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# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Das Gegenteil von Foodporn
> Es ist nicht alles verstreuselter Amaranth und Sepia in der
> Essensfotografie. Warum hässliche Gerichte jedoch bald verschwinden
> werden.
Bild: Foodporn. Da liegt fast mehr Essen auf dem Tisch als auf dem Teller
Eiterfarbene Klumpen. Eine schnelle Amateuraufnahme, von so kurzer
Entfernung fotografiert, dass der Glibber das Blitzlicht spiegelt.
Dreieinhalb Sterne hat das Bild von der Community erhalten und ist damit
das am Besten bewertete in der Reihe. Wir surfen [1][auf chefkoch.de]. Mhh,
lecker Aioli.
[2][Chefkoch.de] ist das Gegenteil von Foodporn. Mit 300.000 Rezepten und
einer aktiven Community ist sie die nach eigenen Angaben größte Kochseite
Europas und gehört dem Verlagshaus Gruner+Jahr. Aber selbst in der
unverfänglichen Kategorie Aufstriche sehen die Pasten auf vielen Bilder
[3][ein bisschen wie Kotze aus].
In den Hauptspeisesparten vermitteln braunrot glänzende Fleischteller
[4][eine morbide Ästhetik]. Die schlechten Aufnahmen sind so auffällig,
dass sich 2014 der mit reichlich Berichterstattung versehene [5][Blog
„Amateurkochfotos“] gründete, der die schlimmsten Bilder sammelt und
dokumentiert. Warum scheinen uns die laienhaft geschossenen Fotos so sehr
aus der Zeit gefallen?
Jetzt könnte man sagen, dass wir heute in einer Welt leben, in der die
Selbstdarstellung es bis auf den Küchentisch geschafft hat. In der rosa und
sepia getönten Instagram-Welt werden nicht nur Reisen und Social Events,
sondern selbst das Frühstück inszeniert. Nüsse, frische Trauben und
Amaranth werden [6][fürs Foto auf den Holztisch neben die Müslischüssel
gestreut]. Das sei oberflächliche Selbstinszenierung und obendrein auch
noch Essensverschwendung. Könnte man so sagen, wäre aber wirklich spießig
und so auch nicht richtig.
Der eigentliche Unterschied zwischen den beiden Plattformen ist doch, dass
die Gerichte auf Chefkoch.de zum Essen gedacht sind und die Gerichte auf
Instagram zur Vermarktung. Influencer verdienen mit den Fotos ihr Geld,
Foodblogger mit den dazu publizierten Kochbüchern. Nicht wenige
kommerzielle Instagram-Accounts werden von Werbeagenturen oder
Social-Media-Managern betreut. Der Look der Fotos ist ähnlich: perfekt
ausgeleuchtet, oft parallel zur Tischplatte von oben fotografiert. Immer
gleich, immer gleich langweilig.
Schauen wir schnell noch in die Zukunft: Bisher können Foto-Apps den
Porträtierten lustige Ohren aufsetzen, nachträglich den Mund zu einem
Lächeln verbiegen oder Alter und Geschlecht ändern. Es wird sicher nicht
mehr lange dauern, bis es Ähnliches für den Teller gib. Dann werden frische
Kräuter in die Fotos reinmontiert und zu viel Soße abgeschöpft. Dann gibt
es Foodporn für alle. Aber alles wird noch gleicher, noch langweiliger.
Auf Chefkoch.de herrscht dagegen noch Vielfalt – nicht an Rezepten, aber an
dem, was man beim Fotografieren alles falsch machen kann. Mal ist das Essen
unscharf, über- oder unterbelichtet. Trotzdem sind auch hier die Fotos in
ihrer Ästhetik geeint. Das immer etwas zu dunkle und orange Licht der
Küchenenergiesparleuchte und der zu helle Blitz der Kompaktkamera
verwandeln etwas, was auf einem Teller vielleicht durchaus essbar aussieht
auf dem Bildschirm [7][in grünbraungraue Pampe mit Bröckchen]. Auch ein
Kunststück.
15 Jun 2017
## LINKS
[1] http://www.chefkoch.de/rezepte/2150131345305595/Alioli-Aioli-original-ohne-…
[2] http://chefkoch.de
[3] http://www.chefkoch.de/rezepte/2337511372140997/Avocado-Tomaten-Aufstrich-m…
[4] http://www.chefkoch.de/rezepte/2911421443425566/Pulled-Pork-aus-dem-Bratsch…
[5] https://amateurkochfotos.tumblr.com/
[6] https://www.instagram.com/explore/tags/muesli/
[7] http://www.chefkoch.de/rezepte/1731381282223663/Rhabarberkompott.html
## AUTOREN
Svenja Bednarczyk
## TAGS
Essen
Fotografie
Instagram
Inszenierung
Soziale Medien
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Nachhaltigkeit
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