# taz.de -- Nach der Bayernwahl: Bloß keine Aufregung | |
> Auf das bayerische Beben folgt in der Berliner Großen Koalition ein | |
> vernehmliches Rumpeln. Der SPD bleibt wenig außer Durchhalteparolen. | |
Bild: Verlässt nach nur zehn Minuten die Bühne des Willy-Brandt-Hauses: SPD-P… | |
MÜNCHEN/ FRANKFURT A.M./ BERLIN taz | Isabell Zacharias’ Abbild ist | |
abgerutscht. Gras bedeckt ihr Gesicht. Sie packt es mit der linken Hand, | |
zieht es hoch, klopft mit der Kneifzange dagegen. Dann zwackt sie die | |
Plastikringe durch, einen oben, einen unten, und zieht das Plakat vom | |
Laternenpfahl. „SPD“ steht unten rechts im roten Kästchen: Zacharias wollte | |
den Wahlkreis 108 erobern, München-Schwabing. Da wollte sie Ludwig Spaenle | |
(CSU) ablösen. Das hat jetzt Christian Hierneis gemacht, für die Grünen. | |
„Ich war die einzige Frau im Wahlkreis, die eine realistische Chance hatte, | |
zu gewinnen“, sagt Zacharias. | |
Mit der Zange zwackt sie die anderen Plastikringe durch, die die Pappe am | |
Pfahl hielten. Ihre „Allwetterplakate“ sind aus Altpapier, Zacharias | |
trennt. Ein Auto hat sie nicht. „Ich brauche kein Auto. Noch nie eins | |
gehabt.“ Zacharias fährt Rad: eins mit vorderseitigem Anhänger wie eine | |
Schubkarre. „Damit transportiere ich meine Einkäufe, meine Kinder – meine | |
Wahlplakate.“ Zacharias ist 53, alleinerziehend – drei Kinder, das jüngste | |
hat Down-Syndrom. Auf der Seite ihres Fahrradanhängers kleben | |
Regenbogensticker und ihr Name. | |
Als Zacharias das letzte Plakat löst, ist es etwa halb zwölf. Eigentlich | |
wollte sie heute früher aufstehen. „Aber ich konnte gestern Abend nicht | |
einschlafen, deshalb haben wir uns später getroffen.“ Das von Plastik | |
befreite Plakat legt sie auf den Boden, faltet es, stellt drauf, um die | |
Pappe möglichst flach zu pressen. | |
Heute entscheidet sich, ob Zacharias über ihren Listenplatz doch noch in | |
den Bayerischen Landtag einzieht. Ausgleichsmandate bekommt die | |
Oberbayern-SPD nicht. „Die kommen den größeren Parteien zugute. Nicht den | |
kleineren. Zu denen gehören wir jetzt.“ | |
## Die Landtagskandidatin ist ratlos | |
Woran es gelegen haben könnte, dafür fallen Zacharias einige Gründe ein. | |
Ratlos ist sie trotzdem. Bisher war sie hochschul-, kultur- und | |
queerpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Ich habe dafür gekämpft, dass | |
die Lage der Künstlerinnen und Künstler in Bayern besser wird.“ Sie habe | |
viel vorzuweisen, sagt Zacharias. „Und trotzdem: Ein sauschlechtes | |
Wahlergebnis.“ Der Wahlkampf sei zu langweilig gewesen. Die Bundes-SPD | |
hätte mehr tun können. Außerdem würden Frauen nicht mehr Frauen wählen, | |
sondern Männer. „Der Landtag macht es dem Bundestag nach: Das männlichste | |
Parlament seit den 50ern.“ | |
Gernot Grumbach ist wie Isabell Zacharias Landtagskandidat, nur nicht in | |
Bayern, sondern in Frankfurt, wo in 14 Tagen gewählt wird. Der Chef der SPD | |
Hessen-Süd gibt sich betont zuversichtlich. „Hessen ist anders als Bayern“ | |
lautet seine Botschaft. Während Zacharias in München ihre Plakate | |
abmontiert hat, war Grumbach in seinem Wahlkreis unterwegs, im | |
Nordwestzentrum, einer Ladenmeile im Norden der Stadt. „Ich habe kleine | |
Marmeladengläser mit meinem Foto verteilt, Geschmack Erdbeer, Johannisbeer | |
oder Kirsch, Hauptsache rot“, sagt er. „Das ist für das Frühstück am | |
Wahltag“, gebe er den WählerInnen mit, „damit sie die Wahl nicht | |
vergessen“. Fast alle Angesprochenen hätten ihn ermutigt. | |
In der letzten Umfrage lag die SPD in Hessen bei 23 Prozent, sechs hinter | |
der CDU. „Das können wir aufholen“, macht sich Grumbach Mut. | |
Die Grünen werden übrigens mit 18 Prozent vermeldet. | |
Ausgerechnet an diesem Vormittag stellt der hessische Spitzenkandidat | |
Thorsten Schäfer-Gümbel, auch TSG genannt, seine Wahlkampftour vor. Es soll | |
eigentlich ein dynamischer Endspurt werden, TSG am Bahnhof Dreieich mit | |
Pendlern, TSG beim Roten Frauensalon in Frankfurt, auf eine Suppe mit TSG | |
in Offenbach. TSG der Mann bei den Menschen, der ihre Sorgen viel besser | |
kennt als die schwarz-grüne Landesregierung. Aber jetzt muss er den Irrsinn | |
in Bayern erklären. 9 Prozent! | |
## Grabesstimmung im Berliner Willy-Brandt-Haus | |
Der Kandidat steht vor Kameras auf dem Wiesbadener Schlossplatz zwischen | |
seiner Frau Anette Gümbel und seiner Generalsekretärin Nancy Faeser. Im | |
Hintergrund lächelt TSG in Überlebensgröße vom Wahlkampfbus. Aber der TSG | |
vor den Mikros schaut ernst. „Bayern ist Bayern, und Hessen ist Hessen“, | |
sagt er. „‚Weiter so‘ hat in Hessen einen Namen: Schwarz-Grün.“ | |
Schäfer-Gümbel muss verhindern, dass die Hessen-Grünen vom Image ihrer | |
bayerischen Freunde als dynamische Veränderer profitieren. „Wer einen | |
echten Politikwechsel für mehr bezahlbare Wohnungen und gebührenfreie | |
Bildung will, muss SPD wählen. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben“, sagt | |
er. Dann noch ein Ordnungsruf nach Berlin: „Ich erwarte von meiner Partei, | |
dass alle jetzt mit mir in Hessen für den Wechsel kämpfen und zeigen, dass | |
die SPD auch anders kann!“ | |
Im Berliner Willy-Brandt-Haus herrscht an diesem Montagmorgen | |
Grabesstimmung. Mit hängenden Schultern huschen die MitarbeiterInnen der | |
SPD-Zentrale durch die Gänge. Mit ernsten Mienen treten pünktlich um 11.15 | |
Uhr Andrea Nahles und Natascha Kohnen vor die Presse. Es ist ein kurzer, | |
schmuckloser Auftritt. Martin Schulz hatte bei solchen Anlässen noch die | |
gesamte Parteiführung antanzen lassen, um Geschlossenheit zu demonstrieren. | |
Diesmal steht niemand hinter Nahles und Kohnen auf der Bühne. Nicht einmal | |
mehr der obligatorische Blumenstrauß wird der traurigen bayerischen | |
Spitzenkandidatin überreicht. „Wir müssen jetzt nach vorne schauen“, sagt | |
Nahles. Wenn nichts mehr bleibt, bleiben nur noch Durchhalteparolen. | |
Viel erwartet hatten die Sozialdemokraten ohnehin nicht von dieser Wahl. | |
Bayern gilt von jeher nicht gerade als ihr Stammland. Aber dass es so | |
knüppeldick kommen würde! Seitdem Bayern kein Königreich mehr ist, also | |
seit hundert Jahren, hat die Partei hier noch nie so schlecht | |
abgeschnitten. | |
„Wir haben in Bayern so geschlossen wie nie gekämpft in diesem Wahlkampf“, | |
sagt Kohnen. Geholfen hat das nichts. Das Ergebnis habe „unglaublich viel | |
damit zu tun, dass die Menschen uns mit einer ganz großen Skepsis begegnen | |
und mit einer unglaublich großen Distanz.“ Verantwortlich macht Kohnen | |
dafür die Große Koalition im Bund, die die bayerische SPD in einen Spagat | |
gezwungen habe. | |
## SPD-Spitze setzt auf Abwarten | |
Auch Parteichefin Andrea Nahles räumt ein, dass das schlechte Bild der | |
Bundesregierung nicht gerade förderlich gewesen sei: „Dass sich der ganze | |
Stil der Zusammenarbeit ändern muss, ist offensichtlich.“ Grundsätzlich | |
will Nahles die sozialdemokratische Regierungsbeteiligung aber nicht | |
infrage stellen. Danach gefragt, antwortet sie mit einem Schachtelsatz: | |
„Also die Frage, ob diese Große Koalition funktioniert, auch im Sinne | |
dessen, was wir gemeinsam verabredet haben im Rahmen des | |
Koalitionsvertrages, entscheidet sich nicht alleine am Ergebnis, so | |
schmerzlich es ist, einer Landtagswahl.“ | |
Sie halte es „zum jetzigen Zeitpunkt nicht für angesagt“, rote Linien zu | |
definieren, fügt Nahles noch hinzu. Nun stehe erst mal die Wahl in Hessen | |
an, „wo wir alle Power jetzt reinstecken, deshalb verschwenden wir unsere | |
Kraft und Zeit nicht auf interne Debatten“. Nach exakt zehn Minuten | |
verlassen Nahles und Kohnen die Bühne und entschwinden in den Tiefen des | |
Willy-Brandt-Hauses zur Parteivorstandssitzung. Den Eindruck, dass sie | |
irgendeine Idee hätten, wie die SPD wieder aus ihrem Jammertal | |
herausfindet, haben die Parteivorsitzende und ihre Stellvertreterin nicht | |
vermitteln können. | |
Routiniert beschließt der Vorstand, sich Anfang November zu einer Klausur | |
zu treffen. Die SPD-Spitze setzt auf Abwarten. Das Kalkül: Dann ist das | |
Debakel in Bayern verblasst und von einem besseren Ergebnis in Hessen | |
überdeckt. | |
„Wer jetzt den Schuss nicht gehört hat, dem ist nicht mehr zu helfen“, | |
ärgert sich Marco Bülow. Der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete war schon | |
immer strikt gegen die Große Koalition – und hält immer noch nichts davon, | |
auf ein besseres Morgen zu hoffen. „Auch für Hessen wäre es doch besser, | |
wenn die SPD in Berlin diskutiert und nicht ruhig bleibt“, sagt er der taz. | |
„Die hessischen Genossen brauchen das Signal, dass nicht alles bleibt, wie | |
es ist.“ Bülow denkt laut über radikale Lösungen nach: „Nur raus der Gro… | |
reicht nicht mehr“, ist er überzeugt. „Wir müssen über alles reden: einen | |
kompletten Wechsel der Führung und einen kompletten Wechsel der Strategie.“ | |
Allerdings fehlen sowohl für das Ende der Groko in Berlin und erst recht | |
für ein Tabula rasa in der Partei entschlossene AkteurInnen und Mehrheiten. | |
Die moderate Parteilinke hält nach dem bayerischen Debakel den Ball flach. | |
Bei einem Basiskongress der SPD-Linken am Freitag in Berlin war zudem der | |
Zuspruch bescheiden. Revolten beginnen anders. | |
## Wenigstens zwei sind sich hier einig | |
Isabell Zacharias von der SPD montiert in München noch ihre Wahlplakate ab, | |
da tritt in Berlin die Konkurrenz vor die Presse. Oder sollte man besser | |
sagen, die Leidensgenossen? Schließlich geht es der Union kaum besser als | |
den Sozialdemokraten, hat auch die CSU in Bayern knapp 10 Prozentpunkte | |
verloren. | |
Der wahlkämpfende Hesse Volker Bouffier, dessen CDU in den Umfragen 9 | |
Prozentpunkte unter dem Ergebnis von 2013 liegt, versucht es mit ein | |
bisschen Zuversicht. Er präsentiert ein Plakat, auf dem steht: „Jetzt | |
geht’s um Hessen: BOUFFIER“. Seine PR-Agentur hat auch gleich noch Buttons | |
mit dem Slogan produzieren lassen. Volker Bouffier trägt ihn nun am Revers, | |
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Ausschnitt ihrer | |
signalgrünen Bluse. Wenigstens zwei sind sich hier einig. | |
Der 66 Jahre alte Landesvater würde gern seine schwarz-grüne | |
Regierungskoalition wiederauflegen. Aber aktuell kämen beide zusammen | |
nicht über die erforderlichen 45 Prozent hinaus. Seine Angst, das Abstrafen | |
der CSU durch die Bayern würde am 28. Oktober auch von seinen HessInnen | |
praktiziert, ist spürbar. „Hessen ist anders“, raunzt er in seinem | |
unnachahmlichen Timbre, nämlich erfolgreich und ohne Zoff mit den Grünen. | |
„Wenn uns die ganze CDU dabei unterstützt, kann das nur helfen“, sagt er | |
und macht für die Fotografen eine heranholende Geste. | |
Klar ist: Wenn Bouffier scheitert, steht die CDU-Parteiführung in Frage. | |
Und damit die Regierungsfähigkeit. Bei der CDU heißt sowohl die Partei- als | |
auch die Regierungschefin Angela Merkel. Und die möchte sich nach jetzigem | |
Stand Anfang Dezember zur Wiederwahl für das Amt der Vorsitzenden stellen. | |
## Ist Merkel noch die Führungsfigur? | |
Als Regierungschefin wird ihr die Hauptverantwortung für den desaströsen | |
Auftritt der Großen Koalition zugewiesen. Ist Merkel noch die | |
Führungsfigur? Dass sie am Montag nach der Bayernwahl nicht die Gelegenheit | |
nutzt, sich nach den Sitzungen vor Vorstand und Präsidium zu äußern, | |
spricht nicht eben dafür. | |
Jetzt alle mal zusammenrücken und den Hintern zusammenkneifen. So in etwa | |
könnte man die Gefechtslage unter den CDU-Funktionären beschreiben – nicht | |
unähnlich den Sozialdemokraten. In der CDU-Parteizentrale huschen am | |
Montagnachmittag die Vorstands- und Präsidiumsmitglieder auffallend | |
wortkarg an den wartenden JournalistInnen vorbei zu ihren Limousinen. Alle | |
tragen sie den Bouffier-Button. „Unspektakulär“, „geordnet“, das sind … | |
die Beschreibungen für die hinter ihnen liegenden Sitzungen. Die Botschaft | |
ist klar: Wenn wir uns jetzt wie die Bayern fetzen, geht für uns die | |
Hessenwahl flöten. | |
Nur einer traut sich aus der Deckung. Thüringens Landeschef Mike Mohring | |
sagt über das fremdenfeindliche Getöse der CSU, die Schwesterpartei habe | |
„die richtigen Fragen gestellt“, aber den Ton nicht recht getroffen. | |
Mohring, bekannt als einer der jüngeren Scharfmacher aus dem | |
Anti-Merkel-Team, will beim CDU-Landesparteitag am kommenden Wochenende zum | |
Spitzenkandidaten gewählt werden. Zusätzlich ist es ihm ein Anliegen, zu | |
erklären, wie es dazu kommen konnte, dass seine Parteivorsitzende dort | |
auftreten wird. „Sie hat mich im Februar gefragt: Wann machst du | |
Wahlparteitag? Ich komme.“ Mohring macht an diesem Montag nicht unbedingt | |
den Eindruck, als freue er sich auf den Besuch aus Berlin. Die | |
Merkel-Entourage, sie war auch schon mal respektvoller. | |
Es ist kurz nach neun, als der bayerische Wirtschaftsminister auf den | |
Eingang der CSU-Zentrale zusteuert. „Worauf warten Sie eigentlich“, fragt | |
Franz Josef Pschierer die Journalisten. „Glauben Sie, dass das irgendwie | |
spannend wird heute?“ In Pschierers Frage schwingt etwas Ironie mit, | |
schließlich ist es die Sitzung des CDU-Vorstands am Morgen danach. Auf der | |
Tagesordnung stehen Fragen, die nicht alltäglich sind, schon gar nicht in | |
Bayern: Mit wem soll man koalieren? Welche Lehren zieht man aus dem | |
katastrophalen Wahlergebnis, wer wird Ministerpräsident? Und doch soll der | |
Minister vollends recht behalten: Der Verlauf der Sitzung gestaltet sich | |
recht erwartbar. | |
Dabei ist es ja wirklich absurd: Die CSU fängt bei der Wahl die größte | |
anzunehmende Watschn ein und macht sich als Erstes daran, festzulegen, wer | |
alles bleibt: der Regierungschef, der Fraktionschef, der Parteichef. Und | |
dann einigt man sich auch noch darauf, dass man am liebsten mit den Freien | |
Wählern koalieren möchte. Klar, eine bürgerliche Koalition verspricht | |
schließlich die geringste Veränderung. | |
Ein bisschen Kritik soll es in der Sitzung auch gegeben haben, vor allem an | |
Horst Seehofer. Die kommt etwa vom ehemaligen CSU-Chef Theo Waigel oder | |
regionalen Parteigrößen. Sonst bleibt alles ruhig. Als er gemeinsam mit | |
Söder am Nachmittag vor die Presse tritt, spricht Seehofer nur von einer | |
langen, offenen, ehrlichen und intensiven Debatte. | |
## Keine Antworten auf die wichtigsten Fragen | |
Die Frage, ob es Schuldzuweisungen an ihn gegeben habe, will er nicht | |
beantworten. Auch nicht, ob er eine Sekunde lang an Rücktritt gedacht habe. | |
Stattdessen verspricht er, dass es nach der Regierungsbildung in Bayern in | |
einem „geeigneten Gremium“ eine tiefere Analyse des Wahlergebnisses und | |
eine Erörterung möglicher Folgen geben werde – mit allen Vorschlägen, die | |
es konzeptionell, aber auch personell geben mag. | |
Kenne man doch schon, wendet ein Journalist ein, solche Analysen würden | |
immer gern nach Wahlniederlagen angekündigt, versandeten dann aber im | |
politischen Alltag schnell wieder. Diesmal werde es nicht so kommen, | |
verspricht Seehofer. Sobald „der Markus“ mit seiner neuen Regierung im Amt | |
sei, könne man loslegen. Söder hebt eine Augenbraue: „Also liegt’s an mir… | |
Das Zeitfenster ist ohnehin kurz: In vier Wochen muss der Landtag den | |
Ministerpräsidenten wählen. Es ist ein Zeitfenster, das Seehofer | |
entgegenkommt. Er weiß, dass viele in der Partei in dieser Zeit keine | |
Debatte über seine Person führen wollen. Zu groß die Gefahr von | |
Verwerfungen, die Gefahr, dass Seehofer noch andere mit in den Abgrund | |
reißen könnte. | |
Was er denn aus dem Ergebnis gelernt habe, wird Seehofer schon auf seinem | |
Weg in die Sitzung gefragt. Da spricht er von Wählerwanderungen und dass | |
man den Trend umdrehen müsse. Von den Veränderungen in der Gesellschaft, | |
von der Herausforderung, die die Grünen in den Großstädten darstellten. Und | |
nein, die Sonderstellung der CSU sei nicht geschwächt, das Ergebnis sei | |
zwar „nicht gut“, aber man habe doch einen Regierungsauftrag erhalten. Das | |
Eingeständnis eigener Fehler sieht anders aus. | |
Es wirkt fast, als habe die Partei manche Verhaltensweisen nach Jahrzehnten | |
selbstgefälliger Regierung einfach nicht mehr im Repertoire. Selbstkritik | |
findet man allenfalls in homöopathischen Dosen. Als Landesgruppenchef | |
Alexander Dobrindt wenig später vor der Tür ebenfalls gefragt wird, ob | |
Berlin etwas falsch gemacht habe, erwidert er nur: „Ich erkenne die Falle, | |
aber Sie haben Verständnis, dass ich darauf nicht antworte.“ | |
## Eine Freundin reicht ein Taschentuch | |
Auch Söder ist guter Dinge, lächelt fröhlich, als er sich am Montag vor den | |
Journalisten aufbaut. Vor einem Jahr, als die Bundestagswahl gerade | |
verloren gegangen war, blickte man hier nur in versteinerte Gesichter. Wer | |
heute solche Mienen sehen will, der muss zur SPD gehen. Söder spricht sogar | |
von einem „tollen Schlussspurt“ und dass seine klare Abgrenzung zur AfD | |
Wirkung gezeigt habe. Klar, mache auch er sich Sorgen – um die SPD. Bayern | |
bräuchte eine zweite Volkspartei. | |
Die gescheiterte Münchner SPD-Direktkandidatin Isabell Zacharias montiert | |
ihre letzten Plakate ab. Wenn sie dabei über die Zukunft spricht, kommen | |
ihr kurz die Tränen. Sie entschuldigt sich, eine Freundin reicht ihr ein | |
Taschentuch. Was sie besonders beschäftige, sei gar nicht sie selbst, sagt | |
Zacharias. „Ich mache mir Sorgen, in welche Richtung wir gehen. Polen, | |
Finnland, Schweden, Ungarn, Italien Österreich, überall Rechtsruck. Gestern | |
ist er in Bayern angekommen. Das rechte Lager hat mehr Sitze als vorher. | |
CSU und FDP ahmen die AfD nach.“ | |
Schließlich ist das letzte Plakat im Fahrradanhänger. Zacharias | |
verabschiedet sich. „Ich gehe gleich Mittag essen. Heute Nachmittag hole | |
ich meinen Jüngsten im Hort ab, was ich seit Wochen nicht getan habe. Und | |
danach werde ich mit ihm ein Eis essen gehen.“ Einen großen Becher. Und | |
irgendwann kommt auch noch die Auszählung der Zweitstimmen, die | |
entscheidet, wer noch Listensitze bekommt. Zacharias steht auf Platz 7. | |
15 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Anett Selle | |
Dominik Baur | |
Anja Maier | |
Pascal Beucker | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
Stefan Reinecke | |
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