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# taz.de -- Debatte Republik nach der Bayernwahl: Die Zeit des Mischmaschs ist …
> Die CSU bleibt manövrierfähig. Die SPD steckt dagegen in einer
> ausweglosen Situation. Und dass die Grünen nicht regieren können, ist ein
> doppeltes Glück.
Bild: Ratlos: SPD-Chefin Andrea Nahles am Montag im Willy-Brandt-Haus
Diese [1][Wahl] hat vier Botschaften: Für die CSU hätte es viel schlimmer
kommen können. Die Grünen haben doppelt Glück gehabt. Für das Drama der SPD
gehen auch den eloquentesten Analytikern die Worte die aus. Und irgendwie
zeigt diese Wahl, wie das deutsche Parteiensystem doch noch zu retten ist.
Zum Absturz der CSU ist schon vor der Wahl alles Wesentliche gesagt worden.
Das ergab den interessanten Effekt, dass die WählerInnen vorher nicht nur
ahnen konnten, wie die Wahl ausgeht, sondern auch, warum sie so abstimmen.
Musste es so kommen – oder hat die CSU-Führung versagt? Der
Politikwissenschaftler Alf Mintzel hat 1998 in einer umfassenden Studie das
erstaunliche Phänomen CSU beleuchtet. Damals war Strauß zehn Jahre tot, die
Nachfolger waren blass, die Vereinigung 1990 hatte Bayerns Rolle in der
Republik gehörig schrumpfen lassen. Die Individualisierung löste auch
damals schon die fixe Bindung an Parteien auf wie ein stetiger Wasserstrahl
Sandstein. Doch trotz Machtarroganz und Amigo-Affären regierte die CSU über
Jahrzehnte. Denn die CSU hatte ein Gespür für die Gesellschaft, war
kulturell rechtskonservativ, ökonomisch wirtschaftsliberal, aber auch noch
Sozialstaatspartei. Die Macht der CSU, so Mintzels Resümee 1998, „kann nur
sie selbst gefährden.“
Das hat sie 2018 ausgiebig getan. Immer wieder das Thema Migration auf die
Agenda zu setzen, das die eigene Klientel im Kern spaltete, war
bemerkenswert töricht. Dass sie an AfD und Grüne verlor, folgerichtig. So
wurde aus Edmund Stoibers Bayern-Credo „Laptop und Lederhose“: Die mit dem
Laptop wählen grün, die mit der Lederhose Freie Wähler oder AfD. Die
Trennung in locals, die Globalisierung skeptisch sehen und globals, deren
Kinder in den USA studieren, ist offenbar nicht für alle Zeit durch ein
mythologisches Bayern-Wir zu kitten.
Ist der Untergang der CSU also zwingend? Keineswegs. Trotz Seehofers
Katastrophen-Performance wollen Zweidrittel in Bayern, dass die CSU
regiert. Wenn das eine Krise ist, dann dürfte die SPD heftige Sehnsucht
danach verspüren. Die CSU hat noch immer die Chance, ihren Abstieg von
einer Staatspartei zur dominanten Volkspartei selbst zu managen. Wenn sie
künftig weiter in psychotischen Schüben AfD light und in Berlin den Irren
aus dem Süden spielt, wird es im Totalschaden enden. Doch wenn sie das
Verbindende in den Vordergrund rückt, kann viel gelingen. Die Freien Wähler
kann sie, wenn sie geschickt ist, in der Regierung klein raspeln, wie die
FDP vor zehn Jahren. Das CSU-Schiff ist angeschlagen, aber noch
manövrierfähig.
Bei der SPD ist das nicht der Fall. Sie treibt mit abgebranntem Segel auf
einen Wasserfall zu. Das Bild des Wahlabends war nicht der aggressive Söder
oder der selbstgefällige Seehofer – es war der nette SPD-Generalsekretär
Lars Klingbeil, der wie ein überforderter Volkshochschullehrer wirkte, der
erklären muss, warum niemand mehr seine Kurse bucht. Die SPD ist der
Ansicht, dass sie Opfer des Streits zwischen CDU und CSU geworden ist. Das
mag sein. Aber: Wer wählt schon Opfer? Die Frage, was die SPD falsch
gemacht hat, umkreiste die Parteispitze nur in weiten Bögen. Verständlich,
denn es gibt nur eine Antwort, die sie kaum zu denken wagt: Die Groko ist
falsch.
Was die SPD in der Regierung leistet, Kitagesetz oder Wiederherstellung der
Parität im Gesundheitssystem, bucht niemand auf ihr Konto, miese
Kompromisse wie beim Dieselskandal schon. Das ist ein bisschen unfair. Aber
Mitleid ist keine politische Kategorie. Die SPD ist in dieser Regierung
hilflos eingeklemmt. Groko-Befürworter argumentierten stets, dass die SPD
als seriöser Part von der Krise der untergehenden Merkel-Regierung
profitieren wird. Jetzt soll exakt deren Krise der Grund sein für den
Absturz der SPD. Wenn Merkel stark ist, leidet die SPD. Wenn Merkel schwach
ist, leidet die SPD erst recht. Es ist hoffnungslos.
Deshalb muss die SPD die Regierung verlassen. Doch dieser Ausstieg wird ihr
noch schwerer fallen, als der schon ziemlich qualvolle Einstieg. Die
SPD-Linke hat nicht den Mumm, die Parteispitze zu stürzen. Auch ein
gesichtswahrendes Ausstiegsszenario fehlt. So werden Nahles und Co. erst
mal weiter den eigenen Niedergang verwalten.
Die Grünen sind etwas geknickt, dass es mit dem Regieren in München wohl
nichts wird. Ganz falsch! Sie haben doppeltes Glück – die Wahl gewonnen,
ohne mit der CSU regieren zu müssen. Denn Bayern würde kein zweites
Baden-Württemberg. Wahrscheinlicher wäre gewesen, dass die forschen
Initiativen grüner MinisterInnen irgendwo im tiefen CSU- Staat auf der
Strecke geblieben wären. Erspart bleibt den Grünen auch die Peinlichkeit
künftig kreidebleich die migrationsskeptischen Ausschläge der CSU
beschweigen zu müssen.
## Jetzt nur nicht am uferlosen Pragmatismus ersticken
Es ist gut, dass aus Schwarz-Grün nichts wird – vor allem für die
Demokratie. Denn Schwarz-Grün in Bayern hätte eine weitere Verwischung der
politischen Grenzmarkierungen bedeutet, der Trennung von links-rechts,
global-lokal, autoritär-liberal. Das wäre fatal.
Das deutsche Parteiensystem ist, wenn man sich die Nachbarländer anschaut,
nicht so übel. Doch es droht an seiner Neigung zu uferlosem Pragmatismus zu
ersticken. Wenn es überdauern soll, braucht es mehr Deutlichkeit,
Konfrontation, Krach – also eine Reinszenierung von links und rechts. Sonst
wird sich die AfD künftig noch mehr als einzige Alternative zum
vernünftigen mittigen Regieren inszenieren.
Die Zeit des großen Misch-Masch, der mittigen Merkel-Regierungen und vor
allem der lähmenden großen Koalitionen, ist vorbei. Nur wenn die Union
konservativer, die SPD linker wird, kann das System der Volksparteien
überleben. Vielleicht jedenfalls. Die Große Koalition in Berlin ist nicht
die Rettung. Sie ist Gift, die Stabilität, die sie versprach, war ein
Trugbild. Je schneller sie endet, desto besser.
15 Oct 2018
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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