# taz.de -- Debatte Finanzkasino: FDP und CDU belügen die „Mitte“ | |
> Die Parteien bedienen Millionäre, anstatt Facharbeiter zu entlasten. Sie | |
> werben um die „Mitte“, sehen sie aber nur als Stimmvieh für klassische | |
> Klientelpolitik. | |
Bild: Die CDU will mit Steuerentlastungen einen „Mittelstandsbauch“ abschme… | |
Die FDP will in den Bundestag zurückkehren – und am liebsten gleich in die | |
Regierung einziehen. Mehrheiten sind aber ohne die Normalverdiener in der | |
„Mitte“ nicht zu gewinnen, wie auch die Liberalen wissen. Deswegen heißt | |
der zentrale FDP-Slogan jetzt: „Wir sind die Alternative für die | |
ungeduldige Mitte.“ | |
Ein ausgebautes Programm hat die FDP noch nicht, aber es gibt schon einen | |
poppigen Internetauftritt. Diese bunte Werbewelt macht klar: Die Liberalen | |
halten die „ungeduldige Mitte“ für ziemlich dämlich. Denn die FDP hantiert | |
mit einer krassen Steuerlüge und glaubt offenbar, dass die Wähler diesen | |
Betrug nicht bemerken. | |
Die einzige konkrete FDP-Forderung lautet nämlich: „Endlich Entlastung | |
durch die Abschaffung des Soli bis 2019.“ Die Liberalen suggerieren, dass | |
vorneweg die Normalverdiener profitieren würden, wenn der Solidarzuschlag | |
entfiele. Doch dies ist falsch. Den Solidarzuschlag zahlen vor allem die | |
Besserverdienenden. | |
Konkret: Eine Familie mit zwei Kindern zahlt überhaupt gar keinen | |
Solidarzuschlag, wenn ihr Jahresbruttoeinkommen weniger als 52.000 Euro | |
beträgt. Ein solches Einkommen können aber nur wenige Haushalte verbuchen, | |
denn selbst Vollzeitbeschäftigte verdienen im Mittel nur knapp 42.000 Euro | |
im Jahr. | |
## „Mittelstandsbauch“ | |
Die FDP ist also ganz die alte: Sie bleibt eine Partei für Zahnärzte und | |
Anwälte. Die „Mitte“ interessiert nur als Stimmvieh, um Privilegien für d… | |
Besserverdienenden zu sichern. Leider scheint dieses Konzept aufzugehen, | |
denn FDP-Chef Christian Lindner ist aktuell weitaus beliebter als etwa | |
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. | |
Es zieht immer, „Entlastungen“ bei der Steuer zu versprechen. Auch die CDU | |
hat diesen Trick entdeckt. Finanzminister Wolfgang Schäuble will 15 | |
Milliarden verteilen, aber das reicht vielen Unionsmitgliedern noch nicht. | |
So will Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann den „Mittelstandsbauch“ | |
abschmelzen. „Mittelstand“ klingt ebenfalls nach „Mitte“ und nach | |
Normalverdiener – und wieder werden die Wähler getäuscht. | |
Der „Mittelstandsbauch“ soll nämlich vor allem ganz oben korrigiert werden | |
– bei den Spitzenverdienern. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent soll | |
nicht mehr bei einem Jahreseinkommen von etwa 54.000 Euro greifen, sondern | |
erst ab 60.000 Euro. | |
Damit auch Normalverdiener dieses Steuergeschenk nachvollziehbar finden, | |
behauptet Linnemann, dass auch die „Mitte“ stark belastet werde: „Unsere | |
jahrzehntelange Untätigkeit hat dazu geführt, dass heute der Facharbeiter | |
an der Maschine den Spitzensteuersatz zahlt, den früher nur sein Chef | |
zahlen musste.“ | |
Diese Behauptung zeigt, dass sich Linnemann zwar Wirtschaftspolitiker nennt | |
– aber die reale Wirtschaft nicht kennt. So schön es wäre: Facharbeiter | |
verdienen nicht so viel wie ihre Chefs. Das offenbart schon ein Blick in | |
die Steuerstatistik: Im Mittel wird ein Jahreseinkommen von 26.152 Euro | |
versteuert. Das ist ganz weit weg von einem Spitzenverdienst – und vom | |
Spitzensteuersatz. | |
## Stabile Steuerquote | |
Natürlich gibt es auch Haushalte, die den Spitzensteuersatz zahlen. | |
Momentan sind dies etwa 2,69 Millionen Steuerpflichtige, wie das | |
Bundesfinanzministerium schätzt. Aber diese Spitzenverdiener sind eben | |
keine „Facharbeiter“, wie Linnemann behauptet, sondern Ärzte, Notare oder | |
Manager. | |
Die CDU betreibt klassische Klientelpolitik, will dies aber als | |
„Entlastung“ für die „Mitte“ verkaufen. | |
Die Deutschen klagen zwar gern über ihre „Steuerlast“, aber tatsächlich i… | |
die Steuerquote in den vergangenen vier Jahrzehnten bemerkenswert stabil | |
geblieben. Seit 1975 schwankt der Anteil der Steuern am | |
Bruttoinlandsprodukt zwischen 22 und 25 Prozent – obwohl zwischendurch eine | |
Wiedervereinigung zu finanzieren war. | |
Nicht die Steuern an sich sind das Problem, sondern ihre Struktur. In den | |
letzten Jahrzehnten wurden die Reichen entlastet – und die Geringverdiener | |
belastet. Denn die „direkten“ Steuern, die progressiv auf das Einkommen und | |
Vermögen erhoben werden, sanken. Gleichzeitig stiegen die „indirekten“ | |
Steuern, die auf den Verbrauch entfallen und von allen gezahlt werden. Vor | |
allem die Mehrwertsteuer kletterte von einst 10 auf inzwischen 19 Prozent. | |
Das irritierende Ergebnis: Allein die Steuerreformen seit dem Jahr 2000 | |
führten dazu, dass das ärmste Zehntel der Bevölkerung jetzt 5,4 | |
Prozentpunkte mehr Steuern auf sein Bruttoeinkommen zahlt – während | |
umgekehrt das reichste Tausendstel 4 Prozentpunkte sparen konnte. | |
4 Prozentpunkte Steuerersparnis mögen harmlos niedrig klingen. Aber wer zum | |
obersten 0,1 Prozent der Bevölkerung gehört, ist oft Einkommensmillionär. | |
Da bedeuten 4 Prozentpunkte also eine Steuerersparnis von mindestens 40.000 | |
Euro im Jahr. | |
Für die „Mitte“ ist es keine gute Idee, neue Steuerexperimente zu starten. | |
Sie würde garantiert wieder verlieren. Stattdessen wäre Normalverdienern | |
viel eher geholfen, wenn der Staat mehr Geld in Bildung oder Kindergärten | |
investierte. | |
## Gelb-schwarze Klientelpolitik | |
Zudem ist der Blick auf die Steuern sowieso verzerrt, denn die eigentliche | |
Bürde sind die Sozialbeiträge. Die Abgaben zur Kranken-, Renten- und | |
Pflegeversicherung sind bei den „Facharbeitern“ der größte Posten. Sie | |
machen rund 20 Prozent des Bruttoverdienstes aus – und zwar ohne | |
Freibeträge gleich ab dem ersten Cent. Doch es passt zur gelb-schwarzen | |
Klientelpolitik, dass über die Sozialabgaben komplett geschwiegen wird. | |
CDU-Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann hat kürzlich ein Buch | |
geschrieben. Unter dem Titel „Die machen eh, was sie wollen“ setzt er sich | |
dort mit „Wut, Frust, Unbehagen“ der Wähler auseinander. Seine Analyse: | |
„Politik muss besser werden.“ Diese Erkenntnis ist zweifellos richtig. | |
Linnemann sollte sich also selbst ernst nehmen und ab sofort keine | |
Steuermärchen mehr erzählen. | |
Die Wähler sind zwar keine Finanzexperten und schnell zu verführen. Aber | |
sie spüren genau, wenn Gerechtigkeit versprochen wird – und Ungerechtigkeit | |
herauskommt. | |
16 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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