen gesichtet.
Die Berliner Festival-Paella wird so wie die 90er-Linguine durch
Tintenfischtinte schwarz. Alles andere im Badehaus, die Burger, Waffeln und
Macarons, enthalten Aktivkohle. Schmeckt das nun anders, gar nach schwarzem
Pfeffer? Nun ja. „Das Ganze ist schon Geldmacherei“, sagt eine Besucherin
und beißt in ein schwarzes Karottenküchlein.
Küchenpsychoanalytisch betrachtet könnte schwarzes Essen das große Andere
des Essens sein. Das Andere, das von der gegenüberliegenden Seite des
natürlichen Kreislaufs herüber winkt wie das Yang dem Yin. Nehmen wir ein
schwarzes Pita-Brot: Es erinnert an verbranntes Brot. Tatsächlich verkohlt
würde dieses Acrylamid enthalten, krebserregend für den Menschen;
verbrannte Felder und Wälder wiederum sind äußerst fruchtbar. Dann die
Assoziation einer schwarzen Hotdog-Roll zu einer Kackwurst – schwarzes
Essen ist also auch bezogen auf den Metabolismus auf der anderen Seite
angesiedelt. Kot wird nach schwarzem Essen grün.
Somit wäre Black Food ein Schritt in die Transzendenz, der auch für Leute
erschwinglich ist, die sich keine Rente auf dem Mars leisten können.
Transhumanismus für Mensch Meier.
Im Badehaus steht derweil die Preisverleihung des „Black Food of the Year
2018“ an. Es plätschern Worte aus Marc Alan Gray, dem New Yorker
Food-Impresario: Noch seien es vielleicht nur ein paar Stände, aber man
werde ein Imperium errichten. Ach wo, Imperien! „It is a start of empires –
let us reach out for the stars.“ Sagt er wirklich. Das schwarze Essen des
Jahres 2018 kürt Gray dann ohne weiteres Gewese: Es sind frittierte
Mehlwürmer und Grillen auf Aktivkohle-gefärbter Polenta. Wundersam, fehlt
hier doch vollkommen die Würze, trieft der Maisgrieß von Öl und verfangen
sich die kleineren Würmer hartnäckig zwischen den hinteren Backenzähnen.
Köche und Gastrokritikerinnen beklagen gerne, dass Foodblogs Essen aufs
Visuelle reduzieren. Dabei würden der Sinn für Geschmack, Geruch, die
Haptik des Gaumens flöten gehen – ganze Welten! Auch #blackfood ist
natürlich höchst instagrammable. Aber was schreibt der Account @foodpilots
da unter einen schwarzen Käsekuchen: „Even if it irritates at first, it
tastes like a normal cheesecake – but hey, what is normal nowadays?“
## Gedünstete Schwimmnudel
Schwarzem Essen könnte auf Blogs und Instagram eine geradezu paradoxe
Funktion zukommen: Es sieht nicht nach Essen aus, wird aber vielleicht
gerade deshalb geschmacklich wieder wahrgenommen. Weil man sich einen
schwarzen Hotdog mit einer anderen Achtsamkeit in den Mund schiebt als
einen gewöhnlichen, blassrosa in mattem Gelb.
Probieren wir’s aus: Wie eine gedünstete Schwimmnudel im Schaumstoffbett
ruht die schwarze Wurst im Hotdog-Brot. Der erste Biss noch zögernd, die
Süße des Ketchups schießt von den Zungenzäpfchen ins Hirn, eine Spur
spätkapitalistischer Kindlichkeit. Weißgrünliche Salat-Schnipsel und
bräunlich-goldene Röstzwiebeln kitzelknuspern im Gaumen, es zieht ein wenig
in der Nase, wie die entfernte Ahnung einer Maggi-Fertigsuppenfabrik. Aber
so ganz lässt sich das ohnehin nicht in Worte fassen.
Denn Schwarz ist schließlich, genau genommen, nicht mal eine Farbe, sondern
deren Abwesenheit.
22 Jan 2019
## LINKS
[1] /taz-Serie-Was-macht-eigentlich--Teil-2/!5558490
[2] /Aus-Le-Monde-diplomatique/!5472890
[3] https://www.youtube.com/watch?v=mytHByHqycQ
## AUTOREN
Fabian Stark
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