| # taz.de -- Abschwung-Prognose des Finanzministers: Was hinter Scholz' Warnung … | |
| > Die fetten Jahre seien vorbei, warnt Finanzminister Scholz. Ein kluger | |
| > Schritt, um ein Steuergeschenk für Reiche zu verhindern. | |
| Bild: Noch kreisen die Baukräne | |
| Es gibt den schönen Satz, dass von den letzten drei Krisen mindestens fünf | |
| vorhergesagt wurden. Nichts schmückt so sehr, wie die Kassandra zu geben. | |
| Kommt es besser als behauptet, sind alle dankbar und keineswegs verärgert, | |
| dass die Prognose falsch war. Wer von Gefahren raunt, dem ist gefahrlos | |
| Aufmerksamkeit sicher. | |
| Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wendet also eine altbekannte Taktik an, | |
| wenn er [1][jetzt warnt, dass „die fetten Jahre vorbei“ seien]. Originell | |
| ist diese Botschaft auch nicht: Die Börsen sind schon seit sechs Monaten im | |
| Krisenmodus. Der deutsche Aktienindex DAX ist im vergangenen halben Jahr um | |
| etwa 15 Prozent gefallen. | |
| Die Gründe sind schnell aufgezählt: China schwächelt, ein unkontrollierter | |
| Brexit droht, US-Präsident Trump beginnt immer neue Handelskriege, die | |
| Eurozone lahmt, und die deutsche Autoindustrie baut weiterhin schmutzige | |
| Dieselfahrzeuge. Allerdings sollte man das Drama auch nicht übertreiben: | |
| Zuletzt mag der DAX zwar gefallen sein, aber die Aktienkurse sind | |
| keineswegs im Keller, sondern liegen immer noch höher als vor drei Jahren. | |
| Die Stimmung ist besser als gefühlt. | |
| Man könnte Scholz’ Kommentare also kommentarlos übergehen, hätte er nicht | |
| einen interessanten Zusammenhang hergestellt. Er beschwört nicht | |
| absichtslos die Krise – sondern er will CDU und CSU stoppen. [2][Seine | |
| Koalitionspartner dringen nämlich darauf, den „Soli“ komplett | |
| abzuschaffen], was zehn Milliarden Euro pro Jahr kosten und nur den | |
| Wohlhabenden nutzen würde. Dieses Steuergeschenk an die Reichen will Scholz | |
| verhindern – indem er vor leeren Kassen warnt. Die prognostizierte Krise, | |
| wie (un-)wahrscheinlich auch immer, ist Mittel zum Zweck. | |
| ## Soli längst nicht mehr für Einheit | |
| Am eigenen Beispiel hat Scholz vorgerechnet, wie profitabel es für ihn | |
| wäre, wenn der Soli gestrichen würde: Als Finanzminister verdient er | |
| 180.000 Euro im Jahr. Ohne Soli würde er 3.600 Euro an Steuern sparen. Ein | |
| Millionär würde gar mit 24.000 Euro beschenkt. | |
| Viele Normalverdiener hingegen haben nichts davon, dass beim Soli | |
| gestrichen wird – weil sie gar keinen Soli zahlen. Der Soli ist ein | |
| Zuschlag von 5,5 Prozent, der auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer | |
| erhoben wird. Er fällt also nur an, wenn man Steuern zahlt. Viele | |
| Arbeitnehmer führen aber fast keine Einkommensteuern ab, weil ihre Gehälter | |
| zu niedrig sind. Nur ein Beispiel: Ein Familienvater mit zwei Kindern | |
| zahlt den Soli erst, wenn er mehr als 52.000 Euro im Jahr verdient. | |
| Wer jetzt an seinen Lohnzettel denkt, der staunt vielleicht: Das Netto ist | |
| doch so viel geringer als das Brutto! Aber die normalen Angestellten werden | |
| nicht durch die Einkommensteuern belastet – sondern durch die | |
| Sozialabgaben, die in voller Höhe anfallen, sobald man mehr als 850 Euro im | |
| Monat verdient. | |
| Den meisten Deutschen ist nicht bewusst, dass das nächste große | |
| Steuergeschenk an die Reichen droht. Sie halten das Thema „Soli“ für | |
| sterbenslangweilig und längst überholt. Denn der Solidarzuschlag, man | |
| erinnert sich, wurde eingeführt, um die Wiedervereinigung zu finanzieren. | |
| Doch der Zusammenbruch der DDR ist lange her, und die Sonderhilfen für | |
| Ostdeutschland enden in diesem Jahr. Da scheint es naheliegend, so | |
| suggerieren es Union und FDP, auch den Soli ins Reich der Geschichte zu | |
| befördern. | |
| Die Soli-Abschaffer verschweigen, dass der Soli schon seit 1995 gar nicht | |
| mehr die Einheit finanziert, sondern in den Bundeshaushalt fließt. Dort | |
| wird er dringend gebraucht, weil die Wohlhabenden schon anderswo enorm | |
| entlastet wurden. Die Vermögensteuer wurde gestrichen, die Erbschaftsteuer | |
| stark verwässert und der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt. | |
| Immer profitierten die Reichen, während Otto Normalverbraucher jetzt 19 | |
| statt 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlen muss. | |
| Es geht um zehn Milliarden Euro im Jahr. Das klingt abstrakt. Aber wie | |
| knapp das Geld beim Staat ist, zeigt schon eine Zahl: 50 Milliarden wären | |
| nötig, um alle Schulen zu sanieren. Von Straßen, Brücken und | |
| Eisenbahnstrecken ganz zu schweigen. | |
| Eine Krise ist nie schön. Aber sie hätte ihr Gutes, wenn sie verhindert, | |
| dass Steuergeschenke an die Reichen verteilt werden, die selbst im Boom | |
| nicht finanzierbar sind. | |
| 7 Jan 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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