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# taz.de -- Debatte Solidarzuschlag: Ein Geschenk für die Reichen
> Lobbyisten mobilisieren, um den Soli ganz abzuschaffen. Dadurch würden
> Unternehmen und Besserverdienende 20 Milliarden Euro jährlich sparen.
Bild: Bei dem ganzen Theater in München geht unter, dass klammheimlich der Sol…
Markus Söder findet, er sei „demütig“, Horst Seehofer kann sich
„Personaldiskussionen“ vorstellen: Das CSU-Polittheater ist zweifellos
amüsant. Aber entscheidender ist, was sich hinter den Kulissen abspielt. In
aller Stille wird daran gewerkelt, den Solidaritätszuschlag komplett
abzuschaffen. Unternehmen und Besserverdienende würden etwa 20 Milliarden
Euro pro Jahr sparen, während der [1][große Rest der Bevölkerung leer
ausgeht].
Der Solidarzuschlag, man erinnert sich, wurde eingeführt, um die
Wiedervereinigung zu finanzieren. Doch der Zusammenbruch der DDR ist lange
her, und die Sonderhilfen für Ostdeutschland enden 2019. Da scheint es
naheliegend, so suggerieren es Union und FDP, auch den Soli ins Reich der
Geschichte zu befördern.
1991 wurde diese Ergänzungsabgabe eingeführt – befristet auf fünf Jahre.
Trotzdem gibt es den Soli immer noch. Zudem sei er längst
„zweckentfremdet“, wie die Kritiker klagen. Seit 1995 finanziert der Soli
nicht mehr die Einheit, sondern fließt in den Bundeshaushalt.
Stimmt alles. Doch die Soli-Abschaffer verschweigen, dass der Soli so
dringend gebraucht wird, weil die Wohlhabenden anderswo enorm entlastet
wurden. Die Vermögensteuer wurde gestrichen, die Erbschaftsteuer stark
verwässert und der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Immer
profitierten die Reichen, während Otto Normalverbraucher jetzt 19 statt 16
Prozent Mehrwertsteuer zahlen muss.
## SPD zur teilweisen Soli-Abschaffung bereit
Der Soli kompensiert diese Ungerechtigkeiten zumindest ein wenig, denn er
ist tatsächlich eine Art Zusatzsteuer für die Besserverdienenden. Die
ärmere Hälfte der Bevölkerung trägt nur ganze 1,7 Prozent zum
Soli-Aufkommen bei, wie der Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet hat.
Die untere Hälfte bleibt ausgespart, weil der Soli ein Zuschlag von 5,5
Prozent ist, der auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben wird. Er
fällt also nur an, wenn man Steuern zahlt. Sehr viele Arbeitnehmer führen
aber fast keine Einkommensteuern ab, weil ihre Gehälter viel zu niedrig
sind. Nur ein Beispiel: Ein Familienvater mit zwei Kindern zahlt den Soli
erst, wenn er mehr als 52.000 Euro im Jahr verdient.
Wer jetzt an seinen Lohnzettel denkt, der staunt vielleicht: Das Netto ist
doch so viel geringer als das Brutto! Aber die normalen Angestellten werden
nicht durch die Einkommensteuern belastet – sondern durch die
Sozialabgaben, die in voller Höhe anfallen, sobald man mehr als 850 Euro im
Monat verdient.
Daher müsste man ausschließlich bei den Sozialabgaben ansetzen, wenn man
die Bürger „entlasten“ will. Stattdessen ist auch die SPD bereit, den
Soli-Zuschlag teilweise abzuschaffen. Im Koalitionsvertrag findet sich eine
kurze Passage, die harmlos klingt, aber tückisch ist.
## Untere Einkommen werden gar nicht entlastet
Sie lautet: „Wir werden insbesondere untere und mittlere Einkommen beim
Solidaritätszuschlag entlasten. Wir werden den Solidaritätszuschlag
schrittweise abschaffen und ab dem Jahr 2021 mit einem deutlichen ersten
Schritt im Umfang von zehn Milliarden Euro beginnen.“
Bereits der erste Satz ist eine Lüge: Es werden eben nicht die „unteren und
mittleren Einkommen“ entlastet – denn sie zahlen den Soli ja gar nicht. Es
profitieren fast nur die Besserverdienenden von dem 10-Milliarden-Erlass.
Genauso trügerisch ist der nächste Satz. Gekonnt verdeckt er, wie teuer die
Soli-Abschaffung in Wahrheit wäre.
Es ist nämlich kein Zufall, dass der „erste Schritt“ erst 2021 einsetzen
soll, wenn die jetzige Koalition, falls sie durchhält, in ihr letztes
Amtsjahr kommt. Denn es wäre gar nicht genug Geld da, um die fehlenden 10
Milliarden zu kompensieren, falls man beim Soli streicht.
Also wird er erst 2021 weitgehend abgeschafft – und dann darf die nächste
Regierung zusehen, wie sie das 10-Milliarden-Loch stopft, das fortan jedes
Jahr wieder auftaucht.
## Eigendynamik der Debatte wird unterschätzt
Die SPD ist trotzdem [2][stolz auf sich selbst] und prahlt, sie hätte
immerhin verhindert, dass der Soli ganz gestrichen wird. In der Tat: Im
Koalitionsvertrag steht, dass die obersten 10 Prozent der Soli-Zahler
weiter belastet würden.
Etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr würden dem Staat also bleiben. Doch hat
die SPD die Eigendynamik der Debatte unterschätzt: Sobald am Soli gerüttelt
wird, stehen die Lobbyisten in den Abgeordnetenzimmern, um ihn ganz
abzuschaffen.
Das Argument: Die deutschen Unternehmen würden mehr Gewinnsteuern zahlen
als die Firmen in den USA oder Großbritannien! Wieder wird mit einer
Halbwahrheit operiert. Zwar stimmt es, dass die offiziellen Steuersätze bei
knapp 30 Prozent rangieren – aber das zahlt kaum ein deutsches Unternehmen,
weil es viele Schlupflöcher gibt.
Verlässliche Zahlen über die Steuerlast der Konzerne gibt es kaum, aber
bereits zwei Zahlen illustrieren, wie schön die Welt für die Unternehmen
ist: Die 28 DAX-Konzerne, die keine Banken sind, haben 2017 einen Gewinn
von 133 Milliarden Euro vor Steuern und Zinsen gemacht – aber die
Körperschaftsteuern aller deutschen Kapitalgesellschaften beliefen sich nur
auf 27 Milliarden.
## SPD sollte Abschaffung blockieren
Doch obwohl man die Unternehmensteuern mit der Lupe suchen muss, bastelt
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) an einer Reform, die die
Unternehmen um weitere 20 Milliarden Euro entlasten würde – auch der Soli
soll selbstverständlich entfallen. Die Union gibt offen zu, dass sie damit
den Koalitionsvertrag ignoriert.
Und die SPD? Statt ebenfalls kreativ zu werden und die Soli-Abschaffung
ganz zu blockieren, besteht sie darauf, „dass der Koalitionsvertrag
eingehalten wird“.
Übersetzt: Die Sozialdemokraten haben in der Finanzpolitik als einziges
Ziel, dass die Besserverdienenden nicht 20 Milliarden Euro pro Jahr
geschenkt bekommen – sondern „nur“ 10 Milliarden. Kein Wunder, dass die
meisten Wähler die SPD für überflüssig halten.
20 Oct 2018
## LINKS
[1] /VWL-Professor-ueber-Solidaritaetszuschlag/!5477099
[2] /Die-SPD-streitet-ueber-die-Groko/!5474740
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
Finanzpolitik
Soli
Steuern
Landtagswahl Bayern
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