# taz.de -- Ernährungsberaterin über das Internet: „Wir leben im Scharaffen… | |
> Früher lieferten Frauenzeitschriften Ernährungstipps und schlechte Laune, | |
> heute gibt es Instagram und Foodblogger. Eva-Maria Endres erforscht die | |
> Wirkung. | |
Bild: Und dann ist das Essen kalt! | |
taz am wochenende: Frau Endres, machen Sie manchmal Fotos von Ihrem Essen | |
und stellen sie auf Instagram? | |
Eva-Maria Endres: Ab und zu. Das macht ja auch Spaß. Allerdings finde ich | |
es grundsätzlich zu zeitaufwendig und vergesse über einem guten Essen | |
häufig, Fotos und Posts zu machen. | |
Sie beobachten schon länger, wie sich das Thema Ernährung auf Facebook, | |
Instagram, Twitter und Co. spiegelt und haben dazu auch ein Buch | |
geschrieben. | |
Als ich 2013 damit begann, war das Thema noch recht unerforscht, es gab elf | |
Studien dazu. 2018 waren es schon über 200. Ich habe versucht, diese | |
Studien zusammenzufassen und daraus Schlüsse zu ziehen. | |
Wie sind Sie dabei vorgegangen? | |
Man kann fünf Themenbereiche abgrenzen. Neben gesunder Ernährung sind das: | |
Übergewicht und Abnehmen. Essstörungen. Ökologie und Nachhaltigkeit. Und | |
Genuss, aber das ist in der Wissenschaft ein vergleichsweise kleines | |
Segment. Was ich interessant finde: In all diesen Bereichen wird völlig | |
unterschiedlich kommuniziert. | |
Nämlich? | |
Beim Thema gesundes Essen ist es beispielsweise extrem moralisch. Es werden | |
innerhalb der Community sehr restriktive Regeln propagiert, teilweise noch | |
strenger als etwa die Ernährungsmaßgabe der Deutschen Gesellschaft für | |
Ernährung. Über Verstöße wird fast nicht berichtet, und falls doch, dann | |
gleich über die Sühne, die man sich selbst auferlegt hat – eine halbe | |
Stunde auf dem Laufband oder Ähnliches. | |
Das klingt nicht unbedingt gesund. | |
Nehmen wir den Hashtag #fitspiration. Auf Instagram werden dazu Bilder von | |
einem gesunden Lebensstil gepostet, meist von sehr durchtrainierten | |
Körpern. Es gibt Studien dazu, die Wissenschaftler haben sich gefragt: Was | |
passiert mit Menschen, die dem Hashtag über einen längeren Zeitraum folgen? | |
Und, was passiert? | |
Es führt dazu, dass man ein schlechteres Selbstwertgefühl hat, dass man | |
sich hässlicher findet. Und auch dazu, dass es eine Tendenz zu Essstörungen | |
gibt. | |
Früher haben so etwas Frauenzeitschriften gemacht. | |
Und jetzt passiert so etwas im Internet. Das Problem ist: Soziale Medien | |
vermitteln einen Eindruck von Authentizität, alles wirkt wie aus dem echten | |
Leben. Dabei werden hier inzwischen Fotos genauso gephotoshoppt wie in | |
Hochglanzmagazinen. Der Einfluss der sozialen Medien darauf, wie | |
Schlankheitsideale in der Gesellschaft propagiert werden, ist enorm. | |
Haben auch die Fake-Infos über Ernährung zugenommen? | |
Ja, eindeutig. Es gibt immer mehr Laien, die die Bevölkerung über Ernährung | |
beraten. Foodblogger schreiben inzwischen auch Ernährungsratgeber. Oft | |
haben sie aber keinen fachlichen Hintergrund, sondern nicht viel mehr als | |
ihre eigenen Erfahrungen. | |
Ernährungsberater haben deswegen aber nicht weniger Arbeit. | |
Nein, nur treffen sie auf Menschen, die oft schon eine monatelange | |
Selbsttherapie mit Unterstützung des Internets hinter sich haben. Wer | |
Probleme mit seiner Ernährung hat, geht heute erst im letzten Schritt zum | |
Arzt und dann zur Ernährungsberatung. | |
Dort kommt dann erst mal das gesamte Halbwissen auf den Tisch … | |
… und als Ernährungsberaterin ist man dann erst einmal damit beschäftigt, | |
all die Fehlinformationen auseinanderzuklamüsern. Gerade bei Menschen mit | |
ernsthaften Problemen, mit einer Essstörung, starkem Übergewicht oder einer | |
diagnostizierten Zöliakie, trägt es nicht dazu bei, dass sie sich sicherer | |
fühlen und ihr Essverhalten verbessern können, sondern es sorgt für viel | |
mehr Verwirrung. Als ich anfing, mich mit den sozialen Medien zu | |
beschäftigen, war meine Hoffnung die, dass Ernährungskommunikation hier | |
besser funktionieren könnte, verbraucherfreundlich, alltagsnäher. | |
Anschaulicher, zum Beispiel, indem man Rezepte teilt. Aber so positiv ist | |
es leider nicht. Das hat auch mit den Kommunikationsmechanismen zu tun. | |
Was haben Sie dazu herausgefunden? | |
Ich habe mal geschaut, wer auf Facebook die Hauptakteure im | |
Ernährungsbereich sind. Dort geben vor allem die NGOs den Ton an, große wie | |
Greenpeace, WWF oder Foodwatch, aber auch viele kleinere. Solchen | |
Organisationen gelingt es, plakativer, skandalträchtiger, markanter zu | |
formulieren, leider manchmal auch näher an der Grenze zur Unsachlichkeit. | |
Für die Wissenschaft, aber auch für Behörden ist es viel schwieriger, hier | |
eine Sprache zu finden, die gehört wird. Es gibt keine Waffengleichheit. | |
Ohne Skandalisierung geht es oft kaum. | |
Leider. Das Publikum ist inzwischen sehr für Skandale sensibilisiert, es | |
gibt geradezu eine Erwartungshaltung. Darauf reagieren die Akteure. | |
Ernährungsdiskurse werden deshalb immer weniger auf einer sachlichen, | |
entspannten Ebene geführt, auch in klassischen Medien. Es ist zwar wichtig, | |
auch die Lebensmittelindustrie infrage zu stellen, die | |
Produktionstechniken, Verbesserungen zu fordern. Und natürlich können | |
unsere Lebensmittel noch viel gesünder werden, aber man muss sich auf der | |
anderen Seite auch mal vor Augen führen, dass unsere Lebensmittel so sicher | |
sind wie noch nie. Wir leben in einem Schlaraffenland. Da haben viele den | |
Bezug zur Realität verloren. | |
Das ist ein ernüchterndes Fazit. Haben Sie denn auch positive Aspekte | |
gefunden? | |
Ja, etwa im Themenbereich Übergewicht und Abnehmen. Übergewichtige sind | |
mittlerweile die mit am stärksten diskriminierte Bevölkerungsgruppe. Sie | |
haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu sich selbst: Es gibt da Blogger, | |
die sehr dafür eintreten, dass Übergewicht und Übergewichtige in der | |
Gesellschaft eher anerkannt werden – ein sehr emanzipativer Gestus. | |
Gleichzeitig wollen viele auch abnehmen und setzen sich eine Challenge, die | |
sie online dokumentieren. Gerade dieser Bereich ist ein Beispiel dafür, | |
dass man auch anders in den sozialen Medien kommunizieren kann. | |
Wie ist hier der Tonfall? | |
Es gibt Blogs, in denen übergewichtige Menschen teilweise über fünf oder | |
zehn Jahre beschreiben, wie sie abzunehmen versuchen, wie sie auch | |
Rückschläge erleben. Diese Blogger haben eine Community aufgebaut, die sie | |
seit Jahren begleiten, es entwickeln sich feste Freundschaften und ein | |
stabiles Netzwerk. Hier ist die Kommunikation ganz anders, viel | |
verständnisvoller. Da ist es eben nicht so schlimm, wenn man mal ein Stück | |
Schokotorte isst, da gehören Rückschläge dazu. Zu wissen, es stehen Leute | |
hinter einem, die einen auch auffangen, wenn man doch wieder fünf Kilo | |
zugenommen hat, ist ganz wichtig, wenn man abnehmen will. Das eröffnet | |
enorme Therapiemöglichkeiten, etwa für den Bereich Adipositas. | |
14 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
Michael Brake | |
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